Kinder können an mehr als eine Person eine Bindung aufbauen, was Grundvoraussetzung für die außerfamiliäre Betreuung ist. Das erscheint nur logisch, ist doch der Mensch ein soziales Wesen, das ursprünglich in Gruppen aufwuchs, also ganz natürlich und automatisch von früh an Kontakte zu einer Vielzahl von Personen hatte. Geht man von der heutigen Situation der meisten Kleinfamilien aus, ist ein Haupthinderungsgrund für familienergänzende Betreuung das Fehlen dieser natürlichen Gebundenheit auch an andere Menschen als die Mutter. Außerfamiliäre Kontakte müssen also künstlich erschaffen werden. Optimal wäre deshalb immer eine Betreuung von anderen Bezugpersonen (z.B. Vater, Großeltern). Ist das nicht möglich und eine familienergänzende Betreuung unumgänglich, gibt es die Möglichkeit der Betreuung des Kindes von einer Tagesmutter oder in einer Kinderkrippe. Die Trennung von der Mutter (da die Mutter in der Regel die Bezugsperson ist, verwende ich diese Formulierung der Einfachheit halber), bei der das Kind fast seine gesamte Lebenszeit verbracht hat, bedeutet IMMER Stress für eine Kind. Und nach neuesten biologischen Erkenntnissen können Babys Stress nicht allein abbauen oder sich bewusst ablenken. Deshalb ist es wichtig, diesen Stress so gering wie möglich zu halten. Vor allem folgende Kriterien sollte man darum bei einer außerfamiliären Betreuung beachten:
- Entwicklungsphase und Temperament des Kindes
- Qualität der Betreuung
- Sanfte, individuelle Eingewöhnung und
- Angemessene Betreuungszeiten.
Ungünstig ist es, ein Baby oder Kleinkind, das sich gerade in einer bedeutenden Entwicklungsphase befindet, zusätzlichem Stress durch familienergänzender Betreuung auszusetzen. Dazu zählt u. a. die Fremdelphase, die bei den meisten Kindern zwischen dem 5. und 9. Lebensmonat auftritt. Diese natürliche Angst scheint dafür zu sorgen, dass sich Kinder zuverlässig an ihre Bezugspersonen halten und binden. Ebenso die Trennungsangst, die ungefähr um das 1. Lebensjahr beginnt und ein Kind schon bei einer kurzen Trennung von der Mutter weinen lässt.
Eltern sollten ihr Kind beobachten. Ist es eher aufgeschlossen oder scheu und schüchtern? Wie verhält es sich in großen Gruppen? Davon sollte man abhängig machen, ob man ein Kind von einer Tagesmutter oder in einer Kinderkrippe betreuen lässt oder ob man von familienergänzender Betreuung generell noch einmal Abstand nehmen sollte. Das lässt sich nicht vom Alter des Kindes abhängig machen. Es gibt durchaus Babys, die das wunderbar verkraften und genauso knapp 2jährige, für die es einfach noch zu früh ist.
Nach einer amerikanischen Studie sollte das Betreuungsverhältnis von Kindern zu Erwachsenen 3:1 nicht überschreiten. Denn gerade Babys und Kleinkinder brauchen die uneingeschränkte Aufmerksamkeit eines Erwachsenen. Außerdem kann durch einen niedrigeren Betreuungsschlüssel das Risiko einer unsicheren Bindungsentwicklung entstehen.
Grundsätzlich halte ich es für günstiger, ein Kind unter 2 Jahren von einer Tagesmutter betreuen zu lassen. O. g. Betreuungsschlüssel ist meist gegeben, die Gruppe ist klein und überschaulich, der Lärmpegel geringer als in einer Krippe.
Ausgesprochen wichtig ist eine individuelle Eingewöhnung. Tageseinrichtungen oder Tagesmütter, die das ablehnen, sollte man meiden. Dahinter steht meist eine grundsätzliche Haltung, die den individuellen Bedürfnissen von Kindern keinen Raum gibt und nicht auf besondere Feinfühligkeit und psychologisches Grundwissen schließen lässt.
Auch sicher gebundene Kinder brauchen ihre Mütter, um neue Situationen bewältigen zu können. Die Schnelligkeit der Eingewöhnung sagt sehr wohl etwas über die Bindungsqualität aus, aber nicht das, was oftmals Betreuerinnen suggerieren. Ein Baby, das sich ohne Eingewöhnung und ohne sichtbaren Kummer einfach an eine fremde Person übergeben lässt, hat mit hoher Wahrscheinlichkeit keine sichere, sondern eine vermeidende Bindung zur Mutter und steht trotz fehlender Merkmale des Kummers unter enorm hohem Stress. Dagegen wird ein Baby oder Kleinkind, das sich an die Eltern klammert, abwartend, aber neugierig reagiert und bei Trennung weint und protestiert, auch Stress ausgesetzt sein. Mit Hilfe der Mutter (oder einer anderen Bezugsperson) wird es diesen aber abbauen und bewältigen können.
Wie lange eine Eingewöhnung dauert, lässt sich nicht pauschal sagen. Man sollte mindestens 4-6 Wochen einplanen und die ersten 1-2 Tage, besser eine ganze Woche, komplett dabei bleiben. Zum einen braucht das Kind diese gemeinsame Zeit und zum anderen gewinnen die Eltern einen Überblick über den Tagesablauf und den Umgang der Erzieherinnen mit den Kindern. Je nachdem, wie das Kind reagiert, kann man danach erstmals für 10-20 Minuten wegbleiben und „proben“ (in der Nähe und erreichbar bleiben) und diese Zeiten dann, wenn es funktionieren sollte, langsam steigern. Im Idealfall hat das Kind in der Zwischenzeit zur Erzieherin genug Vertrauen aufgebaut, um gar nicht mehr zu weinen oder nur kurz bzw. sich von ihr trösten zu lassen. Ein weinendes Kind sollte man nicht zurücklassen. Das stört die Basis der Mutter-Kind-Beziehung und ist unnötiger Stress für das Kind. Sollte das passieren, muss der Versuch abgebrochen und dem Kind noch etwas länger Zeit gegeben werden.
Auch nach erfolgreicher Eingewöhnung sollte man mindestens 15 Minuten für den Übergang einplanen. Ich halte es für wichtig für so ein kleines Kind, die ersten Minuten in der neuen Umgebung jeweils mit einer Vertrauensperson zu verbringen. Um so leichter wird der Abschied sein.
Die außerhäusliche Zeit sollte so kurz wie möglich sein und die verbleibende Zeit zu Hause mit dem Kind intensiv genutzt werden.
Abschließend lässt sich sagen, dass sich negative Auswirkungen von außerfamiliärer Betreuung auf die Bindungsqualität nicht gänzlich ausschließen lassen. Es spricht aber inzwischen einiges dafür, dass sich unter den genannten Bedingungen keine negativen Folgen für die Mutter-Kind-Bindung und die seelische Entwicklung des Kindes ergeben.
Inzwischen gilt als erwiesen, dass emotionale Unterstützung und die Erfahrung, für einen Menschen von ganz besonderer Bedeutung zu sein, vor psychischen Problemen und Krankheiten schützen können. Daher könnte sich familienergänzende Betreuung bei familiären Problemen sogar positiv auswirken. Damit sind u. a. Misshandlung, Partnerschaftsprobleme, psychische Erkrankung eines/beider Elternteile, Armut gemeint. Diese Faktoren gehen oft mit mangelnder Feinfühligkeit der Hauptbezugsperson einher und schlagen sich meist im unsicheren oder ambivalenten Bindungsstil des Kindes nieder. Qualitativ gute außerhäusliche Betreuung könnte also diesen Kindern die Unterstützung und Aufmerksamkeit zukommen lassen, die ihnen in der Familie fehlt.
Der wissenschaftliche Nachweis dafür steht allerdings noch aus.
Literatur:
Braun, W.: Früher Stress bremst das Gehirnwachstum. In: Psychologie Heute. Heft 11/2004
Dornes, M.: Die frühe Kindheit. Entwicklungspsychologie der ersten Lebensjahre. Frankfurt a.M. 1997
Dornes, M.: Die emotionale Welt des Kindes. Frankfurt a.M. 2000
Largo, R.H.: Babyjahre. Die frühkindliche Entwicklung aus biologischer Sicht. Hamburg 1993
Wilhelm, K.: Fremde Betreuung – gute Betreuung. In: Psychologie Heute. Heft 1/2005
© Rabeneltern.org 2005
Tipps und Erfahrungen zur Eingewöhnung findest Du im Artikel „Eingewöhnung im Kiga – So machen es die Rabeneltern“.