FamilienbildGewaltfreie Erziehung bedeutet, auf körperliche Strafen zu verzichten: Kein kleiner Klaps, keine Ohrfeige, keine Tracht Prügel. Das ist das Minimum, das in Deutschland Kindern auch gesetzlich garantiert werden soll: „Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzuässig“, heißt es im Bürgerlichen Gesetzbuch, §1631.

Gewaltfreie Erziehung bedeutet darüber hinaus: Verzicht auf verbale Gewalt, auf Anschreien und Beleidigen, und Verzicht auf Strafen überhaupt, also auf das klassische Fernsehverbot oder den überholten Hausarrest, auf den stillen Stuhl oder Ansätze wie Triple P, auf Liebesentzug und emotionale Erpressung („Wenn du nicht lieb bist, bin ich ganz traurig!“).

Denn Strafen funktionieren ohnehin nicht. Natürlich sollen Kinder sich an Familien- und andere Regeln halten lernen, aber das geht auch ohne Strafen, das passiert von ganz allein, wenn Menschen miteinander leben und ihre jeweiligen Grenzen deutlich machen.

Die Drohung mit Liebesentzug ist für ein Kind verheerend, weil es zu 100% auf seine Eltern und ihr Wohlwollen angewiesen ist. Das weiß das Kind auch. Dass die Eltern es nicht mehr liebhaben könnten, ist für das Kind extrem bedrohlich, macht es hilflos und schädigt sein Selbstwertgefühl.

Aber warum auch kein Stiller Stuhl? Der Stille Stuhl, also das erzwungene Stillsitzen des Kindes abseits von den anderen, bis es sich wieder vernünftig benimmt, grenzt das Kind aus. Das führt nicht zu einem Überdenken der Situation, sondern beschämt das Kind und sorgt bestenfalls für eine bessere Anpassung, aber nicht für Respekt oder dafür, dass das Kind die persönlichen Grenzen anderer Menschen besser achten lernt.

Gewaltfreie Erziehung gelingt, wenn Eltern ihr Kind wirklich wahrnehmen und Alternativen zur Bestrafung suchen. Wenn Eltern in einem Konflikt, wenn das Kind scheinbar grundlos tobt, nicht über das – austauschbare – Thema diskutieren, sondern wahrnehmen, was gerade das eigentliche Thema ist. Da ist es dann vielleicht nicht der Kampf um mehr Süßigkeiten, sondern darum, nicht zu kurz zu kommen. Werden solche Bedürfnisse gesehen und anerkannt, nimmt das viel Spannung aus der Situation. Und wenn es wirklich nur um z.B. die Süßigkeiten geht, ohne dass ein anderes Bedürfnis dahintersteckt, dann muss der Frust auch einfach mal sein dürfen und ausgehalten werden, ohne dass das Kind dafür bestraft wird.

In jeder Familie wird es Ausrutscher geben. Vielleicht werden die Eltern laut, wenn sie sich überfordert fühlen, oder sie schimpfen übermäßig, oder sie wissen sich nicht anders als mit einer Strafe zu helfen. Solange das Familienklima davon nicht dauerhaft geprägt ist, werden Eltern und Kinder mit der Zeit und entsprechendem Bemühen vor allem der Eltern lernen, konstruktiver mit Streit umzugehen. Das Familienklima liegt in der Verantwortung der Eltern, und deren ehrliches Bemühen ist wichtiger als dass es perfekt gelingt.

Gewaltfreie Erziehung bedeutet, das Kind ernst zu nehmen: Es weder grenzenlos tun zu lassen, was es will, wenn es die Grenzen anderer verletzt – denn es ist auch eine Missachtung des Kindes, wenn es nie mit ehrlich vertretenen Grenzen konfrontiert wird –, noch es als reinen Befehlsempfänger zu sehen. Das Kind ernst zu nehmen heißt dabei auch, es Kind sein zu lassen und ihm nicht Entscheidungen zu überlassen, die es noch nicht überblicken kann und die es überfordern.

Ehrliche Zuwendung, Gefühle wahrnehmen, glaubwürdiges Vorbild sein sind nicht nur für die Kleinkindzeit, sondern auch für größere Kinder die Grundlage für ein gewaltfreies Miteinander. Denn gewaltfreie Erziehung hört natürlich nicht auf, wenn es erst wirklich anspruchsvoll wird, weil das Kind in die Pubertät kommt. Eine gute, vertrauensvolle Beziehung ist dann als Basis aber umso notwendiger, denn Druck und Strafe erreichen das Kind irgendwann nicht mehr.

Je älter das Kind wird und je mehr Vernunft von ihm erwartet wird, desto eher kann es passieren, dass Eltern ängstlich werden: „Wenn ich ihn jetzt nicht strafe, wird er mir aus dem Ruder laufen!“ „Sie muss spüren, dass es so nicht geht, wo soll das sonst enden?“ Es kann dann sein, dass Eltern meinen, bei älteren Kindern reiche schimpfen eben nicht mehr aus, sondern es müssten Strafen her. Aber:Das funktioniert wenn, dann nur kurzfristig. Das Kind bleibt kein Kind, und der oder die Jugendliche wird mit Strafen nicht dauerhaft zu einem friedlichen Miteinander gezwungen werden können, von Respekt gar nicht erst zu reden. Die Strafen allerdings haben dann vorher schon die Basis gegenseitigen Vertrauens angegriffen, auf der das Kind noch zu erreichen wäre.

Wenn sich also der Eindruck breitmacht, das Kind müsse „jetzt aber endlich einmal lernen, dass…!“ oder „wäre doch nun wirklich alt genug…!“ oder die Eltern müssten sich jetzt „endlich mal durchsetzen“… dann ist Strafe der einfacherere, aber nicht der beste Weg. Die Herausforderung für gewaltfrei erziehende Eltern ist, mit dem größer gewordenen Kind, das sich trotzdem manchmal kleinkindhaft verhält, zu einem neuen Verständnis zu kommen und die in den Jahren zuvor angelegte Vertrauensbasis nochmals zu kräftigen. Manchmal hilft dabei ein Blick von außen, sei es über Literatur oder bei einer örtlichen Beratungsstelle. Wie bei der medizinischen Ersten Hilfe gilt auch hier: Ruhe bewahren. Ansehen – Zuhören – (Mit)Fühlen. Und anders als bei der Ersten Hilfe: Im Zweifel erstmal abwarten, die Gemüter abkühlen lassen, nicht noch wütend versuchen, zu siegen. Bei gewaltfreier Erziehung geht es um liebevolle Beziehung. Das ist je nach Lebensalter des Kindes weniger oder mehr Arbeit, aber es lohnt sich immer.

Kinder brauchen nichts mehr, als wirklich gesehen und wahrgenommen zu werden. Wenn ein Kind für unerwünschtes Verhalten bestraft wird, wird aber in der Regel nicht geschaut, woher das problematische Verhalten kommt. Das Kind wird also mit seinen Bedürfnissen und Schwierigkeiten nicht wirklich gesehen. Auch die Eltern lernen nichts für sich aus dem unerwünschten Verhalten des Kindes: über schädliche Dynamiken in der Familie, oder darüber dass manche Regeln übertreten werden, weil sie unangemessen sind oder, und das ist das wichtigste, über eine seelische Not des Kindes.

Oft ist einem Kind, das etwas anstellt, vollkommen klar, dass es eine Grenze überschreitet – dann braucht es die Bestätigung, dass es gesehen wurde und dass die Grenze immer noch gilt. Oft benötigt das Kind einfach Aufmerksamkeit, z.B. aus Langeweile, Über- oder Unterforderung, Einsamkeitsgefühlen, oder weil es in Kindergarten oder Schule schwierige Situationen erlebt hat. Mit grenzüberschreitendem Verhalten fordert es diese Aufmerksamkeit ein – denn auch negative Aufmerksamkeit ist Aufmerksamkeit. Wenn es dann bestraft wird, liegt der Fokus aber auf dem unerwünschten Verhalten, nicht auf dem Kind und das Kind erfährt keine Hilfe.

Wenn Ausbrüche von Wut und Aggression zu Bestrafung statt zu Dialog und Konfliktlösung führen, lernt das Kind, negative Gefühle nicht zu zeigen. Es lernt, dass diese Persönlichkeitsanteile abgelehnt werden, und kann sie daher schlechter in ein positives Selbstbild integrieren. Sein Selbstwertgefühl und sein Selbstvertrauen werden beschädigt.
Durch Bestrafung lernt das Kind auch: Bei Konflikten bestraft der Stärkere. Da Strafen demütigend und beschämend sind, und nicht zu Konfliktlösung, sondern zu Unterordnung führen, lernt das Kind dadurch nicht Selbstverantwortung und soziales Verhalten. Bestrafung führt zu Angst vor der Strafe, aber nicht zu Einsicht. Unerwünschtes Verhalten findet dann möglicherweise heimlich statt und das Vertrauen des Kindes zu seinen Eltern leidet. Wenn es etwas angestellt hat, wird es sich damit aus Furcht vor der Strafe nicht an die Eltern wenden.

Auch sogenannte „Auszeiten“ oder der „Stille Stuhl“ sind Bestrafungen. Gemeint ist damit die verordnete Isolation des Kindes, bis es sich (wieder) einfügt. Soziale Isolation ist eine Strafe, die vor allem Kleinkinder sehr hart trifft. Sie führt zu großer Verunsicherung, Angst, Wut und Beschämung, nicht zu Einfühlungsvermögen und der Fähigkeit zur Rücksichtnahme und zum Kompromiss.

Generell wird das soziale Lernen durch Strafen behindert. Das Kind lernt nur: Ich tue etwas Falsches, werde dafür bestraft und sofort ist alles wieder gut. Manche Kinder rechnen das mit ein, tun etwas Unerwünschtes und nehmen sich dann selbst die Auszeit. Sie lernen so nicht, ihr Verhalten zu ändern, sondern nur, die „Wieder-gut-Option“ direkt anzuwenden. Erwiesenermaßen haben junge Erwachsene, in deren Elternhäuser viel über Regeln diskutiert wurde, höhere moralische Maßstäbe als junge Erwachsene aus Elternhäusern mit striktem Regelwerk und wenig Verhandlungsspielraum. Ein gesundes Selbstwertgefühl ermöglicht souveränes soziales Verhalten, ängstliche Unterordnung führt bestenfalls zu Anpassung.

Die Verbindung zwischen Kindern und Eltern wird durch Strafen schwächer, die Eltern verlieren an Einfluss. Wenn aber in der frühen Kindheit keine funktionierenden Kommunikationsstrategien zwischen Eltern und Kindern aufgebaut und gepflegt werden, kann das in der Pubertät nur sehr schwer nachgeholt werden.
Strafen wie z.B. Auszeiten können bei Jugendlichen nicht mehr angewendet werden, da sie sich einfach darüber hinwegsetzen können. Wenn es keine funktionierende Kommunikation zwischen Eltern und Jugendlichen gibt, müssen also entweder härtere Strafen her, oder es ist keine Einflussnahme der Eltern mehr möglich. Oder es kommt dazu, dass die notwendige Ablösung der Jugendlichen von den Eltern erschwert oder verhindert wird, da die Jugendlichen gelernt haben, dass ihre Eltern immer Recht haben und bestrafen dürfen. Die Folgen für diese jungen Erwachsenen sind gravierend, häufig wehren sie sich viel später durch einen kompletten Kontaktabbruch, weil sie als eigenständige Erwachsenen nicht neben ihren Eltern bestehen können.

Der Verzicht auf Strafen fällt Eltern besonders schwer, wenn sie selbst mit Strafen aufgewachsen sind. Es lohnt sich aber, eine andere Kultur der Konfliktlösung in der eigenen Familie zu erlernen. Anregungen findest Du hier:
Hinter das Verhalten schauen, Brauchen Kinder Grenzen?, Alternativen zur Bestrafung
Und als ein Beispiel für ein Erziehungssystem, das Strafen einkalkuliert: Triple P – kritisch betrachtet

 

Attachment Parenting, um es möglichst einfach zu sagen, bedeutet, auf unser Herz zu hören. Und in dem wir das tun, vertrauen wir auf unser Kind. Wir vertrauen ihm auf folgende Weise:

  • Wir vertrauen darauf, dass es gemäß seines Alters und seiner Erfahrung das ihm best mögliche tut.
  • Wir vertrauen, obwohl es noch sehr klein gewachsen ist, dass es ein eigenständiger Mensch ist, so wie wir es sind, der es  verdient, dass seine Bedürfnisse ernst genommen werden, so wie unsere es verdienen.
  • Wir vertrauen, dass es geboren wurde, fehlerfrei, liebend und voller Vertrauen. Wir müssen es nicht erziehen, ihm beibringen, dass das Leben nicht nur eitel Sonnenschein ist oder wie es zu einem guten Menschen wird – es ist das  bereits von Geburt an und alles, was wir zu tun brauchen ist, uns an ihm zu freuen, es unterstützen und diese, seine Fähigkeiten zu erhalten.
  • Wir brauchen ihm keine Lektionen fürs Leben zu erteilen, das macht das Leben schon selber.
  • Wir erkennen auf wunderbare Weise, unser Kind lehrt uns – wenn wir zuhören – was Liebe ist.
  • Wir haben Verständnis dafür, wenn ein Kind sich „falsch verhält“, anstatt auf dieses Verhalten zu reagieren, sollten wir immer nachforschen, was dazu geführt haben könnte, welchen Stress, welche Frustrationen oder Ängste, Verwirrungen, oder andere schwierige Situationen es gerade durchgemacht hat. Wir müssen darüber hinaus ebenfalls bedenken, ob wir ein bestimmtes Verhalten – bewusst oder unbewusst – nicht selber hervorgerufen haben. Es ist unser Job als Eltern, Antworten zu finden für das Verhalten unserer Kinder. Es ist nicht der Job der Kinder, sich unseren Bedürfnissen anzupassen und ruhige und perfekt erzogene Kinder zu sein.
  • Wir verstehen, dass es unfair und unrealistisch ist, von Kindern zu erwarten, dass sie sich zu jeder Zeit vorbildlich benehmen, denn welcher Erwachsene wäre dazu in der Lage? Denn hinter jeder Bestrafung steht im Grunde die Erwartung, dass Kinder sich immer gut benehmen können, wenn sie nur wollten, ohne jeglichen Spielraum.
  • Wir sehen, dass so genanntes „schlechtes Verhalten“ in Wirklichkeit nur der Versuch des Kindes ist, ein ihm wichtiges Bedürfnis kund zu tun, auf die ihm best mögliche Art und Weise in der momentanen Situation und aufgrund seiner vorangegangenen Erfahrungen. „Falsches Verhalten“ ist ein Signal, dass wichtige Bedürfnisse nicht erfüllt worden sind – von uns oder anderen im Leben des Kindes. Wir sollten dieses Signal genauso wenig ignorieren wie wir den Alarm eines Rauchmelders ignorieren. Wir sollten statt dessen „falsches Verhalten“ als Chance erkennen – eine Chance unser eigenes Verhalten zu überdenken, mehr über die Bedürfnisse unseres Kindes zu lernen und diesen so gut wie es uns möglich ist zu entsprechen.

Wie Albert Einstein schrieb: „Hinter jeder Schwierigkeit liegt eine Chance verborgen.“ Dies ist allgemeingültig, umso mehr, wenn es um das Elternsein geht. Zum Beispiel: Ein Kind jagt einem Ball hinterher und läuft auf die Straße. Das ist eine Chance sicheres Verhalten in Zukunft anhand einer Alltagssituation zu erlernen. Die Eltern könnten das Kind auffordern den Ball mit Absicht auf die Straße zu werfen und es dann zu sich bitten und es erzählen lassen, was jetzt passiert. Auf diese Weise kann das Kind anschaulich lernen. Für die Eltern bedeutet dies, sich mehr Zeit zu nehmen, dem Kind verständlich zu machen, warum es gefährlich ist, auf die Straße zu laufen. Es liegt nicht am Kind, diese Information längst wissen zu müssen und offensichtlich immer noch nicht kapiert zu haben. Strafe ist kontraproduktiv: sie ist unfair, demütigend, verwirrend und lenkt das Kind davon ab, das zu lernen, was es wissen muss. Statt dessen sollten wir sanfte und respektvolle Anweisungen geben zum Zeitpunkt, an dem das Verhalten auftritt – so kann das Kind sein Tun einordnen. Auf diese Weise wird es am besten verstehen und  lernen.  Attachment Parenting hilft Kindern Selbstvertrauen zu entwickeln, sich selber verstehen zu lernen, und wahrscheinlich später als Erwachsene in der zu Lage sein, ihre Zeit sinnvoll und kreativ zu nutzen, eher als sich daran zu versuchen, die schlechten Erfahrungen der Kindheit aufzuarbeiten, und dabei vielleicht sich und andere zu verletzten. Wenn ein Erwachsener keine Notwendigkeit hat, sich mit seiner Vergangenheit auseinander zu setzen, dann kann er voll und ganz im Heute leben. Attachment Parenting bedeutet das Kind so zu umsorgen wie wir es für uns selber gewünscht hätten, wie wir uns heute wünschen, von anderen behandelt zu werden und wie wir es für unsere Enkelkinder wünschen. Attachment Parenting ist ein Vorbild für Liebe und Vertrauen. Unsere Kinder verdienen es, zu erfahren, was Mitgefühl ist, und sie lernen am meisten durch unser Beispiel. Wenn unsere Kinder es nicht von uns lernen, von wem dann? Kinder verhalten sich so wie sie behandelt werden von ihren Eltern, von allen anderen in ihrem Leben.

Dr. Elliott Barker, Psychiater aus Kanada und Director der Canadian Society for the Prevention of Cruelty for Children, dass Attachment Parenting aus diesen zwei Aspekten besteht:

  • Willens und in der Lage sein, sich in die Perspektive des Kindes zu versetzen, um herauszufinden, was im Kind wirklich vor sich geht
  • Willens und in der Lage sein, sich seinem Kind gegenüber so zu verhalten, dass seine Gefühle ernst genommen werden

Zusammenfassend: Attachment Parenting ist Liebe für und Vertrauen in unsere Kinder. Wenn wir dazu in der Lage sind, dann werden sie umgekehrt uns lieben und vertrauen und zu selbstbewussten Erwachsenen heranwachsen. Der Lehrer John Holt sagte einmal, dass alles, was er jemals geschrieben habe sich in zwei Worten ausdrücken ließe: „Vertraue Kindern.“ Das ist das wertvollste Geschenk, das wir ihnen als Eltern machen können.

Der Artikel ist mit Erlaubnis der Autorin auf unserer Seite veröffentlicht und im Original mit dem Titel: What ist Attachment Parenting?  unter http://www.naturalchild.org nachzulesen.

übersetzt aus dem Englischen von eulalie für Rabeneltern.org

Dies ist eine Frage, die immer wieder viel diskutiert wird und die Verfasser vieler Elternbücher reich macht. Die Schlussfolgerung in den Büchern ist dabei immer wieder dieselbe: Ja, „Kinder brauchen Grenzen“.

Aber kann man das wirklich so sagen? Ich sehe das etwas anders – und wie die unten angeführte Literaturliste zeigt, befinde ich mich in guter Gesellschaft.

Die zentrale Frage ist doch: Was sind Grenzen in dem Zusammenhang überhaupt? Juuls Definition kommt meiner Empfindung da am Nächsten: Grenzen sind Regulatoren der menschlichen Beziehungen. Das heißt, sie sind dazu da, das menschliche Miteinander zu gestalten. Kinder müssen zunächst einmal lernen, dass Grenzen existieren. Ihre eigenen spüren sie schon recht früh, schon ein Säugling dreht den Kopf weg, wenn ihm etwas zuviel wird.

Die ersten Grenzen, mit denen Kinder konfrontiert werden sind völlig subjektiv und haben mit Allgemeingültigkeit nichts zu tun. Den einen stört stundenlanges Indianergeheule gar nicht, den anderen macht es wahnsinnig. Ich-Botschaften oder die „persönliche Sprache“ wie Juul es nennt, tragen dazu bei, Konflikte innerhalb einer Beziehung anders zu gestalten. Es besteht eine sichere Verbindung zwischen den Menschen, die daran beteiligt sind. Die Eltern und das was sie wollen bzw. nicht wollen bleiben sichtbar für das Kind.

Für die Entwicklung des Menschen als subjektives und als soziales Wesen ist es von entscheidender Bedeutung, welchen Umgang mit Grenzen er erfährt. Idealerweise macht er die Erfahrung, dass es die Beziehung nicht bedroht, wenn er an die Grenzen eines anderen Menschen stößt. Je besser die Erwachsenen dazu in der Lage sind, die Verantwortung für die eigenen Grenzen zu übernehmen, desto wahrscheinlicher wird ein Kind damit zu Recht  kommen und – was vielleicht das Entscheidende ist – lernen, dass es in Ordnung und sogar wünschenswert ist, dass es selbst seine Grenzen entdeckt und kundtut.

Das, was gemeinhin mit dem Satz „Kinder brauchen Grenzen“ ausgedrückt wird, ist meiner Ansicht nach etwas ganz anderes. Es liegt dem die Meinung zu Grunde, dass Kinder mühsam zivilisiert bzw. sozialisiert werden müssen. Es wird argumentiert, dass Kinder doch aber lernen müssen, dass sich nicht alle ihre Wünsche erfüllen und dass sie auch „nein“ hören. Oder auch „Ich lass mir doch von diesem Zwerg nicht auf der Nase herumtanzen!“ Es geht aber meiner Ansicht nach nicht darum, dass sie es lernen müssen. Das müssen sie genauso wenig wie laufen, sprechen oder schreiben. Wenn ein Kind das Glück hat, mit Erwachsenen zusammenzuleben, die es ernst nehmen, dann wird es an Grenzen stoßen, einen angemessenen Umgang damit vorgelebt bekommen – und daher natürlich auch „nein“ hören.

Ein weiteres Argument ist, dass Grenzen Kindern Sicherheit geben. Es ist genau andersherum: Kinder erlangen dann Sicherheit und Stabilität, wenn sie sich der liebevollen Beziehung zu ihren Eltern absolut sicher sein können, wenn sie genau wissen, dass diese durch nichts bedroht wird oder gar zerstört werden kann. Auf dieser Grundlage sind Kinder nicht nur in der Lage sondern haben sogar den Wunsch, sich in die Gemeinschaft zunächst der Familie und anderen, die folgen (Kindergarten, Schule, Freundesgruppen etc.) einzufügen.

Was heißt das für die Praxis?

Es geht im Grunde weniger darum, dass Kinder Grenzen brauchen, sondern vielmehr darum, dass Eltern es wagen sollten, mit ihren Kindern in eine wirkliche Beziehung zu treten, und dazu gehört eben auch, dass sich die Erwachsenen abgrenzen – so wie sie es mit anderen (erwachsenen) Menschen ja auch tun. Dazu müssen Eltern einen wichtigen Lernprozess leisten: Sie müssen sich bewusst machen, wo ihre eigenen Grenzen liegen. Vielen ist das nicht bewusst, schließlich haben die wenigsten von uns als Kinder erfahren, dass die eigenen Grenzen respektiert werden.

Die Frage ist – wieso fällt es Eltern so schwer, sich ihren Kindern gegenüber abzugrenzen? Es scheint etwas damit zu tun zu haben, wie ernst das Gegenüber – also das Kind – genommen wird. Außerdem muss ich bereit sein, meine eigene Begrenztheit zu akzeptieren, und genau das scheint im Umgang mit Kindern besonders schwer zu sein. Diffizil daran ist, dass es nicht darum gehen kann, als Erwachsener nach dem eigenen Lustprinzip zu leben sondern die Balance zu schaffen zwischen Abgrenzung und Ernstnehmen der Bedürfnisse des Kindes.

Kinder spüren Halt und Sicherheit, wenn die Menschen, mit denen sie aufwachsen durchschaubar und authentisch sind. Natürlich kann man das herumdrehen und kann damit  Schlafprogramme, stille Stühle und vieles mehr rechtfertigen. Aber es geht ja darum, dass beide Beteiligten dieser Beziehung ernst genommen werden. Das bedeutet auch, dass der Stärkere eher mal zurücksteckt mit seinen Bedürfnissen. Aber das verschiebt sich ja mit zunehmendem Alter der Kinder immer mehr. Seine Grenze ziehen heißt auch, dass man dann unter Umständen den Unmut des Kindes aushalten muss und vor allem, dass man selber die Ursache dafür ist. Viele Eltern scheinen zu versuchen, das um jeden Preis zu verhindern.

Mir kommt es oft so vor, als wollten sich Eltern hinter den berühmten Sätzen mit „man“ oder auch „das geht nicht“ verstecken. Als zögen sie eine außen stehende Instanz heran, die Grenzen zieht. Wenn aber deutlich wird, dass ICH nicht möchte, dass z.B. auf dem Tisch herumgelaufen wird, dann stehe ich mit meinen Bedürfnissen und Grenzen im Mittelpunkt der Auseinandersetzung. Und kollidiere mit den Bedürfnissen meines Kindes. Ich muss mich dann hinterfragen lassen, ich muss bei meinen Grenzen bleiben, wenn sie mir wichtig sind und ich muss aushalten, dass mein Kind unglücklich darüber ist. Aber – und das ist vielen offenbar nicht klar – es ist kein Drama, dass das Kind unglücklich darüber ist, wenn  es ist weiterhin in Verbindung mit mir sein und die Beziehung spüren kann, die wir haben.

Gründe, die genau das für Eltern schwierig machen können, gibt es sicher viele. Das können Unsicherheit oder Überforderung sein, vor allem beim ersten Kind ist man selbst ja auch sehr stark Lernender. Aber es kann auch sein, dass man übernommene oder erlebte Verhaltensmuster nicht genug hinterfragt. Daraus kann falsche Machtausübung ebenso erwachsen wie ein respektloses Verhalten dem Kind gegenüber. Wenn Eltern anhaltende Probleme damit haben, respektvoll mit Grenzen umzugehen – mit den eigenen und/oder mit denen des Kindes – dann kann es sinnvoll sein, sich professionelle Unterstützung zu holen in Form von Beratung oder einem Elterntraining.

Es kann also weder darum gehen, unseren Kindern permanent beizubringen, wer der Herr bzw. die Herrin im Haus ist, noch ist es unsere Aufgabe, jede Enttäuschung von unseren Kindern fernzuhalten. Dagegen sollte es aber sehr wohl unser Anliegen sein, sie einerseits einen konstruktiven Umgang mit den Grenzen anderer erleben und lernen zu lassen und andererseits ihre eigenen Grenzen immer besser zu spüren und kennen zu lernen. Dazu gehört auch, dass für alle klar ist, dass in der Familie die Eltern diejenigen sind, die die Verantwortung (Juul benutzt dazu den Begriff „Führung“) tragen. Auch, aber nicht nur für die eigenen Grenzen. Dazu kann einerseits gehören, Entscheidungen zu übernehmen, deren Folgen ein Kind noch nicht übersehen kann oder die es überfordern, andererseits aber auch, die Grenzen des Kindes zu wahren, wenn es das selbst noch nicht kann.

Ich erlebe bei Eltern immer wieder fast ein Schockiertsein darüber, dass ihr Kind ihre Grenzen verletzt. Als würden Kinder mit einer Art Plan geboren, auf dem die elterlichen Grenzen (die ja auch noch völlig subjektiv sind) eingezeichnet sind. (Das Gleiche gilt im Übrigen für andere, kulturelle oder gesellschaftliche Grenzen.) Das Gegenteil ist der Fall! Ein Kind kann den konstruktiven Umgang mit Grenzen nur lernen, indem es möglichst munter und unbefangen auf die Welt zugeht – und sich an ihr stößt, im Grossen wie im Kleinen. Je sicherer und ungekränkter Eltern sich verhalten, desto selbstverständlicher wird für ein Kind die Tatsache, dass es Grenzen gibt und der Umgang damit.

Dipl.-Psych. Christiane Rupp


Literatur:
Faber/Malish: Nun hör mir doch mal zu! LaLecheLiga
Gordon, Thomas: Familienkonferenz in der Praxis. Heyne 2002
Juul, Jesper: Das kompetente Kind. Rowohlt 2003
Ders.: Grenzen, Nähe, Respekt. Rowohlt 2002
Ders.: Was Familien trägt. Kösel 2006

August 2006

© Rabeneltern.org e.V. 2006

Der „weise“ König Salomon schrieb vor mehr als tausend Jahren: Wer seinen Sohn nicht schlägt, liebt ihn nicht. Und er glaubte daran. Seit Tausenden von Jahren wurden Kinder geschlagen, weil die Eltern meinten, dass sie sie auf diese Weise zu guten Menschen erziehen konnten. Doch seit einigen wenigen Jahren wissen wir mit Sicherheit, dass diese Meinung irreführend ist, weil jede körperliche Bestrafung, sei sie noch so gering, nur negative Folgen hat. Auch wenn das Kind damit lernen mag, zu gehorchen – auf lange Sicht, wird es aggressiv, süchtig, gewalttätig, suizidal oder körperlich krank, wenn kein helfender oder zumindest wissender Zeuge diese Entwicklung verhindert. Heute stehen zahlreiche Untersuchungen zur Verfügung, die diesen Zusammenhang beweisen. Die einzige Lehre, die das Kind erhält, ist, dass es richtig ist, einem schwächeren Wesen Leid zuzufügen, wenn es einen ärgert. Es gibt keine harmlosen Ohrfeigen und Klapse, beide Formen der Gewaltanwendung bedeuten eine Demütigung, einen Missbrauch der Macht, und schädigen das gesunde Selbstwertgefühl des Kindes, das wie jeder Mensch das Recht auf das Respektieren seiner Würde hat. Aus diesem Grund wird es hoffentlich bald verboten sein, ein Kind zu schlagen, zumindest in den über hundert Ländern, die die Konvention zur Wahrung der Kinderrechte unterschrieben haben.

Viele Menschen haben Mühe, das zu begreifen. Da sie selber als Kinder geschlagen wurden, glauben sie, genau wie ihre Eltern, dies wäre normal und nützlich. Doch unsere Eltern glaubten es, weil auch sie so erzogen wurden und nicht wissen konnten, welche Folgen ihr Verhalten später hatte. Viele glaubten im besten Wissen und Gewissen zu handeln. Die heutigen Eltern müssen aber über die Entdeckungen der letzten Jahre sehr genau informiert werden, damit sie sich nicht aus bloßem Unwissen schuldig machen.

Jeder Autofahrer ist verpflichtet, die Verkehrsgesetze zu kennen, sonst würde er andere ungewollt umbringen. Auch die Eltern müssen unbedingt wissen, dass  das Schütteln eines Babys irreversible Gehirnschäden verursachen kann. Damit sie dies nicht aus bloßem Unwissen begehen, sollten sie dieses Informationsblatt erhalten. Es gibt viele Eltern, die ihre Kinder lieben wollen. Sie haben das Recht, rechtzeitig informiert zu werden.

Zu den schlimmsten Folgen der körperlichen Bestrafung gehört die Tatsache, dass viele in der Kindheit geschlagene Erwachsene ihr Leben lang behaupten, das Schlagen hätte ihnen gut getan, sie hatten es verdient. Diese Meinung geben sie unbesehen an ihre Kinder weiter Dadurch konnte sich eine destruktive Tradition so lange erhalten.

Copyright © Alice Miller, 1997

Hinweis:
Obwohl die Rechte an diesem Text der Autorin Alice Miller vorbehalten sind und er weder gekürzt, noch verlängert oder in anderer Weise geändert werden darf, kann er für Broschüren, Flyers oder Poster verwendet werden. Es ist erwünscht, dass der Text so weit wie möglich verbreitet wird, insbesondere in Schulen – bevor junge Erwachsene sich dazu entscheiden, Kinder zu bekommen, ohne die Tragweite dieser Entscheidung abschätzen zu können. Jede und jeder – jung und alt – ist aufgerufen an der Verbreitung dieses Infotextes mitzuwirken.

übersetzt aus dem Englischen von eulalie für Rabeneltern.org

ein Kommentar von eulalie für rabeneltern.org

Seit dem 2. November 2000 ist es amtlich – im Bundesgesetzblatt wurde ein Gesetz zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung bekannt gegeben. Artikel 1, Ziffer 3 regelt, dass § 1631 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch wie folgt geändert wird:

„Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.“

Zur Begründung hieß es: Die Anwendung körperlicher Gewalt sei in Familien in Deutschland weit verbreitet. Untersuchungen belegten einen eindeutigen Zusammenhang zwischen in der Familie erlittener und von Jugendlichen ausgeübter Gewalt.

Aus unserer Sicht ist diese gesetzliche Regelung längst überfällig. Jetzt gilt es dafür zu werben, dass in der breiten Bevölkerung auch eine Akzeptanz dafür erreicht wird, Kindern mit Respekt und Achtung vor ihrer Persönlichkeit zu begegnen. Viele werden sich einverstanden erklären: „Selbstverständlich schlage ich mein Kind nicht!“

Dennoch, der Gesetzgeber gibt sich damit allein nicht zufrieden und wir Eltern sollten es auch nicht tun. Wie reden wir mit unseren Kindern? Welche Worte benutzen wir und in welchem Tonfall? Welche Konsequenzen und Strafen drohen wir an oder setzen sie gar um? Stiller Stuhl, Ignorieren, kein Abendbrot oder gar Schreien lassen zum Einschlafen oder in der Nacht, denn dem Kind fehlt ja sonst nichts. Niemand ist perfekt. Eltern sind bloß Menschen, deren Nerven reißen können.

Aber eins sollte uns allen spätestens jetzt klar sein: Wer gegen ein Gesetz verstößt, der muss damit rechnen, zur Verantwortung gezogen zu werden!

© Rabeneltern.org 2003

Integrität und Selbstgefühl hängen zusammen. Je besser es den Eltern geglückt ist, für die Integrität des Kindes Sorge zu tragen, um so größer sind die Möglichkeiten des Kindes, ein gesundes Selbstgefühl zu entwickeln. Gewalt ist ein Angriff auf die Integrität der Kinder und damit schädlich für ihr Selbstgefühl.

Die Tatsache, dass nur grobe körperliche Gewalt, die wir Kindesmisshandlung nennen, gesetzlich belangt wird, heißt nicht, dass andere Formen von Gewalt nicht schädlich sind. Wir haben nur beschlossen, sie nicht als kriminell anzusehen.

Im Laufe der Zeit haben wir viele Synonyme für körperliche Gewalt gebildet. Wir nennen es „Körperstrafe“, „Schlag“, „Klaps“, „Haue“, „Dresche“, „Abreibung“, „Disziplinierung“ und so weiter. Die meisten Kulturen haben eigene, rechtfertigende Kosenamen für das Phänomen. Aber das kann nicht länger die Tatsache verdecken, dass Gewaltanwendung Gewalt ist und dass Gewalt für Selbstgefühl und Menschlichkeit beider Partner zerstörend wirkt, egal, wie viele Euphemismen wir benutzen, und egal, wie wir sie begründen.

Nach meiner Erfahrung verteilen sich Eltern, die ihren Kindern gegenüber Gewalt anwenden, auf zwei Gruppen. In der einen Gruppe ist Gewaltanwendung eine Haltung oder schlicht eine Ideologie. Die, zu deren Haltung Gewalt gehört, sagen: „Na ja, ich glaube aber nun nicht, dass dieser Klaps auf den Po Kindern schadet, wenn sie ihn verdient haben.“ Wenn man bei dieser Gruppe etwas näher hinschaut, zeigt sich häufig, dass diese Menschen, bevor sie Kinder bekamen, eigentlich eine andere Haltung vertraten und ihre jetzige Haltung meist ein Ausdruck dafür ist, etwas zur Tugend erklärt zu haben aus Not.

Die Eltern, für die Gewaltanwendung Ideologie ist und die meinen, Gewalt sei ganz einfach ein notwendiges Mittel einer verantwortlichen Kindererziehung, kommen oft aus einem Milieu oder einer Gesellschaft, die von totalitären religiösen oder politischen Ideologien beherrscht wird. In diesen Gruppen spielen das Leben und die Lebensqualität eines einzelnen Individuums nur eine untergeordnete Rolle, und die Tatsache, dass Gewalt zerstörerisch für das Individuum ist, macht deshalb keinen Eindruck.

Eine zweite Gruppe von Eltern, in vielem typisch für die skandinavischen Gesellschaften, schlägt ihre Kinder ab und zu, die Eltern haben aber jedesmal, wenn sie es tun, ein schlechtes Gewissen.

Unabhängig von der Einstellung der Eltern hat eine jede Form der Gewaltanwendung Kindern gegenüber genau die gleiche Konsequenz wie die Gewaltanwendung gegenüber Erwachsenen: Sie schafft kurzfristig Angst, Misstrauen und Schuldgefühl, und langfristig sorgt sie für ein geringes Selbstgefühl, für Zorn und Gewalt. Diese Folgeerscheinungen der Gewalt stehen nicht notwendigerweise im Verhältnis dazu, wie häufig ein Kind geschlagen wird. Mir sind Menschen bekannt, die von ihren Eltern ein einziges Mal im Laufe ihres Aufwachsens gewaltsam behandelt wurden und die den Schmerz niemals verwunden haben. Mir sind auch andere Menschen begegnet, die zehn- bis zwanzigmal geschlagen wurden, ohne dass das nachhaltige Spuren hinterlassen hätte. Vieles deutet darauf, wie bedeutsam es ist, ob die Eltern die Verantwortung für die Gewaltanwendung übernehmen oder den Kindern die Schuld geben.

Quelle:
Auszug aus dem Buch – Das kompetente Kind

veröffentlicht bei Rabeneltern.org mit freundlicher Genehmigung des Autors Jesper Juul

Was ist Trotz?

Der Begriff Trotz impliziert, dass das Kind bewusst etwas gegen den Willen eines anderen tut, was aber nicht der Fall ist. Trotzdem ist Trotz der gängige Begriff, weshalb ich ihn weiter verwende.

Trotz ist eine Entwicklungsphase, die alle Kinder durchlaufen. Er lässt sich nicht vermeiden und ist, falls er ganz ausbleiben sollte, eher ein Zeichen der behinderten Ich-Bildung. Trotz erfolgt im Zuge der Loslösung und Abgrenzung von der Mutter und der Ich-Bildung. Orientiert sich ein Säugling und Kleinstkind noch an der Mutter und hält sie weitgehend für einen Teil seiner eigenen Person, so begreift ein Kleinkind ab dem ca. 18. Lebensmonat zunehmend, dass es eine eigenständige Person ist, die ihre Handlungen selbst verursacht. Diese Ich-Identität ist durch den Spiegeltest nachweisbar. Ein Kind, dass vorher die doppelte Erscheinung der Mutter und des fremden Kindes im Spiegel zur Kenntnis nahm und anlächelte, stellt jetzt erstaunt fest, dass es das selbst ist und versucht beispielsweise einen Fleck auf der eigenen Stirn, den es im Spiegel entdeckte, zu entfernen.
Trotz ist keine Opposition oder gar Widerspenstigkeit gegen die Eltern, sondern bedeutet, dass ein Kind sich selbst, der eigenen Handlungen und der eigenen Entscheidungsmacht bewusst wird. Trotz ist der Weg zu Eigenständigkeit und Autonomie, begleitet von Ungeduld, Spannungszuständen und Disharmonie, was sich in Wut und Trotzanfällen äußert.

Wann tritt Trotz auf?

Trotz und die damit verbundenen Äußerungen der Wut lassen sich nicht grundsätzlich vermeiden, höchstens in wenigen Fällen umgehen. Meist sind die Anlässe austauschbar. Die Äußerungen der Wut, sowohl was die Dauer als auch die Vehemenz und Lautstärke betrifft, haben etwas mit dem Temperament des Kindes zu tun und nicht mit den (fehlenden) pädagogischen Fähigkeiten der Eltern. Kinder in diesem Alter sind unflexibel, haben einen inneren Plan, von dem sie nicht oder nur schlecht abweichen können. Wird ein Kind in seinem Tun unterbrochen, weil die Eltern etwas anderes möchten oder halten die eigenen Fähigkeiten (noch) nicht mit dem Willen mit, kommt es zu Frust und Wut. Enttäuschte Erwartungen, gebrochene Versprechungen und mangelnde Geduld und Ausdauer sind weitere Auslöser. Dazu kommt, dass innere Faktoren wie Müdigkeit, Hunger, Krankheit, neue Umgebung und Stress etc. Trotzäußerungen begünstigen. Ein Kind mit einem bereits stark ausgeprägten Selbstbewusstsein wird wahrscheinlich nicht mit soviel Aggressivität und Wut (Schlagen, Beißen, Wegstoßen der Eltern) reagieren wie ein Kind, bei dem das Selbstbewusstsein noch nicht so stark ausgebildet ist.

Wie verhalte ich mich, wenn mein Kind trotzt?

Oberste Regel ist, das Kind so viel selbst tun zu lassen wie möglich. Jede Einschränkung und Grenzsetzung erlebt das Kind in erster Linie als Kränkung. Es kann noch nicht unterscheiden, welche Regeln sinnvoll und zum eigenen Schutz sind, sondern empfindet nur die Einschränkung und braucht deshalb wenige, sinnvolle Regeln. Starke, autoritäre Einschränkungen statt liebevollem Unterstützen und Korrigieren sind schädlich für die Selbstentwicklung des Kindes. Kinder wollen ernst genommen und respektiert werden und mitentscheiden dürfen.
Eltern sind in dieser Phase vor allem Begleiter und Lenker des Verhaltens. Sie werden manchmal überrascht werden von den starken Gefühlsäußerungen, manchmal auch enttäuscht oder sogar selbst wütend sein, sollten sich aber immer wieder vor Augen führen, dass dieses Verhalten nichts mit Auflehnung und/oder Ablehnung der Eltern zu tun hat, sondern ein normaler und enorm wichtiger Entwicklungsschritt im Leben eines Kindes ist. Es braucht Geduld, sehr viel Verständnis und oftmals ein Umdenken, wenn ein Kind diesen neuen, bisher unbekannten Weg einschlägt. Plötzlich stößt es die Eltern weg, lässt sich nicht beruhigen oder schmeißt sich gar auf den Fußboden. Trotz dieser offensichtlichen Ablehnung bedeutet das Verhalten nicht, dass die Kinder ihre Eltern nicht mögen, sondern nur, dass sie in diesem Moment von ihren Gefühlen überrannt werden und diese nicht mehr steuern können. Normalerweise wird ein Kind mit einer guten Eltern-Kind-Bindung immer irgendwann den Trost, die Nähe und Umarmung der Eltern suchen. Eltern sollten immer in der Nähe des Kindes bleiben, auch wenn es sich nicht anfassen oder beruhigen lässt. Wichtig ist das Wissen, dass die Eltern auch in dieser Situation da sind.
Kinder brauchen vor allem die Rückmeldung, dass auch diese Äußerungen von vermeintlich negativen Gefühlen auf Verständnis stoßen und erlaubt sind. Gefühle sollten durch die Eltern benannt werden. Ignorieren und Strafen wie z.B. Auszeiten führen in der Regel nur dazu, dass ein Kind noch mehr kämpft, um sich zu behaupten. Kinder wollen Eltern, die ihnen liebevoll notwendige, nicht willkürliche Grenzen vermitteln, sie mit den Kindern zusammen entwickeln, erneuern oder auch weglassen.
Mit zunehmend besserem Sprachgebrauch kann ein Kind seine Bedürfnisse besser artikulieren, das Denken wird differenzierter und die Reaktionen immer flexibler. Im Laufe dieser Entwicklung werden Trotzanfälle und aggressives Verhalten seltener. Kinder mit ca. 4, 5 Jahren werden in der Lage sein, grundsätzliche Grenzen anderer zu akzeptieren und nicht mehr egozentrisch alles um jeden Preis durchsetzen wollen. Mit viel Geduld und Verständnis werden sie sich zu autonomen, selbstbewussten Kindern entwickeln.

Dipl.-Päd. und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin Ines Kopp für Rabeneltern.org, Mai 2006

Literatur:

Dornes, M.: Der kompetente Säugling. Frankfurt a.M. 1993
Dornes, M.: Die frühe Kindheit. Frankfurt a.M. 1997
Dornes, M.: Die emotionale Welt des Kindes. Frankfurt a.M. 2000
Juul, J.: Das kompetente Kind. Reinbek bei Hamburg 2003
Rogge, J.-U.: Wenn Kinder trotzen. Reinbek bei Hamburg 2004

Zum Weiterlesen: Erste Hilfe bei Trotz

Wenn Kinder zurechtgewiesen werden und dann plötzlich lächeln, denken Erwachsene oft, die Seiten frech oder unbeeindruckt. Aber ist es wirklich frech?

Der Verhaltensforscher Vitus Dröscher hat eine andere Erklärung:

“Jeder Gesichtsausdruck hat bei Tieren seinen besonderen Sinn. So kann ein Halbaffe schon folgendes damit ’sagen‘: Er kann einem Rivalen drohen, indem er sein Maul weit aufreißt, aber dabei die Zähne bedeckt lässt. Zieht er aber bei nur etwas geöffnetem Maul, die Mundwinkel zurück und fletscht die Zähne, so bedeutet dies merkwürdigerweise das Gegenteil einer Drohung, nämlich die Versicherung, unter gar keinen Umständen beißen zu wollen, etwa in dem Sinne: Sieh, ich habe Zähne, mit denen ich beißen könnte, aber ich tue es nicht!

Der Ausdruck des Lächelns ist bei den Lemuren und Altweltaffen weiter verfeinert und ritualisiert worden. Es wurde zur Demutsgebärde. Wenn zum Beispiel ein schwacher Rhesusaffe die Prügelei mit einem stärkeren vermeiden oder nach einer Beißerei weiterer Verfolgung durch den Überlegenen entgehen will, grinst er ihn breit an und stoppt dadurch den Angriff…

Psychologisch ist das auch für den Menschen sehr aufschlussreich. Oft lächeln Kinder unvermittelt, wenn Lehrer oder Eltern sie scharf zurechtweisen. Leider gibt es viele Erwachsene, die diese Reaktion als Höhepunkt der Frechheit missdeuten. In Wirklichkeit aber ist das „Verlegenheitslächeln“ der Kinder ein Zeichen dafür, dass sie sich im Innersten getroffen fühlen und dadurch ein Verhaltensrelikt aus grauer Vorzeit ausgelöst wird: eine im Instinktgefüge verankerte Demutsgebärde.“

Aus: Vitus Dröscher, Aus Beißen wurde Lächeln, in: Die Zeit, 17.09.1965.

Verfasst von Rabeneltern

Zärtlichkeit gab es bei unseren Urahnen längst bevor sie lernten, mit dem Feuer umzugehen oder Steine zu schleifen.

(Lewis Mumford, The Conduct of Life)

Das Menschenbaby ist ein hilfloses Wesen zum Zeitpunkt seiner Geburt. Es ist praktisch unbeweglich, kann weder krabbeln, noch laufen, noch sprechen, und ist im hohen Maße eingeschränkt was seine Fähigkeit betrifft, mit Absicht zu handeln.  Im Gegensatz zu anderen Primaten kann es sich nicht einmal an seiner Mutter festhalten oder anklammern. Es muss getragen werden, wenn es von einem Ort zum anderen gelangen soll. 75 % seines Gehirns entwickelt sich erst nach der Geburt. Es kann nicht überleben, ohne die Hilfe von anderen Menschen. Jahre der Entwicklung vergehen, bis es für sich selber sorgen kann. Das Baby, hilflos und unreif in seiner Entwicklung, braucht eine Quelle der Fürsorge. Die Natur hat für diese Quelle gesorgt, die seine Bedürfnisse befriedigt – die Mutter.

Mütter sind biologisch und genetisch dafür gemacht, ihre Babys zu umsorgen. Die Mutter eines Neugeborenen hat alles, was Babys brauchen – Arme, um es zu halten, Brüste mit Muttermilch, die es ernähren und trösten, einen Körper, um ihn mit dem Baby zu teilen, eine Person, die das Baby schützt und für es da ist. Sie ist jemand, die mit den Fähigkeiten und den speziellen Eigenschaften ausgerüstet ist, die es ihrem Baby ermöglichen zu überleben und sich normal zu entwickeln, nach dem es geboren wurde. Mutter und Kind entwickeln sich nicht getrennt, sondern gemeinsam. Die Mutter ist die andere Hälfte des Wachsens, ein Prozess, der mit der Empfängnis beginnt und sich viele Jahre nach der Geburt fortsetzt. Obwohl Mutter und Kind nach der Empfängnis eigenständige Individuen sind, entwickeln sie sich als Einheit. Donald Winnicott, der englische Psychologe, sagte: „Es gibt nicht das Baby schlechthin, immer nur das Baby und noch jemand.“  Diese Aussage trifft die Realität des Menschenbabys auf den Punkt – eine Realität, die oft übersehen wird in unserer Gesellschaft, weil Babys unzulässiger Weise von der Geburt an, als eigenständige Individuen wahrgenommen werden.

Es ist nicht möglich vollständig das Menschenbaby oder seine Entwicklung zu verstehen, wenn man es getrennt von denjenigen betrachtet, die es versorgen. Es hat niemals ein Baby gegeben, das ohne die Hilfe und Unterstützung durch einen anderen Menschen – von extremen und unbewiesenen Ausnahme abgesehen, in denen Menschenbabys angeblich von Tieren aufgezogen worden sind – existieren konnte. Diese Menschen waren abnormal entwickelt, als sie gefunden wurden. Deswegen erscheint die Schlussfolgerung zulässig, dass ein menschliches Wesen sich ohne die Fürsorge von anderen Menschen abnormal entwickeln würde. Wenn wir also über Babys und ihre Bedürfnisse reden, dann müssen wir immer auch über die Mütter oder diejenigen, die diesen Platz einnehmen, reden. Die individuellen Bedürfnisse von Babys und was aus Babys einmal werden wird, ist nicht nur in ihren Genen festgeschrieben, sondern hängt sowohl von denjenigen ab, die für sie sorgen, als auch in welcher Gesellschaft sie aufwachsen.

Babys kommen nur mit einer Fähigkeit auf die Welt – die Fähigkeit Gefühle der Zärtlichkeit und Fürsorge bei anderen Menschen hervorzurufen, insbesondere und speziell bei ihren Müttern. Alles in einem Baby ist dafür gemacht, diese Art der Erwiderung auszulösen. Es ist klein, weich, angreifbar, harmlos und in Anspruch nehmend. Sein Bedürfnis nach Fürsorge und Schutz ist offensichtlich. Der Schrei des Babys macht seine Mutter (und andere Menschen) besorgt. Er ist ein Notsignal, das emotional gesunde Menschen mit dem Drang zu helfen, erwidern wollen. Mutter und Kind sind zunächst wie Fremde, aber die Mutter, die sich selbst als Lebensversicherung für das Kind versteht, baut eine untrennbare Einheit auf, in der jeder Teil des anderen ist. Die Mutter wird der Jemand, der es möglich für das Baby macht zu überleben und sich weiter zu entwickeln nach der Geburt.

Ein Baby wird kurz nach der Geburt zu lächeln beginnen, angenehme und einnehmend glückliche Geräusche von sich geben, seine Mutter erkennen und erforschen, um dann zu lachen, sich ausstrecken sie zu berühren und umarmen, alles tun, das die liebevolle Anziehung der Mutter zu ihm steigert. Es wird zeigen, dass es genießt, mit seiner Mutter zusammen zu sein, dass es ihr Nahe sein will, dass es kein Fremder ist, sondern ein freundliches, soziales Wesen, das alle menschlichen Emotionen hat, wie seine Mutter. Mutter und Baby sind nach der Geburt zwar strukturell getrennt, d. h. nicht mehr durch die Plazenta verbunden, sie sind jedoch nicht physisch oder emotional getrennt. Sie entwickeln sich zu einem stillenden Paar, Tag und Nacht in engem körperlichen Kontakt – ein Paar, dessen Gefühle und Launen miteinander korrespondieren. Eine Mutter lächelt, wenn ihr Baby lächelt, lacht, wenn ihr Baby lacht, ist verstört, wenn ihr Baby verstört ist, ist zufrieden, wenn ihr Baby zufrieden ist, und traurig, wenn ihr Baby unglücklich ist. Ein Baby lächelt, wenn seine Mutter lächelt, lacht, wenn sie Geräusche der Freude macht, ist verunsichert, wenn seine Mutter verunsichert ist, es ist verstört, distanziert, ärgerlich oder nicht zugänglich, wenn es bei ihr sein will und sie nicht da ist. Die Mutter-Kind Beziehung, ist wegen ihrer körperlichen Intimität, der starken gegenseitigen Abhängigkeit, und der Notwendigkeit eine Einheit zu bilden hinsichtlich Funktion, Zusammenarbeit, Einfühlung und Identifikation, wohl die sozialste aller menschlichen Beziehungen. Keine andere Beziehung, inklusive der eines erwachsenen Paares, fordert die Vorstellungskraft, das Einfühlungsvermögen in die andere Person so heraus, denn die Beziehung ist zunächst nonverbal und verläuft für weitere Jahre auf geringem verbalen Niveau. Ein Baby kann sich nicht sprachlich ausdrücken, wer es ist, was es fühlt oder was es braucht oder wünscht. Die Mutter muss sich an die „vergessene Sprache“, die nonverbale Kommunikation herantasten, die einst der einzige Weg des Menschen war (bevor sich die Sprache entwickelte), sich seiner Gefühle auszudrücken.

Für ein Baby, das angeboren sozial ist, ist die Beziehung zu seiner Mutter die Einführung in die Menschheit, seine erste menschliche Beziehung, die die Grundlage schafft für alle seine weiteren in der Zukunft. Für die Mutter ist das Kind die Gelegenheit, ein anderes menschliches Wesen zu ernähren und es liebevoll zu umsorgen, unmittelbar an seiner Entwicklung und des Erwachsenwerdens teilzuhaben. Dabei profitiert sie selber hinsichtlich der Stärkung ihrer sozialen Kompetenz.Ein Baby weiß zunächst weder, dass es eine Reaktion bei seiner Mutter hervorrufen kann, dass es die Macht hat, sie für sich einzunehmen, noch dass es irgendetwas tun kann, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Es vertraut – ohne es zu wissen – auf Millionen von Jahren mütterlicher Evolution, der Tatsache also, dass es ein Baby ist, und die Mutter seine Mutter, um Fürsorge und Nahrung zu erhalten, auf die Fähigkeiten einer Mutter, die ihr von Natur aus gegeben sind, damit sie ihre Kinder versorgen kann.

Wir sind eine Art, deren Existenz genetisch auf der Fähigkeit beruht, fürsorglich gegenüber Leben, das wir gezeugt haben, zu empfinden und dem Vermögen, dieses Leben vor und nach der Geburt zu versorgen.

Vor der Geburt folgt der Versorgungsprozess seinen eigenen biologischen und genetischen Vorgaben, und seine Hartnäckigkeit kann nur durch Fehlgeburt oder Abtreibung gestoppt werden. Der Körper einer Mutter unterstützt so gut, wie er es vermag, das Gedeihen des Embryos und Fötus. Selbst ungewollte Schwangerschaften bringen gesunde Babys hervor. Für viele Menschen mag die Zeit der Schwangerschaft (weil unabhängig von kulturellen Gegebenheiten) die einzige im Leben bleiben, in der sie auf normale menschliche Art und Weise versorgt wurden.

Bei den Säugetieren endet die Schwangerschaft nicht mit der Geburt. Der Ernährungsprozess nach der Geburt, obwohl genetisch und biologisch eine Fortsetzung der Vorgänge während der Schwangerschaft, ist leider kein Automatismus. Bei den Menschen kann die Mutter wählen, möglicherweise beeinflusst von kulturellen Gegebenheiten, diesen natürlichen Fortgang zu unterbrechen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Mütter unserer Urahnen sehr viel mehr von hormonellen, instinktiven und reflexartigen Prozessen gesteuert waren hinsichtlich der Versorgung ihrer Neugeborenen, als die Mütter unserer Zeit. Heutzutage ist Fürsorge für unsere Babys und Kleinkinder hauptsächlich bewusst gesteuert, und je mehr das bewusste Handeln von der jeweiligen Kultur bestimmt wurde, unterliegt der Umgang mit Kindern Vorgaben, die stark beeinflusst von den sozialen und ökonomischen Strukturen einer Gesellschaft werden.

Babys werden längst nicht mehr so umsorgt, wie es ihnen von Natur aus zukommt, sondern umgekehrt, sie müssen sich den vorherrschenden Normen anpassen. Wir Menschen sind dafür prädestiniert unseren Nachwuchs zu stillen, in den Armen zu wiegen, zu tragen, mit ihm zu schmusen und so fort. Wir sind sehr wohl in der Lage intellektuell zu erkennen, dass dies der beste Umgang für Menschenbabys ist. Wir können, sowohl als Einzelpersonen, als auch als Gesellschaft, Mütter dazu ermutigen, ihre Babys zu stillen, sie ihm positiven Sinne zu verwöhnen. Trotzdem, Verstand ist wie ein zweischneidiges Schwert. Vor unserem kulturellen Hintergrund können wir beispielsweise der Meinung sein, dass die biologische Mutterschaft unwichtig ist, weder notwendig für das Kind, noch wünschenswert im Hinblick auf die Errungenschaften der Frauenbewegung. Oder, wir können der Meinung sein, zu viel Fürsorge führt nur dazu, dass Babys verzogen werden und ist deswegen schädlich für ihre Entwicklung. Oder wir sind der Meinung es gäbe gute Gründe, dass Kinder mit Behinderungen oder Krankheiten oder aufgrund ihrer Herkunft lieber gar nicht erst geboren werden sollten.

Wir können sicher sein, dass über den größten Zeitraum der Menschheitsgeschichte hinweg,  Mütter, Bemutterung und das Verlangen eines Babys nach seiner Mutter sehr hoch geschätzt wurden und von der jeweiligen gesellschaftlichen Gruppe als erste Priorität eingestuft wurden. Wenn dies nicht der Fall gewesen wäre, wir hätten nicht überleben können als Art, die der Bemutterung bedarf. Mutter und Kind hätten nicht lange nur auf sich gestellt überleben können getrennt von ihrer Gruppe, sondern nur mit ihrer Hilfe und Unterstützung.

99% aller Menschen, die jemals lebten, waren Jäger und Sammler. Studien über Jäger und Sammler Gesellschaften, beweisen, den hohen Stellenwert der Mutter, die ihr Kind umsorgt. Respekt und Unterstützung der ganzen Gruppe wurden ihr zuteil. Trotzdem, in der Vergangenheit bis heute, hat es sich insbesondere in der westlichen Welt durchgesetzt, die Notwendigkeit der biologischen Mutter, die ihr Kind umsorgt, in Frage zu stellen. Mütter in sämtlichen Kulturen und zu den unterschiedlichsten Epochen wurden dazu ermuntert, zärtliche Gefühle für ihre Babys zu unterdrücken, entmutigt ihre Kinder auf die biologische Art und Weise des Menschseins zu umsorgen und ihre Babys in fremde Hände zu geben. Zeugen dieser historischen Fakten sind die Amme und das Fläschchen. Beide dieser kulturellen Errungenschaften Babys mit Nahrung zu versorgen haben – zu unserem Kummer – erfolgreich ihr Ziel erreicht, nämlich die natürliche Mutter-Kind-Beziehung zu zerstören. Sie haben die biologischen Bedingungen für den Fortpflanzungsprozess des Menschen dramatisch verändert, die Art und Weise, wie sich menschliches Leben entwickelt, und vielleicht auch, wie sich der Mensch an sich entwickeln wird.

Schaut man sich die Bedingungen an, unter denen Kinder in der Vergangenheit in der zivilisierten Welt aufwachsen mussten, so stellt sich heraus, dass sie durchaus nicht immer willkommen waren. Zu den unterschiedlichsten Zeiten und aus den unterschiedlichsten Gründen wurden Kinder als böse, gefährlich, belastend, wertlos, unerwünscht und entbehrlich angesehen. Und so wurden sie auch behandelt. Lloyd de Mause schreibt in seinem Buch – Die Geschichte der Kindererziehung – : „Die Geschichte der Kindheit ist ein Alptraum aus dem wir erst jetzt langsam aufwachen. Je weiter man in der Geschichte zurück geht, desto erniedrigender ist der Erziehungsstil und desto wahrscheinlicher für ein Kind, getötet, im Stich gelassen, geschlagen, terrorisiert und sexuell missbraucht zu werden.“

De Mause bezieht sich hierbei auf die zivilisierte Welt und nicht auf Gesellschaften, die außerhalb dieser Welt leben. Die Geschichte der Jäger und Sammler ist eine andere, betrachtet man die Umstände, die de Mause benennt. Studien von Anthropologen, die Jäger und Sammer Gesellschaften untersuchten, fanden heraus, dass in diesen Gesellschaften die Kindheit keineswegs als Alptraum zu beschreiben wäre.  Im Gegenteil, die Erziehung wird als nachsichtig bezeichnet. Je mehr diese Gruppen jedoch Kontakt mit den sogenannten Zivilisierten hatten, desto weniger umsorgten sie ihre Kinder und desto strenger und gewalttätiger wurden sie, harte Strafen kamen in Mode.

Menschen sind dazu gemacht in eine natürliche Welt geboren zu werden und sich dieser Welt anzupassen. Entscheidend für das Überleben unserer Art war es,  als Gruppe zusammenzuarbeiten. Das menschliche Individuum, verglichen mit den Tieren, ist nur unzureichend ausgerüstet, um in der Wildnis zu überleben. Wir haben keine Klauen oder Reißzähne, die als Waffen dienen könnten, wir sind langsam und wir haben keine Schutzschilde. Selbst unser Großhirn in Verbindung mit manueller Geschicklichkeit, die es uns ermöglicht nach unserer Vorstellung Werkzeuge herzustellen, wäre nur von geringem Wert, würden wir nicht befähigt sein, als Gruppe zu agieren. Tatsächlich ist es unsere Intelligenz, die es uns ermöglicht verbal zu kommunizieren, unsere Vorstellungskraft zu wecken, uns in andere hineinzudenken, uns einzufühlen, und so die Menschen in die Lage versetzt zusammenzuarbeiten. Unsere Eigenschaften, die unser Überleben in der modernen Welt sichern, wie z. B. Unabhängigkeit, Konkurrenzdenken, Egoismus und Gleichgültigkeit gegenüber dem Leid anderer, wären wahrlich schlechte Karten würden wir unter den Jägern und Sammlern zurechtkommen wollen. Unsere Anpassungsfähigkeit war dadurch gekennzeichnet, gemeinsam mit anderen unser Leben zu meistern und nicht in dem wir uns als Individuen verstanden, die nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht waren.

Die wechselseitige Beziehung zwischen Mutter und Kind hat ihre Wurzeln in der Fähigkeit der Mutter, für das Leben zu sorgen, das sie geboren hat und ist die Grundlage für jegliche menschliche Beziehung und Fundament unserer Gesellschaft.

Sie erlaubte dem Neugeborenen in einem unreifen Zustand auf die Welt zu kommen und sich langsam nach seinem ganz persönlichen Plan zu entwickeln in einem liebevollen Umfeld. Auf diese Weise stellte die Natur sicher, dass die Nachkommen sich als Teil eines Ganzen verstanden, die ein Geben und Nehmen als selbstverständlich verinnerlicht hatten. Wir wären eine vollkommen andere Art, würden wir reif entwickelt und ohne die Notwendigkeit der Bemutterung auf die Welt kommen.

Das Menschenbaby von heute, egal wo es auf der Welt geboren wird, hätte keinerlei Schwierigkeiten in der Jäger und Sammler Gesellschaft klar zu kommen. Es ist für diese Art der Gesellschaftsform gemacht. Umgekehrt, jedes Baby, das heute geboren wird, gehört nicht in diese moderne Welt, kein Baby, das jemals geboren wurde, gehörte hier hin. Babys (und Mütter) haben sich nicht verändert hinsichtlich der biologischen Fortpflanzung und genetischen Vorgaben, es ist die Gesellschaft, die das Verhalten von Müttern zu ihren Babys verändert hat. Wir schätzen und unterstützen weder die Bemutterung von Babys, noch die Bedürfnisse eines Babys, sich in liebevoller Umgebung entwickeln zu dürfen. Wir sind abgewichen von dem Umsorgungsaspekt des Fortpflanzungsprozesses, in dem wir Babys „Jemand“ verändert haben.

In einer Gesellschaft, in der Babys ohne die Gegenwart ihrer Mütter leben und sich entwickeln, all zu oft ohne menschliche Zärtlichkeit, führt dazu, das einige Babys, wenn nicht sogar die meisten, sich anders entwickeln, als es ihnen von Natur aus mitgegeben wurde. Babys müssen sich abfinden mit  Ersatzobjekten für ihre Mütter, künstliche Säuglingsmilch, Stubenwagen, Überwachungsgeräten, Kuscheltieren, Schnullern, etc. All dies führt dazu, dass aus solchen Babys andere Erwachsene werden, als sie durch natürliche Bemutterung geworden wären. Lieblos aufgezogene Kinder wachsen ohne Verinnerlichung von Zärtlichkeit auf. Ihnen gehört unser Mitleid.

Babys brauchen Zärtlichkeit. Sie werden unglücklich ohne sie. Zärtlichkeit bedeutet Menschlichkeit.

Quellen:

Beekman, Daniel. The Mechanical Baby. Westport, CT: Laurence Hill, 1977.
deMause, Lloyd. The History of Childhood. New York: The Psychohistory Press, 1974.
Mumford, Lewis. The Conduct of Life. New York: Harcourt, Brace, 1951.
Nanda, Serena. Cultural Anthropology, Third Edition. Belmont, CA: Wadswoth Publishing, 1987.
Winnicott, D. The Family and Individual Development. New York: Basic Books, 1966.

Mit freundlicher Erlaubnis zur Veröffentlichung von Karen Koevary, Tochter von James Kimmel. Der Originaltext mit dem Titel – The Human Baby – ist nachzulesen unter: http://www.naturalchild.org

übersetzt aus dem Englischen von eulalie für Rabeneltern.org

Auszug aus einem Vortrag zum Thema:
„Erziehung zum psychisch gesunden Menschen“

Diese These richtet sich gegen die vielgehörte Warnung sogenannter erfahrener Großmütter: „Pass auf, du verziehst, verwöhnst dein Baby!“

Nein, ein Baby kann nicht verwöhnt werden!

Im Vergleich zu allen anderen Säugetieren ist der Mensch auch nach neun Monaten im Mutterleib noch eine extreme Frühgeburt! Kein anderes Säugetier kommt so unfertig und hilflos zur Welt. Bei dieser begrenzten selbstständigen Lebensfähigkeit des menschlichen Neugeborenen, müsste der Mensch eigentlich noch mindestens ein halbes Jahr länger im Mutterleib bleiben. Wir Eltern sollten unseren Kindern die ersten Lebensmonate nach Möglichkeit so gestalten, dass die Umstände der Zeit im Mutterleib ähnlich sind. Dazu gehört z. B. auch, das kleine Baby möglichst viel am Körper zu tragen, wie es viele Naturvölker, auch die Indianer, heute noch tun.

Möglicherweise werden solche Babys später sehr lebhafte, wache, fordernde, selbstbewusste und unbequeme Kinder, sicher auch manchmal für die Eltern nicht leicht zu habende Kinder. Ich denke, dass sind psychisch gesunde Kinder.

Die Angst, ein kleines Baby zu sehr zu verwöhnen, ist laut Prim. Dr. Franz Paky, dem Leiter der Kinderabteilung am LKH Vöcklabruck, Österreich, völlig unbegründet. Im Gegenteil: Um das Selbstwertgefühl aufzubauen und zu stärken, sollten gerade Babies mit Liebe, Zuneigung und Pflege reichlichst umsorgt werden.

„Beim Kontakt mit Eltern, die ihr Kind wegen exzessiven Schreiens in unsere Beratungsstelle bringen, werde ich immer wieder mit dieser Verwöhn-Angst konfrontiert“, erzählt Prim. Paky. „Diese Angst ist weit verbreitet und wird von Generation zu Generation weitergegeben. Die Befürchtung ist, dass die Berücksichtigung kleinkindlicher Bedürfnisse dazu führt, dass das Kind Macht ausüben könnte und die Eltern dieses angebliche Verwöhnen bis ins Erwachsenenalter des Kindes fortführen müssten und sich so zum Sklaven des Kindes machten.“

Probleme durch Missachten des Verwöhnens
Schlafstörungen, Schreiattacken, Fütterungs- und Stillprobleme und auch spätere Beziehungsprobleme des Kindes wären wesentlich entschärft, würden die Eltern diese Angst vor Verwöhnung aufgeben und keine künstliche Distanz, Kälte und Härte zum Kind aufbauen.

„Werden Kleinkinder nämlich chronisch auf Distanz gehalten und ihre subtilen Signale nach Befriedigung von Hunger, Durst, Streicheln und Zuneigung nicht berücksichtigt, übergangen oder irgnoriert, sind die Babies automatisch dazu gezwungen, sich z.B. mit Schreiattacken bemerkbar zu machen“, will Prim. Paky aufklären, „auch ist die Verwöhnung die Voraussetzung dafür, dass man das Kind auch wieder entwöhnen kann. Das heißt: Hält man das Baby die ersten Lebensmonate immer von sich fern, wird es in der Zeit, wo es sich in der normalen Entwicklung zum ersten Mal von den Eltern löst, im 9. Und 10. Lebensmonat, Probleme mit der Loslösung haben, weil es ja nie die Nähe der Eltern gespürt hat.“

Studien zeigen die Vorteile des Verwöhnens
Eine Studie der Brown University in Rhode Island zeigt, dass Kinder von Müttern, die schneller auf das Schreien von Babies reagieren, mit eineinhalb Jahren sprachlich und intellektuell besser entwickelt sind. Eine Studie in Manchester zeigt, dass durch das raschere Reagieren auf Signale des Babies das Schreien insgesamt reduziert wird. Eine Studie aus 1989 an gestillten Neugeborenen hat gezeigt, dass kräftiges Schreien um die Brust die Trink-Atem-Koordination eher verschlechtert und zu vorzeitiger Erschöpfung führt.

Hunger immer sofort stillen
Wenn man sein Baby genau beobachtet, kann man erkennen, dass es lange vor dem Schreien viele Signale gibt, die den Hunger unmissverständlich zum Ausdruck bringen.
Diese subtilen Zeichen sollten seitens der Eltern unmittelbar wahrgenommen werden. „Geschieht dies nicht, gerät das Kind vor Hunger so außer Rand und Band, dass es zu Schreiattacken und dann auch zu Fütterungs- und Stillproblemen kommt. Durch die Wut und den Hunger der Babies ist dann nicht nur die Atem-Trink-Koordination gestört, sondern auch bereits ein Erschöpfungszustand eingetreten, der dazu führt, dass zuwenig Nahrung aufgenommen wird. Das Kind schläft ermüdet und noch hungrig ein und schreit nach kurzer Zeit wieder nach Nahrung“, erklärt Prim. Paky. „Die Eltern reagieren dann meist aus Angst vor Verwöhnung mit Ignoranz und der Prozess setzt sich ständig verstärkend fort, bis die Eltern Hilfe beim Arzt suchen.“

Handeln nach Gefühl und Instinkt
Paky appelliert daher an die jungen Eltern: „Verwöhnen Sie Ihr Baby! Auch durch Herumtragen im Tragetuch! Achten Sie bewußt auf kleinste Signale des Kindes und orientieren Sie sich daran, was Ihnen Ihr eigenes Gefühl bzw. Ihr Mutter- und Vaterinstinkt sagt!“

Mit freundlicher Genehmigung für Rabeneltern.org vom LKH Vöcklabruck, Österreich

Mütterliches Verhalten bei den Primaten ist intensiv von Zoologen erforscht worden und keiner hat sich gegen die Verwendung des Begriffs – Affenmutter- ausgesprochen. Umgekehrt, der Begriff –Affenvater- ist selten, wenn überhaupt ernsthaft in Erwägung gezogen worden und die meisten Zoologen würden es ablehnen, diesen Begriff zu benutzen. Vater impliziert eine menschenähnliche Beziehung basierend auf Verwandtschaft in einer monogamen Familie und ist anthropologisch besetzt.

G. D. Mitchell
Paternalistic Behavior In Primates (1)

Menschen sind Säugetiere, d. h. sie wachsen in der Gebärmutter und werden nach der Geburt an den mütterlichen Milchdrüsen gesäugt. Der natürliche Fortpflanzungsprozess des Menschen endet nicht mit der Geburt, sondern das Neugeborene entwickelt sich weiter in engem Kontakt zu seiner Mutter.  Der natürliche Fütterungstrieb des Muttertiers ist lebensnotwendig für den Fortbestand der Säugetiere. Männliche Tiere sind erforderlich, um neues Leben zu zeugen. Sobald jedoch das Sperma die Eizelle befruchtet hat, endet die biologische Rolle im Fortpflanzungsprozess. Das befruchtete Ei in der Gebärmutter und der Säugling nach der Geburt sind nicht auf die Fürsorge des männlichen Elternteils angewiesen, um zu leben und sich zu entwickeln. In Anbetracht der Tatsache, dass die Männchen biologisch nicht notwendig sind für das Gedeihen der Jungen, wurde dennoch herausgefunden, dass väterliche Fürsorge (2) bei 10 % der Säugetiere (3) stattfindet.

Diese Zahl sagt vermutlich mehr aus über das Verhältnis zwischen Männchen und Weibchen, als über das tatsächliche Potential der Männchen fürsorglich zu sein. Es ist wichtig für das Verständnis elterlichen Verhaltens zu erkennen, dass Säugetierjunge sich ihren Müttern anvertrauen. Wenn der Vater nicht regelmäßig in Verbindung zur Mutter steht, wird er keinen besonderen Kontakt zu dem Leben aufbauen, das er selber zeugte. Mann-Frau-Beziehungen sind eher ungewöhnlich unter den Säugetieren. Eigentlich treffen sich die Geschlechter nur zum Akt der Zeugung. In diesen Fällen gibt es keine gemeinsame Sorge um das Baby, denn der Vater ist weder während der Geburt, noch während der Zeit des Aufwachsens anwesend. Männliche und weibliche Tiere leben in Herden, ohne größeren Kontakt untereinander.   Die Männchen agieren oftmals als Verteidiger der gesamten Gruppe gegenüber Angreifern, aber nicht insbesondere hinsichtlich ihrer eigenen Nachkommen (4). Es gibt allerdings Ausnahmen. Einige Arten, z. B. Wölfe und Löwen, leben in Paarbindungen. Männchen und Weibchen leben zusammen in einem Rudel, die in Gruppen jagen. In diesen Fällen sind die Männchen mit ihren Nachkommen involviert. Sie verhalten sich oft beschützend gegenüber ihrem Partner und den Neugeborenen und beteiligen sich an der Futtersuche für die Jungen, nach deren Säugezeit. Man kann sicher davon ausgehen, dass dieses elterliche Verhalten ungewöhnlich für Säugetiere ist, dennoch nicht ungewöhnlich für solche, die monogam leben oder in Paarbeziehungen (auch dann, wenn die Beziehung nur zeitweise aufrecht erhalten wird, während das Neugeborene sich entwickelt (5).

Menschen gehören zur Gruppe der Primaten. Unter den Primaten ist elterliches Verhalten eher rar. Das ist nicht unbedingt so, weil die Männchen weniger Interesse an ihren Nachkommen haben, sondern weil die Weibchen es ihnen im allgemeinen nicht erlauben, den Neugeborenen zu nahe zu kommen. Die Männchen vieler Primatenarten haben sich als Gefahr für ihren Nachwuchs ausgezeichnet. Umgekehrt, Männchen zeigen auch beschützendes Verhalten gegenüber Müttern und ihrem Nachwuchs (6). Die Gelegenheit der Primatenmännchen mit ihren Jungen Kontakt zu pflegen hängt zum großen Teil von der Gruppe ab, in der sie leben. Es gibt eine Reihe unterschiedlichen Gruppenverhaltens unter den Primaten und zwar sowohl Nur-Weibchen-und-Nachwuchs-Gruppen, Nur-Männchen-Gruppen, Weibchen-Gruppen, Ein-Männchen-und-viele-Weibchen-Gruppen, als auch gemischte Gruppen. Einige Gruppen sind nur lockere und offene Gemeinschaften, während andere streng hierarchisch organisiert sind. Die einzig beständige Beziehung in allen Gruppen, ist die zwischen Mutter und Kind. Die spezielle Verbindung zwischen Mutter und Kind ist atypisch für Vater und Kind, selbst dann, wenn Männchen und Junge in einer Gruppe zusammen leben. Das bedeutet nicht, dass Männchen sich nicht auch um ihre Jungen kümmern. Sie wurden beobachtet, wie sie den Nachwuchs beschützten, bei der Fellpflege, beim Spiel, bei der Futtersuche.

Unter vielen Arten der neuzeitlichen Affen, zeigen die Männchen deutliche Anzeichen fürsorglichen Verhaltens. Das Männchen der Titi-Affen beispielsweise trägt seinen Nachwuchs so gut wie ständig mit sich herum. Sein Verhalten gegenüber den Jungen ist praktisch gleich dem der Mutter mit der Ausnahme des Säugens. Elterliche Fürsorge und Tragen der Nachkommen ist üblich bei den panamesischen Nachtaffen und den Marmosetaffen. Männchen und Weibchen leben bei diesen Arten in Paarbeziehungen (7). Elterliches Verhalten ist weniger verbreitet unter den Affen prähistorischer Zeit und den Menschenaffen. Trotzdem, die Männchen zeigen häufig beschützendes Verhalten gegenüber ihren Nachkommen und genießen es, mit ihnen zu spielen. Paviane zeigen angemessenes elterliches Verhalten. Unter den verschiedenen Arten der Paviane, tragen die Männchen ihre Jungen, ja sie adoptieren sogar fremden Nachwuchs (8). Man kann das Verhalten der Primaten nicht verallgemeinern. Es gibt zu viele Besonderheiten zwischen den Arten und innerhalb einer Art. Aber, ähnlich wie bei anderen Säugetieren, ist der entscheidende Faktor des väterlichen Verhaltens bei den Primaten, die Mutter zu begleiten und ihr ein Partner zu sein. Neugeborene Primaten hängen emotional an ihrer Mutter, die sie liebevoll umsorgt. Außer der Vater ist ebenfalls emotional der Mutter zugewendet und umgekehrt, ist es sehr unwahrscheinlich, dass er viel Kontakt zu seinem Nachwuchs hat. Obwohl wir nicht wissen, ob Väter schon immer ein Teil der menschlichen Familie gewesen sind, Fakt ist, dass irgendwann in der Vergangenheit, Männer anfingen eine Vaterrolle einzunehmen. Margret Mead sagt dazu:

Wenn wir alle menschlichen Gesellschaften untersuchen, so finden wir überall so etwas wie eine Familie, ein dauerhaftes Abkommen, in dem Männer Frauen bei der Versorgung der gemeinsamen Kinder unterstützen, solange die Kinder klein sind. Der entscheidende menschliche Aspekt dieses Unterfanges liegt weder darin, dass Männer ihre Familie beschützen – das haben wir mit den Primaten gemein. Noch liegt er im männlichen Verhaltensmuster, Besitzansprüche gegenüber den Frauen zu stellen zum eigenen Vorteil  – auch das haben wir mit den Primaten gemein. Der entscheidende Unterschied liegt vielmehr im fürsorglichen Verhalten der Männer, die sich mit um die Nahrungsbeschaffung für Frauen und Kinder kümmern.   Irgendwann in der Vorzeit der menschlichen Geschichte, fand eine soziale Erfindung statt, die sicherstellte, dass Männer sich um ihre Familien sorgten. Der Mann, Hüter der Tradition, versorgt Frauen und Kinder. Es gibt keine Hinweise dafür, dass Männer ohne Sozialisierung, diese Aufgabe wahrnehmen würden (9).

Es sollte nicht überraschen, dass der Mann, obwohl er im biologischen Sinne keine väterliche Rolle ausfüllt, sich liebevoll und fürsorglich um andere kümmert, die ihm Nahe stehen. Fürsorge und liebevoller Umgang miteinander sind keine Kuriositäten, sondern überall dort zu Hause, wo sich soziale Strukturen unter den Arten entwickelt haben. Nichtsdestotrotz, das fürsorgliche Verhalten des Mannes ist normalerweise eines, das angelernt ist oder durch kulturelle Gegebenheiten ihm mitgegeben wird.

Margaret Mead glaubte, dass väterliche Fürsorge eine soziale Erfindung war. Dies ist eine übliche Annahme in der westlichen Zivilisation, in der Menschen als unsozial und verantwortungslos (Mütter sind in diesem Zusammenhang eine Ausnahme auf begrenzte Zeit) wahrgenommen werden. Die Ansicht, dass Männer sich nicht von Natur aus fürsorglich um ihren Nachwuchs  kümmern, ist im allgemeinen unumstritten unter Wissenschaftlern, die sich mit diesem Thema eingehend befasst haben. David

Blankenhorn behauptet:

…Vaterschaft, sehr viel mehr als Muttersein, ist eine kulturelle Erfindung. Die Erfüllung dieser Aufgabe für den jeweiligen Mann beruht weniger auf einer biologische Vorgabe, sondern auf kulturellen Gegebenheiten – eine Sozialisierung, die ihn zu bestimmten Tun veranlasst und so sein Selbstverständnis als Mann in der Gesellschaft prägt (10).

Blankenhorn sagt weiter:

Ein Vater erfüllt seine grundlegende biologische Aufgabe im Moment der Zeugung – 9 Monate bevor das Kind geboren wird. Da die soziale Vaterschaft nur indirekt mit der biologischen verknüpft ist, kann die Verbindung beider nicht einfach vorausgesetzt werden. Der Begriff – ein Kind zu machen – ist normalerweise auf den Zeugungsakt beschränkt und hat nichts mit der Verantwortung, ein Kind aufzuziehen gemein. Das, was Väter beitragen zur Erziehung ihrer Kinder ist zum größten Teil kulturell bedingt (11).

Der Glaube, dass Vaterschaft keinen biologischen Ursprung hat wird unterstützt durch die Tatsache, dass praktisch während der gesamten menschlichen Zivilisationsgeschichte, Männer Kinder zeugten, um nach der Geburt nichts mehr mit ihnen zu tun zu haben. Die Natur hat Männern die Möglichkeit mitgegeben, die Entstehung neuen Lebens – anders als bei den Frauen – zu ignorieren, in dem Männer nicht wissen können, ob sie eine Frau geschwängert haben oder nicht. Hinzu kommt, dass diese Tatsache Männer häufig nicht interessiert oder es ihnen egal ist. Es ist nicht ungewöhnlich für einzelne Väter kaum oder gar keinen Kontakt zu ihren Kindern zu pflegen. Es ist ebenfalls nicht ungewöhnlich für Väter, gewalttätig gegenüber ihren Kindern zu werden oder sie gar zu missbrauchen. Obwohl die Menschen die einzigen Primaten sind, bei denen väterliches Verhalten dauerhaft vorkommt, bleibt es dennoch Tatsache, dass nicht alle Kinder einen fürsorglichen Vater haben oder gar überhaupt einen. Studien über Menschengruppen, die außerhalb der Zivilisation leben, haben ergeben, dass nur wenige Kinder Väter haben, die nicht mit ihnen leben oder die nicht fürsorglich sind. In Jäger und Sammler Gesellschaften, werden Mutter und Vater, sowie andere männliche und weibliche Mitglieder der Gruppe von Anthropologen im allgemeinen als nachsichtig und fürsorglich gegenüber allen Kindern beschrieben.  Trotz des grundsätzlichen Glaubens in der westlichen Welt, der Mensch wäre primär von egoistischen Motiven und Instinkten gelenkt, ist es viel eher anzunehmen, dass  unsere prähistorischen Verwandten Individuen waren, die füreinander da waren und die sich umeinander gekümmert haben. Der Gedanke, menschliche Individuen wären grundsätzlich egoistisch und verantwortungslos, und um ein soziales Wesen zu werden, müsste der Mensch diese Eigenschaften zu unterdrücken lernen, ignoriert die Notwendigkeit der  menschlichen Fürsorge und ihren bedeutenden Einfluss auf die persönliche Entwicklung und die Auswirkung auf das Leben in der Gruppe insgesamt. Beide, Frau und Mann, sind von Natur aus dazu bestimmt, in Beziehung zu ihrer fürsorglichen Mutter zu wachsen und sich zu entwickeln. Die natürliche Bemutterungsprozess leistet viel mehr, als Kinder nur am Leben zu erhalten. Er führt in ein Leben ein, das gekennzeichnet ist vom Miteinander, von Liebe und Fürsorge. Bemutterte Kinder lernen, dass Geborgenheit und das Stillen ihrer Bedürfnisse untrennbar zum liebevollen Miteinander der Menschen  gehört. Vor diesem Hintergrund sind Sozialkompetenz und Sozialisation natürliche Folgen des Bemutterungsprozesses. Bemutterung ist die Wurzel für die Art und Weise wie wir mit anderen Menschen umgehen. Die Mutter, die ihren Kindern Nähe gibt und für sie da ist, schafft den Boden, auf dem Fürsorge für andere gedeiht und den selben Stellenwert hat, wie die Liebe für sich selbst. Männer haben keine biologische Vaterrolle. Aber diese Tatsache schließt sie nicht aus, sich fürsorglich um andere zu kümmern, insbesondere um Kinder. Während ihrer Kindheit waren sie Teil des natürlichen Bemutterungsprozesses. Menschenbabys müssen Sozialverhalten nicht erlernen, es ist ihnen von Natur aus mitgegeben worden. Wir könnten nicht überleben, wären wir nicht von vornherein soziale Wesen. Um diese Fähigkeit nicht zu verlernen, ist die Anwesenheit, sowohl einer liebevollen Mutter, als auch liebevoller Mitmenschen erforderlich. Es sind nicht nur die Mütter, die zur Art der Säugetiere gehören. Beide, Männer wie Frauen werden zu fürsorglichen Erwachsenen wie ihre Mütter, wenn sie im Sinne des natürlichen Bemutterungsprozesses aufwachsen. Die Tatsache, dass es Männer gibt in allen Gesellschaften, die wir kennen, die sich um ihre Partnerinnen und Kinder kümmern, sollte Beweis genug sein, dass fürsorgliches Verhalten nicht eine exklusive Fähigkeit ist, die nur Frauen haben.  Wir können alle „Mütter“ werden, auch ohne Gebärmutter und Brüsten mit Muttermilch. Väterliches Verhaltens ist nicht in der Biologie des Mannes oder in der Notwendigkeit, „egoistische Gene“ an ihre Nachkommen weiterzugeben, verwurzelt, wohl aber in der genetischen und biologischen Notwendigkeit einer liebevollen Bemutterung der Nachkommen. Die Art und Weise wie Männer als Babys und Kinder von ihrer Mutter umsorgt wurden, legt bereits weitgehend fest, ob und wie sie sich später väterlich Verhalten werden. Ohne Bemutterung gäbe es keine fürsorglichen Väter. Fehlt eine angemessene Bemutterung oder ist diese gar unzureichend, dann führt dies dazu, dass Männer eher nicht in der Lage sind, fürsorgliches Verhalten anzunehmen, welches notwendig ist, um als Erwachsener ein liebevoller Partner und Vater zu sein.

Väterliches Verhalten entstand, weil Männer, als auch Frauen, sich in Beziehung zu einer fürsorglichen Mutter und anderen Mitmenschen entwickelten. Allerdings, allein die Bemutterung reicht nicht aus, damit sich väterliches Verhalten durchsetzen kann. Wie wir bei den Säugetieren gesehen haben, gehört dazu auch die Möglichkeit der Väter, an der Versorgung und Aufzucht der Nachkommen beteiligt  zu sein. Denn, wie wir bereits feststellten, haben die meisten männlichen Säugetiere und Primaten, unabhängig von der Bemutterung während sie heranwuchsen, sehr wenig Kontakt zu ihren Jungen. Um diesen Kontakt Vätern  zu ermöglichen, müssen Männer und Frauen Beziehungen aufbauen, die sich nicht nur als sexuelle Partnerschaft definiert. Die Evolution der Menschheit brachte Individuen hervor, die zusammen arbeiteten und miteinander teilten. Es ist anzuzweifeln, dass sich das Teilen auf Nahrung und Besitz beschränkte. Vielmehr lebten  Menschen in der Gemeinschaft. Es ist natürlich für sie, sich um andere zu kümmern und sich für das Wohl anderer verantwortlich zu fühlen, so wie es Mütter tun, die ihre Kinder für lange Jahre umsorgen. Warum sollten Männer, als auch Frauen, sich nicht mit dieser Art des Miteinander identifizieren, es verinnerlichen, das fürsorgliche und liebevolle Verhalten ihrer Mütter, welches sie  ganz individuell von Anfang an genossen haben? Ingesamt ist es vorstellbar (basierend auf Zuwendung, Intimität und zärtlichem Instinkt der Mutter-Kind-Bindung), dass Mann und Frau sich als gegenseitig fürsorgendes Paar vereinten, lange bevor sich das Gehirn, wie wir es heute kennen, entwickelte. Die Paarbindung könnte als so natürlich für den Menschen verstanden werden, wie sie es für andere Arten auch ist.

Väterliches Verhalten bei allen Primaten resultiert also aus der selbst erlebten Fürsorge durch die eigene Mutter, während des Erwachsenwerdens und der Möglichkeit, sich dem eigenen Nachwuchs zuwenden zu können. Bei den Menschen kommt eine dritte Anforderung hinzu: die jeweilige Kultur muss väterliches Verhalten unterstützen. So wie die Kultur die väterliche Fürsorge unterstützen kann, so kann sie diese auch  unterbinden. Das letztere traf sicher auf die Geschichte der Kindheit in der westlichen Zivilisation zu, wo strenge und brutale Behandlung von Kindern, insbesondere von Vätern, als angemessenes Erziehungsmittel akzeptiert war (12).

Der fürsorgliche Vater war allgegenwärtig in allen Gesellschaften, die außerhalb der sogenannten zivilisierten existierten. Es ist anzunehmen, dass der fürsorgliche Vater Teil der prähistorischen Kulturen war, und dass er von Natur aus dafür so selbstverständlich gemacht ist, wie die fürsorgliche Mutter. Tatsächlich spekuliert Margret Mead, dass unsere „Geburt“ als Menschen begann, als der fürsorgliche Vater sich der Kleinstfamilie Mutter-Kind anschloss (13). Als wir noch in der natürlichen Welt lebten, passte sich der fürsorgliche Vater, sowohl den Bedürfnissen unserer Art an, als auch der Organisation innerhalb der Gruppe. Er war die Kreation seiner Mutter und durch seine Ähnlichkeit zu und seiner Identifikation mit ihr, hat er die Fürsorge seiner zukünftigen Partnerin für die gemeinsamen Kinder unterstützt , so wie es seine Eltern für ihn getan haben. Das menschliche Kind, anders als seine tierischen Verwandten, hatte zwei fürsorgliche Elternteile, nicht bloß einen. Das trifft nicht mehr zu, schaut man sich die Geschichte der Zivilisation an. Zivilisation brachte das Patriarchat mit sich, das die Beziehung von Frauen und Männern, Müttern und Kindern, Väter und Kindern, dramatisch veränderte. Immer noch hatten Kinder eine Mutter und einen Vater, aber im Maße, indem die natürliche Bemutterung sich veränderte oder ganz eliminiert wurde, wurde sie zu einem Relikt der Vergangenheit.

Da wir die natürliche Bemutterung der Kinder abschafften, geschah dasselbe mit der Fürsorge der Väter. Leidtragende dieser Entwicklung waren in erster Linie die Kinder. Statt von zwei liebevollen Elternteilen umsorgt zu werden, wachsen viele Kinder  ohne Liebe und Fürsorge auf.

 

Quellen zum Text:

1 G. D., Mitchell, „Paternalistic Behavior In Primates.“ in Perspectives on Animal Behavior. Ed. Gordon Bermant. Glenview, Il: Scott, Foresman, 1973.
2 It is difficult to ascertain fatherhood among the mammals, since females in heat frequently mate with many males. Therefore, it is best to speak of „paternal behavior“ rather than „fathering“ when discussing the relationship of males to the young.
3 Jeffrey Moussaieff Masson and Susan McCarthy. When Elephants Weep. New York: Delacorte Press, 1995.
4 Carrighar, Sally. Wild Heritage. Boston: Houghton Mifflin, 1968, page 84.
5 Carrighar, ibid.
6 Gary D.Mitchell, „Paternalistic Behavior in Primates.“ Psychological Bulletin, 1968 399-417.
7 Lloyd de Mause, The History of Childhood. New York: The Psychohistory Press, 1974.
8 Mead, ibid.
9 Mitchell, ibid
10 Mitchell, ibid.
11 Mead, Margaret. Male and Female. New York: William Morrow, 1967, 188-190.
12 Blankenhorn, David. Fatherless America. New York: Basic Books, 1995.
13 Blankenhorn, ibid.

Mit freundlicher Erlaubnis zur Veröffentlichung von Karen Koevary, Tochter von James Kimmel. Der Originaltext mit dem Titel: The Nurturing Father ist unter http:// www.naturalchild.org nachzulesen.

übersetzt aus dem Englischen von eulalie für Rabeneltern.org

In einem kürzlich veröffentlichten Artikel auf einer Familienhomepage, berichtete eine Mutter von einem Vorfall, bei dem sie sich nicht gerade mit Ruhm bekleckert hätte. Sie umarmte ihren Ehemann im Wohnzimmer, als ihr Kleinkind ankam und sie ins Bein biss. Daraufhin  hob sie ihren Sohn hoch, weil sie fürchtete, er  würde sonst noch einmal beißen, und erklärte ihm dann in sanftem, aber bestimmten Ton: „Du darfst niemanden beißen. Das tut weh. Es tut mir weh, wenn du mich beißt. Bitte mach das nicht noch mal.“ Drei Tage später sah sie die Angelegenheit so:

„Ich kann erst jetzt sehen, was ich getan habe. Ich hätte konsequent und klar sein müssen, und hätte mich nicht von Ärger oder Schuld  leiten lassen sollen. Ich hätte mich zu ihm hinunter beugen sollen von Angesicht zu Angesicht – anstatt ihn auf den Arm zu nehmen – und ihm deutlich sagen sollen, nie wieder zu beißen. Dann hätte ich ihn alleine zurück lassen sollen, nicht im Zorn oder zur Strafe, jedoch ohne die Spur von Zweifeln, damit er kapieren kann, woran er ist. Ich sehe es jetzt ganz klar – aber in der Hitze des Gefechts, habe ich mich falsch verhalten.“

Beide ihrer Antworten – die, die sie tatsächlich gab und die, die sie wünschte, gegeben zu haben, ließen mich zurück mit schmerzlichen Fragen: Wie kann ein Elternteil seine eigenen Gefühle der Schuld oder des Ärgers einfach ignorieren? Hätte sie den Ärger über die Schmerzen durch den Biss ehrlich ausdrücken können? Wird einem weinenden Kleinkind durch die Weigerung es in die Arme zu nehmen vermittelt, dass es nur geliebt wird, wenn es brav ist? Wird es so lernen, für andere Wohlwollen und Verständnis zu haben, wenn sie „schlechte“ Gefühle äußern? Wie kann man ein Kind alleine zurück lassen, ohne es im Stich zu lassen? Verarbeitet sie ihr Verhalten, in dem sie das sagt, was sie meint, das andere für richtig hielten?  Und, am aller Wichtigsten, was hat sie aus diesem Vorfall gelernt? Und was das Kind? Das nächste Mal, wenn ihr Sohn beißt, wird sie in der Lage sein mit ihm über seine Gefühle wie Eifersucht und Ärger, die zum Beißen führten, sprechen können? Wird er daraus lernen, wie er seine Gefühle artikulieren muss, damit seine Bedürfnisse berücksichtigt werden können? Ich stimme zu, Eltern sollten konsequent sein und es vermeiden, ihre Kinder durch ihr Verhalten zu verunsichern. Aber inwiefern sollten wir konsequent sein? Welches sind die am meisten hilfreichen Mitteilungen für unsere Kinder, die wir machen können?

Eins der wichtigsten Elemente des Elternseins ist: Die Gefühle, die hinter dem kindlichen Verhalten stehen, müssen erkannt, akzeptiert, verstanden und offen behandelt werden, bevor das Verhalten sich ändern kann. Bevor das nicht geschieht, wird das unerwünschte Verhalten oder gar ein noch heftigeres Verhalten aus Sicht der Eltern anhalten. Wie sollte es sonst sein? Erwachsene verhalten sich ganz genauso. Wenn wir uns gegenüber unserem Partner „daneben benehmen“ und er oder sie macht keine Anstalten, Verständnis für uns  aufzubringen, die Gefühle dahinter zu akzeptieren und die Mitteilung zu entschlüsseln, werden wir weiter machen, die Gefühle mit bestimmten Verhaltensweisen auszudrücken, möglicherweise mit Verhaltensweisen, die noch ineffektiver und noch weniger erfolgversprechend sind. Die erste Reaktion der Mutter, ihren Sohn auf den Arm zu nehmen und ihm sanft zu erklären, dass sie nicht gebissen werden möchte, und ihre zweite Reaktion, ihm sich selbst zu überlassen, waren sicher guter Absicht, aber beide waren unvollständig und nutzlos. Disziplinieren –  dieser Begriff hat seinen Ursprung im Lateinischen und bedeutet „lernen“,   hat weder mit Loben, noch mit Strafen zu tun, sondern hilft dem Kind, neue Fähigkeiten zu erlernen. Angemessene, liebevolle und effektive Mitteilungen für ein „ungezogenes“ Kind bestehen aus 3 Punkten:

  • dem Kind liebevoll und mit ungeteilter Aufmerksamkeit versichern, dass seine Gefühle wichtig sind, gehört und ernst genommen werden. Ohne diese Aussage wird es sich zurückgestoßen und  missverstanden fühlen, und seine Gefühle werden zu weiterem unerwünschtem Verhalten führen.
  • das Kind darüber informieren, dass sein Verhalten nicht der geeignete Weg ist, um seine Bedürfnisse befriedigt zu bekommen. Ohne diese Aussage wird versäumt, dem Kind begreiflich zu machen,  dass andere Menschen auch Bedürfnisse haben.
  • dem Kind das gewünschte Verhalten veranschaulichen, um zu zeigen, welche Möglichkeiten es hat, um in Zukunft besser, einfacher und leichter zum „Ziel“ zu kommen. Ohne diese Aussage wird es in seinen Möglichkeiten begrenzt bleiben und wenig wird sich ändern.

Mit allen diesen 3 Punkten im Hinterkopf, hätte die Mutter in unserem Beispiel ihren Sohn auf den Arm nehmen und sagen können:

„Autsch! Nicht beißen – das tut weh! Ich sehe, dass du unglücklich bist, aber ich möchte, dass du sagst, was los ist, statt zu beißen: – Mami, ich möchte  auch umarmt werden!“

Selbst wenn das Kind noch zu klein ist, die Worte nach zu sprechen oder sie beim nächsten Mal zu erinnern, stetige Wiederholungen wie diese werden ihm schließlich neue und bessere Möglichkeiten geben, sein Verhalten zu ändern und seine Bedürfnisse befriedigt zu bekommen.  Wenn wir auf diese Weise reagieren, alle 3 Punkte gleichzeitig berücksichtigend, unterstreichen wir folgende Mitteilung:

„Alle Menschen haben Gefühle. Gefühle sind weder gut, noch schlecht, sondern normal, berechtigt und wichtig. Ich liebe dich und widme mich deinem Anliegen mit ungeteilter Aufmerksamkeit. Ich akzeptiere, dass du dich im Moment so gut verhältst, wie es dir nach deinem Alter und unter diesen Umständen möglich ist. Ich mag nicht einfach von dir gebissen werden. Aber ich verstehe, dass du das nicht getan hättest, wenn du nicht ärgerlich/traurig/unglücklich/besorgt/verstört gewesen wärst. Ich nehme deine Bedürfnisse und Gefühle ernst, und ich werde dir dabei helfen zu lernen, sie besser auszudrücken, damit sowohl deine, als auch meine Bedürfnisse befriedigt werden.“

Dieses Herangehen ist am effektivsten und tatsächlich der einzige Weg, der verspricht, dass unerwünschtes Verhalten sich zum Guten ändert, langfristig.

Um zum Anfang der Geschichte zurückzukommen, Beißen war offensichtlich das einzige Mittel, welches das Kind in diesem Moment  zur Verfügung hatte, in Anbetracht seiner bisherigen Erfahrungen und seiner aktuellen Gefühle und Bedürfnisse, der Versuch also, seiner Mutter etwas Wichtiges mitzuteilen. Einzig und allein auf sein Verhalten zu reagieren, während die Gefühle, die dazu führten ignoriert werden, ist eine allgemein übliche Erwiderung von Eltern, die ihrerseits auf diese Weise in der Kindheit erzogen wurden. Es ist an der Zeit, dies zu ändern.

Eine unserer Natural Child Project Parenting Cards© bringt es auf den Punkt: „Schaue hinter das Verhalten … was fühlt dein Kind?“ Wenn wir uns auf die Bedürfnisse und Gefühle konzentrieren, statt auf ein bestimmtes Verhalten, das wir ändern wollen, dann können wir unserem Kind wirklich mit Liebe  begegnen. Das Verhalten wird sich daraufhin praktisch wie von selbst ändern. Wie Mozart schon schrieb: „Liebe, Liebe, Liebe ist die Seele des Genies.“ Sie ist ebenso die Seele des Elternseins.

Veröffentlicht bei Rabeneltern.org mit freundlicher Erlaubnis der Autorin Jan Hunt.

Der Artikel ist im Original mit dem Titel –Looking Past the Behavior- unter www.naturalchild.org nachzulesen.

übersetzt aus dem Englischen von eulalie für Rabeneltern.org

Auszug seines Vortrags zum Thema:
„Erziehung zum psychisch gesunden Menschen“

These 1:

Ein Kind – ob Junge oder Mädchen – hat ein Recht darauf, zu weinen solange es will. Es will dabei getröstet und verstanden, aber nicht abgelenkt werden.

Dazu ein Beispiel: Ich hatte vor 4 Jahren öfter bei einem 3-jährigen Jungen Babysitter gemacht, wenn dessen alleinerziehende Mutter abends etwas unternehmen musste. Der Junge kannte mich gut und mochte mich gern, ich ihn auch.

Es ist dann beim Babysitten immer wieder zu folgender Szene gekommen: Der Junge ist um 23 Uhr wieder aufgewacht und hat geweint und geschrieen. Ich bin hin und hab ihm erzählt: „Deine Mama ist noch nicht da, die ist noch beim Kindergartenabend. Ich bin doch da, du kennst mich doch.“ Der Junge hat weiter geweint und geschrieen. Ich habe seine Spielzeugautos hervorgeholt, mit Bällen jongliert, gesungen und vorgelesen, nichts hat genützt. Der Junge hat geweint. Immer erst nach einer halben Stunde hat er dann endlich aufgehört zu weinen, wir haben ein bisschen gespielt und dann hat er sich wieder schlafen gelegt.

So, und jetzt kommt´s. Irgendwann, als der Junge wieder weinend um 23 Uhr aufgewacht ist, ist mir aufgefallen, was ich da immer wieder falsch gemacht habe, und ich habe ihm jetzt gesagt: „Ich verstehe, dass du weinst, das ist wirklich traurig für dich, dass deine Mama nicht da ist.“ Der Junge darauf: „Nimmer traurig.“, hört auf zu weinen, dreht sich um und schläft weiter.

Ich hatte ihm gezeigt, dass ich sein Weinen als berechtigt annehme, hatte nicht mehr versucht, ihn abzulenken. Und so konnte der Junge mit dem Gefühl, verstanden worden zu sein (vielleicht auch mit dem Gefühl, in seinem Traurig-Sein nicht alleine zu sein), wieder beruhigt einschlafen.

Ein weiteres konkretes Beispiel zum Thema Weinen: Ein befreundeter Vater eines 6-jährigen Jungen hatte beobachtet, wie sich das Kind irgendwo fürchterlich weh getan hatte, den Schmerz verbiss und nicht weinte. Der Vater hat zum Sohn gesagt: „Du darfst weinen, das tut gut.“ Der Junge: „Ein Mann weint doch nicht.“ Der Vater hellhörig, in Gedanken schon auf den Kindergarten schimpfend, der seinem Sohn wieder solchen Unsinn beigebracht haben könnte, fragte: „Wer sagt denn so was, ein Mann weint doch nicht?“ Der Sohn. „Niemand, aber du weinst doch auch nie.“

These 2:

Die Eltern sollten ihr Kind achten, Respekt vor seinen Rechten haben, seine Gefühle tolerieren und ernst nehmen.

So wie man auch Erwachsene behandelt und selber als Erwachsener behandelt werden will.

Hierher gehört meine Bitte – Sagen Sie Ihrem kleinen Kind nie, wenn Sie es bestrafen wollen: „Jetzt hab ich dich nicht mehr lieb.“ Die Liebe der Eltern ist für die Seele eines kleinen Kindes lebensnotwendig und man würde es daher mit der Todesstrafe bedrohen, wenn man sagt: „Ich hab dich nimmer lieb.“ Wenn man versucht sich in die Gefühle eines Kindes hineinzuversetzen, dann kann man spüren, dass diese Drohung für das Kind eine ähnliche Bedeutung hat, wie wenn man einem Erwachsenen die Todesstrafe ankündigen würde.

Eine weitere Erläuterung zu „Gefühle ernst nehmen“. Wenn ein Kind z. B. bei einem Gewitter sagt: „Ich habe Angst.“, dann ist es nicht gut und auch nicht beruhigend für das Kind, wenn der Erwachsene sagt: „Brauchst doch keine Angst zu haben.“. Mit diesem Satz wird das Gefühl des Kindes nicht ernst genommen. Besser wäre es zu sagen: „Ich verstehe, dass du Angst hast, wenn die Blitze so grell sind und der Donner so laut. Aber ich habe keine Angst, weil ich weiß, dass nichts passieren kann. Wir haben ja einen Blitzableiter auf dem Haus.“ Oder Sie können auch sagen: „Ich verstehe, dass du Angst hast. Eigentlich habe ich auch Angst, wenn der Donner so laut ist, aber ich weiß trotzdem, dass nichts passieren kann.“

Ich will Ihnen die Wirkung dieses Prinzips vom „Gefühle ernst nehmen“ an einem Beispiel aus dem Erwachsenenreich verdeutlichen: Stellen Sie sich vor, Sie haben morgen Führerscheinprüfung und sagen zu einem Bekannten: „Mensch, ich hab solche Angst vor der Führerscheinprüfung, ich bin ganz zittrig.“ Welche Antwort des Bekannten hilft Ihnen weiter? Wenn er sagt: Stell dich doch nicht so an, Du bestehst die Prüfung doch eh.“ Oder wenn er sagt: „Das versteh ich gut, dass du Angst hast, das ist mir vor meiner Prüfung genauso gegangen, und dann hab ich’s doch bestanden.“

Wenn Kinder ihre Eltern nerven – Kursleiterehepaar im „DA“-Gespräch

Dingolfing. Ist es möglich, mit Hilfe eines Familientrainings mehr Harmonie in die Familie zu bringen? Diese Frage beantworteten die autorisierten Gordon-Familientrainer Dr. Ute Weisgerber-Kriegl und Peter Kriegl in einem Gespräch mit „DA“-Redakteur Winfried Walter mit einem eindeutigen „JA“. Die Trainer verglichen das Familientraining mit einem Führerschein für Eltern, bei dem neben dem Erlernen der Technik auch die Erfahrung in der Praxis notwendig ist. Die Gebühr für den kompletten Kurs mit zwei mal fünf Abenden à drei Zeitstunden beträgt beim Katholischen Bildungswerk Dingolfing 150 Euro, für Paare 260 Euro plus Arbeitsmaterial. Der erste Block von fünf Abenden ist auch separat als Grundlagenkurs buchbar (80 Euro, für Paare 140 Euro plus Arbeitsmaterial). Termine und Anmeldung beim Katholischen Bildungswerk Dingolfing, Tel. 08731/74620.

Dingolfinger Anzeiger „DA“: Alles fließt, das gilt in dieser Zeit wohl mehr denn je. Bislang gültige Wertmaßstäbe verändern sich, für Erwachsene wie für Kinder und Jugendliche. Eltern fühlen sich in der Erziehung unsicher. Hinzu kommt ein Einflussverlust von Eltern auf ihre Kinder durch Miterzieher wie Fernsehen oder Werbewirtschaft. Können Mütter und Väter durch eine Teilnahme am Familientraining ihre Erziehungsfähigkeit stärken?
Peter Kriegl: Wir stellen fest, dass es für jede Tätigkeit eine bestimmte Ausbildung gibt, den Führerschein um Auto zu fahren, das Abitur, um den Zugang zur Universität zu erlangen, den Pilotenschein um ein Flugzeug zu fliegen, das Architekturstudium um ein Haus zu planen und jede andere berufliche Ausbildung. Aber für Familie, Kindererziehung und Partnerschaft ist in unserer Gesellschaft jeder auf sich gestellt, eine auf seine persönlichen Fähigkeiten eingehende Ausbildung zu machen. Das vom amerikanischen Psychologen Dr. Thomas Gordon entwickelte Familientraining stärkt Eltern in ihrer Fähigkeit, den Herausforderungen in Familie und gegenüber Kindern gewachsen zu sein.
Dr. Ute Weisgerber-Kriegl: Das Gordon-Training baut auf der Win-Win-Philosophie auf. Eine der Spielregeln lautet: „Ich möchte nicht gewinnen während du verlierst und ich möchte nicht verlieren während Du gewinnst. Wenn wir einen Konflikt haben, werden wir nach Lösungen suchen die uns beide befriedigen“. Dazu gibt es im Training ganz gezielte Übungen, welche die Eltern in die Lage versetzen, in Konfliktsituationen eine für beide Teile akzeptable Vereinbarung zu treffen.

„DA“: Mehr Demokratie unter den Familienmitgliedern, Mitbestimmungsmöglichkeit für die Kinder. Doch dann dürften Eltern nicht mehr nach ihrer höheren Einsicht handeln. Geben Eltern mit einer Erziehung nach Gordon nicht ein Stück Autorität aus der Hand?
Peter Kriegl: Ohne Zweifel werden Eltern durch das Gordon-Training autoritäres Verhalten, das auf ihrer Position als Eltern beruht, ablegen. Jedoch gewinnen sie gegenüber ihren Kindern an Autorität, die auf dem Respekt vor ihrer Person beruht. Durch authentisches Mitteilen, was ihnen wichtig ist, werden die Eltern glaubhaft. Das Vertrauenspotenzial nimmt zu. Nur wenn die Kinder wissen, worauf es ihren Eltern ankommt, können sie sich darauf einstellen. So kommt es im Laufe der Zeit zu Veränderungen in der Beziehung, so dass weniger Konfliktpotenzial entsteht. Kinder wollen uns Eltern weder angreifen, nerven oder ähnliches. Ihr Handeln oder Verhalten ist darauf ausgerichtet, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen, wie z.B. das Bedürfnis nach Aufmerksamkeit, dass die Eltern Zeit für sie haben, oder das Bedürfnis der Kinder für sich etwas bestimmtes zu tun.
Dr. Ute Weisgerber-Kriegl: Unsere Erfahrung in den Gruppen zeigt, dass Kinder durchaus bereit sind, die Bedürfnisse der Eltern anzuerkennen und zu respektieren, sofern ihre eigenen Bedürfnisse umgekehrt von den Eltern respektiert werden. Kinder sind das Spiegelbild von uns Eltern: laut, ruhig, aggressiv, verständnisvoll, provokativ, nachgiebig, fordernd, unruhig, rebellisch oder zuvorkommend. Andererseits, wenn Kinder sich auf eine Art verhalten, die uns Eltern wütend macht oder uns völlig unverständlich ist, so agieren sie häufig eines unserer verdrängten Persönlichkeitsanteile aus: Ein schönes Beispiel ist die Mutter die immer meint in Hetze und unter Zeitdruck zu sein, und das Kind trödelt genau dann, wenn sie es am eiligsten hat.

„DA“: Eltern können ein Lied davon singen. Will man dem Kind einen Wunsch nicht erfüllen, kommt es leicht zu Knatsch oder aber zu Endlos-Diskussionen. Hilft Gordon geplagten Erziehern, diese Situation besser zu meistern?
Peter Kriegl: Kinder müssen Wünsche haben, sie zeigen wonach sich ein Kind sehnt. Diese Prägung erfährt bereits ein Neugeborenes. Je nachdem, wie bereits in der Wiege mit den Wünschen des Babys umgegangen wird, zieht sich diese Prägung im weiteren Leben gewöhnlich wie ein roter Faden weiter. Bei Wünschen ist zu unterscheiden, ob es sich dabei um ein Grund-Bedürfnis handelt z.B. Hunger, Durst, Wärme, Trockenheit, Nähe, Geborgenheit, Freundschaft, das Anerkennen und Einhalten von Regeln oder ähnliches. Solange Grundbedürfnisse unbefriedigt sind, können Wünsche zu endlosem Geplärre oder Diskussionen führen. Zuerst durch aufmerksames Beobachten und Reagieren, später durch aktives Zuhören besteht für Eltern in hohem Maße die Möglichkeit das Bedürfnis des Kindes zu ergründen. Dadurch gelingt es in der Regel, dass sich das Kind vom Elternteil verstanden fühlt und vom Wunsch Abstand nimmt oder dass Eltern für den Wunsch des Kindes Einsicht gewinnen.

„DA“: Die Liste von Eltern, Erziehungsziele durchzusetzen, ist lang. Da gibt es Fernsehentzug, Taschengeldkürzung, Ausgehverbot oder schon mal einen Klaps. Das schlechte Gewissen folgt auf den Fuß. Verhilft Gordon zu Erziehungsmethoden ohne Reue?
Peter Kriegl: Es ist ganz natürlich, dass es im Laufe des Lebens zu Situationen kommen kann, in der sich Eltern gegenüber ihren Kindern überfordert fühlen. Familie, Beruf, Alltag fordern von den Eltern Präsenz, oft rund um die Uhr. Im Familientraining machen wir den Eltern den sogenannten „Problembesitz“ bewusst und verdeutlichen, dass derjenige am Zuge ist, der im Problembesitz ist. Voller Fürsorge ziehen sich Eltern allzu gern den Schuh an, für alles verantwortlich zu sein oder regeln zu müssen. Eltern lernen im Kurs anhand von konkreten Situationen und orientiert an ihren eigenen Bedürfnisse, wann das Kind das Problem hat und wann sie selbst. Nur im letzteren Fall besteht für die Eltern Handlungsbedarf. Dadurch reduziert sich die Anzahl der Konfliktauslöser und Eltern werden gelassener im Umgang mir ihren Kindern.
Dr. Ute Weisgerber-Kriegl: In echten Konfliktsituationen, in denen die jeweiligen Bedürfnisse zunächst nicht zu vereinbaren sind, lernen Eltern, authentisch für ihre Bedürfnisse dem Kind gegenüber einzustehen, ihre Gefühle oder Befürchtungen ehrlich zu äußern, anstatt mit Verboten und Strafen oder durch Nachgiebigkeit darüber hinwegzugehen. Gleichzeitig lernen sie auch, die Bedürfnisse des Kindes ernst zu nehmen, so dass in der gemeinsamen Lösungsfindung die besagte Win-Win-Situation entsteht, die Strafen und Verbote überflüssig werden lässt. Das Gordon-Modell unterscheidet auch zwischen Bedürfniskonflikt und Wertekonflikt und gibt den Eltern unterschiedliche Möglichkeiten an die Hand, mit diesen so umzugehen, dass keiner dabei verliert.

„DA“: Das Gordon-Familientraining verlangt eine komplexe Veränderung des Kommunikationsverhaltens. Doch wird die Umsetzung im Alltagsstress nicht zu schwierig? Gibt es Untersuchungen, inwieweit sich familiäre Situationen verändern, nachdem Eltern ein Gordon-Training mitgemacht haben?
Dr. Ute Weisgerber-Kriegl: Vielleicht ist diese Frage am leichtesten beantwortet, indem wir Teilnehmer unserer Kurse zitieren: „Unsere Kinder streiten weniger, sind ruhiger und ausgeglichener geworden und teilen sich mehr mit.“ „Mein Mann hört besser zu und unsere Familie hält besser zusammen.“ „Ich bin ruhiger und gelassener geworden. Ich mache mir mehr Gedanken darüber, was ich fühle und bringe das auch zum Ausdruck. Mir ist bewusst geworden, wie wichtig es ist, authentisch und ‚bei sich‘ zu sein.“ „Ich muss mich jetzt nicht mehr bei jeder Kleinigkeit einmischen, weil ich erkenne, ob es meine Probleme sind oder nicht.“
In unseren monatlichen Treffs für Eltern, die bereits das Gordon-Training mitgemacht haben, zeigt sich, dass es langfristig für die Beziehung zwischen Eltern und Kindern von immenser Wichtigkeit, dass die Eltern für sich selbst mit ihrer Verantwortung als Eltern das leben, was sie zu leben wünschen; dass sie eine eigene Identität haben und daraus Zufriedenheit schöpfen und nicht nur gleichsam ‚durch ihre Kinder leben‘. Sich dessen bewusst zu werden, ist für Frauen und Mütter ganz besonders wichtig.

„DA“: Was ist das Besondere an dem Training, das Sie beiden mit Eltern machen?
Peter Kriegl: Wir arbeiten mit relativ kleinen Gruppen. Dadurch kann eine intensive und individuelle Betreuung erfolgen. Auch die Tatsache, dass wir zu zweit arbeiten, ist sicher etwas Besonderes und dass durch Trainerin und Trainer sozusagen die väterliche wie die mütterliche Sichtweise repräsentiert wird. Wir arbeiten in dem Kurs auch mit meditativen Elementen und nähern uns den einzelnen Problematiken eher über den Bauch als über den Kopf.

„DA“: Verwenden Sie selbst Gordon in der Familie?
Peter Kriegl: Wir haben die Gordon-Autorisierung bereits erworben, als wir noch keine Kinder hatten, weil diese Gordon-Grundprinzipien natürlich auch auf andere Beziehungen und auf die Arbeitssituation anzuwenden sind. Mit unseren Kindern (ein und drei Jahre) sind wir deshalb von Anfang an nach den Gordon-Prinzipien umgegangen. Wir stellen fest, dass es in kritischen Situation sehr hilfreich ist, dass wir uns beide gegenseitig unterstützen können. Natürlich erleben auch wir unsere Talfahrten und Krisen. Durch das Gordon Training gelingt es uns jedoch relativ schnell, uns dessen bewusst zu werden und uns selbst wieder heraus zu helfen.

„DA“: Die Schule ist ein Bildungssystem, das mit den Methoden von Druck und Belohnung funktioniert, mit den damit verbundenen Nachteilen. Könnte man die Vorteile, die sich aus Gordon ergeben, auch auf schulischem Gebiet nutzen?
Peter Kriegl: Es gibt sogar spezielle Trainings für Lehrer und Erzieher. Wir kennen auch LehrerInnen, welche nach Gordon arbeiten und auf Strafe oder Belohnung verzichten und stattdessen im kooperativen Gespräch mit den Schülern schöne Erfolge erzielen. Allerdings erfordert es das Schulsystem, dass Schüler bewertet werden, sprich mittels Noten eine Bewertung erfahren. Es kann jedoch lohnenswert sein, die Schüler beispielsweise zu fragen, wie sie selbst ihre Leistung in einem konkreten Falle bewerten; oft weicht die eigene Bewertung nicht allzu sehr von der des Lehrers ab.

„DA“: Gordons Familienkonferenz wurde in Deutschland in den 70er Jahren populär, zu einer Zeit, in der in Politik und Gesellschaft mehr Demokratie gewagt wurde. Partizipations- und Mitbestimmungsmöglichkeiten wurden umgesetzt. Heute ist im politischen Bereich wie auch an Arbeitsplätzen eher ein gegenläufiger Trend erkennbar. Haben unter solchen gesellschaftlichen Vorzeichen Bestrebungen, die Familie als demokratischen Raum zu gestalten, eine Chance?
Dr. Ute Weisgerber-Kriegl: Wenn man sich die Art und Weise anschaut, in der Firmen heutzutage geführt werden, so kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass diejenigen, die es schaffen, ihre Mitarbeiter ernst zu nehmen, deren Bedürfnisse ernst zu nehmen, deren Ideen zu verwenden für neue Lösungsansätze ­ und so Verantwortungsbereitschaft und Identifikation mit dem Betrieb fördern ­ die erfolgreicheren im Markt sind. Das Gordon-Modell sieht genau diesen respektvollen Umgang miteinander vor. Daher hat das Gordon-Modell nicht nur Zugang in Familie, sondern es gibt auch spezielle Gordon-Trainings für Beziehungen, für Führungskräfte, für Lehrer, für Frauen und für Berufe in der medizinischen Versorgung und Pflege.
Peter Kriegl: Gordon wurde 1997 und 1998 auf Grund seines Erziehungskonzeptes für den Friedensnobelpreis nominiert. Sein Konzept wurde bislang als einziges Modell von der „theoretischen“ Psychologie als auch von der „praktischen“ Psychotherapie mit der höchsten Auszeichnung für Effektivität und Effizienz ausgezeichnet. Daher wird sich das Gordon-Modell für die Zukunft noch in sehr viel stärkerem Maße als demokratische Grundlage für Familie und Gesellschaft anbieten.

Quelle:
Dingolfinger Anzeiger vom Mittwoch, 29. Oktober 2003
Mit freundlicher Genehmigung der Redaktion!

Kinder können an mehr als eine Person eine Bindung aufbauen, was Grundvoraussetzung für die außerfamiliäre Betreuung ist. Das erscheint nur logisch, ist doch der Mensch ein soziales Wesen, das ursprünglich in Gruppen aufwuchs, also ganz natürlich und automatisch von früh an Kontakte zu einer Vielzahl von Personen hatte. Geht man von der heutigen Situation der meisten Kleinfamilien aus, ist ein Haupthinderungsgrund für familienergänzende Betreuung das Fehlen dieser natürlichen Gebundenheit auch an andere Menschen als die Mutter. Außerfamiliäre Kontakte müssen also künstlich erschaffen werden. Optimal wäre deshalb immer eine Betreuung von anderen Bezugpersonen (z.B. Vater, Großeltern). Ist das nicht möglich und eine familienergänzende Betreuung unumgänglich, gibt es die Möglichkeit der Betreuung des Kindes von einer Tagesmutter oder in einer Kinderkrippe.  Die Trennung von der Mutter (da die Mutter in der Regel die Bezugsperson ist, verwende ich diese Formulierung der Einfachheit halber), bei der das Kind fast seine gesamte Lebenszeit verbracht hat, bedeutet IMMER Stress für eine Kind. Und nach neuesten biologischen Erkenntnissen können Babys Stress nicht allein abbauen oder sich bewusst ablenken. Deshalb ist es wichtig, diesen Stress so gering wie möglich zu halten. Vor allem folgende Kriterien sollte man darum bei einer außerfamiliären Betreuung beachten:

  • Entwicklungsphase und Temperament des Kindes
  • Qualität der Betreuung
  • Sanfte, individuelle Eingewöhnung und
  • Angemessene Betreuungszeiten.

Ungünstig ist es, ein Baby oder Kleinkind, das sich gerade in einer bedeutenden Entwicklungsphase befindet, zusätzlichem Stress durch familienergänzender Betreuung auszusetzen. Dazu zählt u. a. die Fremdelphase, die bei den meisten Kindern zwischen dem 5. und 9. Lebensmonat auftritt. Diese natürliche Angst scheint dafür zu sorgen, dass sich Kinder zuverlässig an ihre Bezugspersonen halten und binden. Ebenso die Trennungsangst, die ungefähr um das 1. Lebensjahr  beginnt  und ein Kind schon bei einer kurzen Trennung von der Mutter weinen lässt.

Eltern sollten ihr Kind beobachten. Ist es eher aufgeschlossen oder scheu und schüchtern? Wie verhält es sich in großen Gruppen? Davon sollte man abhängig machen, ob man ein Kind von einer Tagesmutter oder in einer Kinderkrippe betreuen lässt oder ob man von familienergänzender Betreuung generell noch einmal Abstand nehmen sollte. Das lässt sich nicht vom Alter des Kindes abhängig machen. Es gibt durchaus Babys, die das wunderbar verkraften und genauso knapp 2jährige, für die es einfach noch zu früh ist.

Nach einer amerikanischen Studie sollte das Betreuungsverhältnis von Kindern zu Erwachsenen 3:1 nicht überschreiten. Denn gerade Babys und Kleinkinder brauchen die uneingeschränkte Aufmerksamkeit eines Erwachsenen. Außerdem kann durch einen niedrigeren Betreuungsschlüssel das Risiko einer unsicheren Bindungsentwicklung entstehen.

Grundsätzlich halte ich es für günstiger, ein Kind unter 2 Jahren von einer Tagesmutter betreuen zu lassen. O. g. Betreuungsschlüssel ist meist gegeben, die Gruppe  ist klein und überschaulich, der Lärmpegel geringer als in einer Krippe.

Ausgesprochen wichtig ist eine individuelle Eingewöhnung.  Tageseinrichtungen oder Tagesmütter, die das ablehnen, sollte man meiden. Dahinter steht meist eine grundsätzliche Haltung, die den individuellen Bedürfnissen von Kindern keinen Raum gibt und nicht auf besondere Feinfühligkeit und psychologisches Grundwissen schließen lässt.

Auch sicher gebundene Kinder brauchen ihre Mütter, um neue Situationen bewältigen zu können. Die Schnelligkeit der Eingewöhnung sagt sehr wohl etwas über die Bindungsqualität aus, aber nicht das, was oftmals Betreuerinnen suggerieren. Ein Baby, das sich ohne Eingewöhnung und ohne sichtbaren Kummer einfach an eine fremde Person übergeben lässt, hat mit hoher Wahrscheinlichkeit keine sichere, sondern eine vermeidende Bindung zur Mutter und steht trotz fehlender Merkmale des Kummers unter enorm hohem Stress.  Dagegen wird ein Baby oder Kleinkind, das sich an die Eltern klammert, abwartend, aber neugierig reagiert und bei Trennung weint und protestiert, auch Stress ausgesetzt sein. Mit Hilfe der Mutter (oder einer anderen Bezugsperson) wird es diesen aber abbauen und bewältigen können.

Wie lange eine Eingewöhnung dauert, lässt sich nicht pauschal sagen. Man sollte mindestens 4-6 Wochen einplanen und die ersten 1-2 Tage, besser eine ganze Woche, komplett dabei bleiben. Zum einen braucht das Kind diese gemeinsame Zeit und zum anderen gewinnen die Eltern einen Überblick über den Tagesablauf und den Umgang der Erzieherinnen mit den Kindern. Je nachdem, wie das Kind reagiert, kann man danach erstmals für 10-20 Minuten wegbleiben und „proben“ (in der Nähe und erreichbar bleiben) und diese Zeiten dann, wenn es funktionieren sollte, langsam steigern. Im Idealfall hat das Kind in der Zwischenzeit  zur Erzieherin  genug Vertrauen aufgebaut, um gar nicht mehr zu weinen oder nur kurz bzw. sich von ihr trösten zu lassen. Ein weinendes Kind sollte man nicht zurücklassen. Das stört die Basis der Mutter-Kind-Beziehung und ist unnötiger Stress für das Kind. Sollte das passieren, muss der Versuch abgebrochen und dem Kind noch etwas länger Zeit gegeben werden.

Auch nach erfolgreicher Eingewöhnung sollte man mindestens 15 Minuten für den Übergang einplanen. Ich halte es für wichtig für so ein kleines Kind, die ersten Minuten in der neuen Umgebung jeweils mit einer Vertrauensperson zu verbringen. Um so leichter wird der Abschied sein.

Die außerhäusliche Zeit sollte so kurz wie möglich sein und die verbleibende Zeit zu Hause mit dem Kind intensiv genutzt werden.

Abschließend lässt sich sagen, dass sich negative Auswirkungen von außerfamiliärer Betreuung auf die Bindungsqualität nicht gänzlich ausschließen lassen. Es spricht aber inzwischen einiges dafür, dass sich unter den genannten Bedingungen keine negativen Folgen für die Mutter-Kind-Bindung und die seelische Entwicklung des Kindes ergeben.

Inzwischen gilt als erwiesen, dass emotionale Unterstützung und die Erfahrung, für einen Menschen von ganz besonderer Bedeutung zu sein, vor psychischen Problemen und Krankheiten schützen können. Daher könnte sich familienergänzende Betreuung bei familiären Problemen sogar positiv auswirken. Damit sind u. a. Misshandlung, Partnerschaftsprobleme, psychische Erkrankung eines/beider Elternteile, Armut gemeint. Diese Faktoren gehen oft mit mangelnder Feinfühligkeit der Hauptbezugsperson einher und schlagen sich meist im unsicheren oder ambivalenten Bindungsstil des Kindes nieder. Qualitativ gute außerhäusliche Betreuung könnte also diesen Kindern die Unterstützung und Aufmerksamkeit zukommen lassen, die ihnen in der Familie fehlt.

Der wissenschaftliche Nachweis dafür steht allerdings noch aus.

Literatur:
Braun, W.: Früher Stress bremst das Gehirnwachstum. In: Psychologie Heute. Heft 11/2004
Dornes, M.: Die frühe Kindheit. Entwicklungspsychologie der ersten Lebensjahre. Frankfurt a.M. 1997
Dornes, M.: Die emotionale Welt des Kindes.  Frankfurt a.M. 2000
Largo, R.H.: Babyjahre. Die frühkindliche Entwicklung aus biologischer Sicht. Hamburg 1993
Wilhelm, K.:  Fremde Betreuung – gute Betreuung. In: Psychologie Heute. Heft 1/2005

© Rabeneltern.org 2005

Tipps und Erfahrungen zur Eingewöhnung findest Du im Artikel „Eingewöhnung im Kiga – So machen es die Rabeneltern“.

Auf diesen Seiten findest Du eine Zusammenstellung der am häufigsten anzutreffenden pädagogischen Kindergartenkonzepte und die wichtigsten Punkte für eine gelungene Eingewöhnung im Kindergarten.

Auf die Situation von Kleinkindern geht der Artikel „Familienergänzende Betreuung von Babys und Kleinkindern unter 2 Jahren“ gesondert ein.

Tipps und Erfahrungen zur Eingewöhnung findest Du im Artikel „Eingewöhnung im Kiga – So machen es die Rabeneltern“.

Pädagogische Konzepte

Zu Beginn möchte ich die gängigsten pädagogischen Konzepte, die heute in der Kindergartenpädagogik Anwendung finden, skizzieren.

Der Situationsansatz stellt soziales Lernen und die realen Lebensbedingungen in den Mittelpunkt. Das alltägliche Leben soll zum Gegenstand des Lernens sowie Kinder verschiedener Herkunft gefördert werden. Des weiteren zählen altersgemischte Gruppen, Elternmitarbeit, Beteiligung der Kinder an der pädagogischen Planung (in Form von Mitspracherecht bei der Aufstellung des Tages- bzw. Wochenplanes) und die flexible Tageseinteilung, die sich an den Wünschen der Kinder orientiert, zu den Grundprinzipien.
Dieser Ansatz hat inzwischen die herkömmlichen Strukturen des Kindergartens ersetzt oder zumindest aufgeweicht. Er ist inzwischen der am meisten praktizierte Ansatz.

Maria Montessori, eine italienische Ärztin, kam aufgrund ihrer Beobachtungen an behinderten und verhaltensauffälligen Kindern zu der Auffassung, dass das Kind einen „Bauplan der Seele“ in sich trägt. Es wird sich, wenn ihm eine sog. vorbereitete Umgebung mit bestimmtem Arbeitsmaterial zur Verfügung steht, allein, frei und spontan entwickeln können. Der Erzieher sollte Kenntnis von den sensiblen Phasen der Kinder haben, die Kinder lieben, achten und ihnen dienen. Es gilt der Grundsatz: „Hilf mir, es selbst zu tun!“ Fehler sollen selbst erkannt und korrigiert werden dürfen, Erwachsene sind Begleiter, die lernen müssen, sich überflüssig zu machen und zu beobachten statt einzugreifen.

Grundprinzip der Waldorfpädagogik, deren Begründer R. Steiner war, ist die Nachahmung. Dem Erzieher/Erwachsenen kommt eine ganz besondere Vorbildfunktion zu – er ist natürliche Autorität. Im Kindergarten zeigt sich das vor allem durch sinnvolle, durchschaubare Tätigkeiten des Erziehers, die Kinder zur Nachahmung anregen sollen. Der kindliche Erkenntnisweg vollzieht sich zuerst über das Handeln, dem Fühlen und Denken folgen. Deshalb sind Ermahnungen und Strafen etc. wirkungslos, das vorbildhafte Tun ist wichtig. Zum Waldorfkindergarten gehören außerdem eine feste Strukturierung, ein Rhythmus (auch bei Erzählungen, Puppenspielen, Liedern etc, die regelmäßig wiederholt werden), Gestaltung von Jahresfesten (natürliche Religiosität der Kinder) sowie künstlerische und handwerkliche Tätigkeiten. Ganz wichtig ist die partnerschaftliche Zusammenarbeit mit den Eltern.

Im Mittelpunkt der Freinetpädagogik stehen die Bedürfnisse des Kindes. Es soll sich ausdrücken können, und seine Andersartigkeit von den Erwachsenen respektiert werden. Experimentieren und die produktive Beteiligung, sprich Arbeit, an der Gestaltung des Alltags sind Eckpfeiler dieser pädagogischen Richtung. Das drückt sich in den meisten Kindergärten in der Einrichtung von Ateliers und Werkstätten aus, die meist eigenverantwortlich von den Kindern geleitet werden und zu denen, ohne „Kontrolle“ der Erzieher, der Zugang (fast) jederzeit möglich ist. Den Kindern wird Vertrauen entgegengebracht, und es erfolgt kein äußeres Lenken durch Erwachsene. Kinder dürfen ihrem individuellen Rhythmus und dem eigenen Lebensweg folgen. Für die Erzieher bedeutet das ein Umdenken. Sie sind Beobachter, die herausfinden sollen, was Kinder wünschen und ihnen nicht aufzwingen, was sie tun sollten.

Janusz Korczak verstand sich als Anwalt des Kindes und lebte diese Überzeugung – er begleitete „seine“ Kinder bis in die Gaskammern von Treblinka. Er sprach sich für die Formulierung und Durchsetzung der Kinderrechte aus und forderte von den Erwachsenen, durch die Kinder zu lernen, ihnen Eigenständigkeit zuzugestehen, mit Respekt zu begegnen, sie zu begleiten  – als Partner, nicht als „Führer“. Das Konzept dieser Kindergärten kommt vor allem durch den anderen Umgang der Erzieher mit den Kindern zum Ausdruck. Das manifestiert sich u. a. in der Mitbestimmung der Kinder auf Kinderkonferenzen, Erstellen von Kindergartenzeitungen, Aufgabenplänen, „Schwarzem Brett“ für Kinder.

Das offene Konzept ist vor allem durch Ansätze der Reggio-Pädagogik und Ideen Korczaks geprägt. Formen dieser Arbeit sind offene Gruppen, offene, gruppenübergreifende Angebote und offenes Arbeiten in Funktionsräumen. Offene Gruppe bedeutet, dass das Kind keiner festen Gruppe angehört. Jede Erzieherin ist verantwortlich für einen Raum, innerhalb derer die Kinder sich frei bewegen können. Trotz des Fehlens fester Gruppenstrukturen bilden sich meist kleinere Gruppen in Eigenverantwortung der Kinder. Offene, gruppenübergreifende Angebote verfügen zwar grundsätzlich über feste Gruppen, bieten aber in relativ regelmäßigen Abständen gruppenübergreifende Aktivitäten an, zwischen denen die Kinder frei wählen können. Das offene Arbeiten in Funktionsräumen beinhaltet, dass alle Flächen und Räume des Kindergartens genutzt werden, um diese zu speziellen Interessensräumen umzugestalten.  So gibt es verschiedenste Angebote, aufgeteilt in Räume, die allen Kindern zugänglich sind und von Erzieherinnen nach ihrem jeweiligen Interessensgebiet betreut werden. Grundannahmen dieser Pädagogik sind das selbstbestimmte Lernen durch Einsicht und die Eigenverantwortlichkeit des Kindes, das sich seine Aktivitäten nach Interesse sucht und Entscheidungen selbst treffen kann und will. Unterstützung findet dieses Konzept durch neueste naturwissenschaftliche und entwicklungspsychologische Erkenntnisse, die grob zusammengefasst folgendes postulieren: Kinder sind Persönlichkeiten, die sich individuell, ihren eigenen Vorstellungen entsprechend, entwickeln. Es gibt Zeitfenster, innerhalb derer sich bestimmte Fähigkeiten ausbilden; das Kind wird diese – ohne Anleitung – nutzen. Der Erwachsene (in dem Fall: der Erzieher) ist wiederum Beobachter und Begleiter, der sich geduldig und empathisch im Hintergrund hält, gegebenenfalls auf die Wünsche der Kinder reagiert  und die Umwelt gemäß den Bedürfnissen der Kinder gestaltet.

Fazit

Allen Konzepten ist die Achtung des Kindes gemeinsam, was sich in sehr unterschiedlichen Arbeitsweisen und –materialien zeigt. Wichtig ist die Zusammenarbeit mit den Eltern, weil diese Konzepte eine völlig andere Sicht auf das Kind mit seinen Bedürfnissen haben. Erziehungsziele und –methoden sollen den Eltern nahegebracht werden, sie bei ihrer Erziehungsarbeit unterstützen.
Aber auch einzelne Aspekte der pädagogischen Strömungen fließen in die bereits vorhandenen (herkömmlichen) Kindergartenkonzepte ein. Vor allem der Situationsansatz, komplett oder durch einzelne Punkte, wird inzwischen in fast allen Kindergärten realisiert.
Die praktische Umsetzung dieser Konzepte sieht sehr unterschiedlich aus. So scheint besonders die Montessoripädagogik in einigen Kindergärten sehr vereinfacht angewandt zu werden. Es reicht nicht, die Materialien bereitzustellen, wenn die Sichtweise vom Kind keinen Eingang findet (vgl. Becker-Textor: Erziehung zur Selbständigkeit… 2003).
Auch hier ist also der kritische Blick der Eltern gefragt, denn Konzept und Verwirklichung unterscheiden sich oft sehr deutlich voneinander.

 

Eingewöhnung

Noch immer plädieren viele ErzieherInnen für eine sehr kurze Eingewöhnungszeit, vor allem bei den älteren Kindern. Argumente dafür sind u. a., dass die Eingewöhnung älterer Kinder gewöhnlich unproblematischer und kürzer verlaufe und Eltern die Eingewöhnung durch ihre Präsenz behinderten – sie könnten nicht loslassen. Vielen Eltern scheint dies schlüssig. Trotz allem sind diese oft vorgebrachten Argumente falsch.
Erstens ist die Eingewöhnung unabhängig vom Alter, sondern eher an Temperament und Verarbeiten der Trennung gebunden. Und zweitens ist es Fakt, dass auch Eltern diese –meist erste- Trennung von ihrem Kind verkraften müssen. Erst wenn sie dies wirklich getan haben, werden sie guten Gewissens ihr Kind übergeben können. Diese Zeit des Übergangs sollte Kindern und Eltern zugestanden werden.

Betrachten wir als erstes die rechtliche Lage.
Eltern sind die Sorgeberechtigten, die ihr Kind betreuen lassen wollen/müssen. Sie als Sorgeberechtigte bezahlen für die Betreuung ihrer Kinder. Das bedeutet, dass Kindertagesstätten eine Leistung erbringen (müssen), die den Wünschen der Eltern (gewöhnlich) zu entsprechen hat. §22 Abs. 2 Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) dazu: „Die Aufgabe umfasst die Betreuung, Bildung und Erziehung des Kindes. Das Leistungsangebot soll sich pädagogisch und organisatorisch an den Bedürfnissen der Kinder und ihrer Familien orientieren.“ §22 Abs.3 KJHG regelt gar ein Mitentscheidungsrecht der Eltern bei grundsätzlichen organisatorischen und pädagogischen Belangen.

Für Eltern bedeutet dies in der Praxis vor allem folgendes:

  1. Eltern geben ihr Sorgerecht nicht für die Dauer der Kindergartenbetreuung an die Erzieherinnen ab und haben das Recht (und übrigens auch die Pflicht – zum Wohl des Kindes) eine Eingewöhnung nach ihren Wünschen und Bedürfnissen zu gestalten.
    Erziehungsarbeit im Kindergarten erfüllt einen familienergänzenden und nicht -ersetzenden Bildungsauftrag.
  2. Eltern haben ebenso das Recht, grundsätzliche pädagogische Wünsche zu äußern. Das betrifft vor allem die Erziehungsmethoden.

Für die meisten Kinder und ihre Eltern ist der Übergang in den Kindergarten auch die erste Trennung. Übergänge/Trennungen sind immer  von starken Emotionen und typischen Stressreaktionen, wie Weinen, Angst, Rückzug, begleitet. Deshalb ist es wichtig, Kinder möglichst früh auf den bevorstehenden Kindergartenbesuch vorzubereiten, anfangs nur kürzere „Besichtigungen“ durchzuführen, um dann die Zeit langsam zu steigern. Bilderbücher und Gespräche über den Kindergarten erleichtern ebenso den Start in einen neuen Lebensabschnitt. Erst wenn sich ein Vertrauensverhältnis zwischen Kind und Erzieherin entwickelt hat, und das Kind sich sichtlich wohl fühlt, sollte man –nach vorheriger Absprache mit dem Kind und nicht heimlich- die Einrichtung verlassen. Auch hier sollten die Zeiten langsam gesteigert werden. Außerdem sollte gewährleistet sein, dass man in dieser Zeit erreichbar ist.
Das Kind braucht am Anfang dieses neuen Lebensabschnittes also vor allem zwei Dinge: die Begleitung einer Vertrauensperson und Verlässlichkeit.

Soweit zur Theorie. Die Praxis sieht leider meist anders aus. So ist es zwar in den meisten Kindergärten inzwischen Standard, eine Eingewöhnung einzuräumen. Gleichzeitig werden daran oft unsinnige Zeitaussagen gekoppelt  und es ist üblich, die Eltern mit Aussagen wie „Überbehütung“, „Nicht-Loslassens-Können“ und „fehlende Kindergartenreife“ unter Druck zu setzen. Dazu kommt meist noch der argwöhnische Blick vieler anderer Eltern, die ihrem Kind keine solche Zeit des Abschieds und des Übergangs zugestehen konnten/wollten.
Deshalb ist es sehr oft notwendig, auf seine Rechte klar und deutlich hinzuweisen und zu wissen, dass sich eine Eingewöhnung sehr wohl über Monate erstrecken kann.

Zum Schluss einige Bemerkungen dazu, woran man einen qualitativ guten Kindergarten erkennen kann. Wichtigster Punkt ist in diesem Fall nicht das pädagogische Konzept, sondern in erster Linie der persönliche Umgang mit Kindern und auch ihren Eltern. Er sollte geprägt sein von Respekt, Sensibilität, Wärme und Fürsorge. Nur durch persönliche Beobachtung lässt sich die fachliche und persönliche Kompetenz der Erzieherin beurteilen. Wie beispielweise werden Regelverletzungen beurteilt und geahndet?  Werden bedenkliche Methoden, wie „Stiller Stuhl“ und „Auszeit“, angewandt? Oder werden Kinder trotz ihrer Fehler respektiert und diese nicht als Charaktermängel, sondern natürliche Entwicklungsschritte betrachtet?

Der Kontakt zu den Eltern sollte vor allem durch Transparenz geprägt sein. Außerordentlich wichtig ist die Einbeziehung der Eltern in die Kindergartenarbeit. Der obligatorische Elternabend ist nicht ausreichend, um persönliche Gespräche zu fördern und individuelle Konflikte anzusprechen. §22 Abs.3 KJHG dazu: „Bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben sollen die in den Einrichtungen tätigen Fachkräfte und Mitarbeiter mit den Erziehungsberechtigten zum Wohl der Kinder zusammenarbeiten. Die Erziehungsberechtigten sind in wesentlichen Angelegenheiten der Tageseinrichtung zu beteiligen.“

Wichtig und notwendig ist der Austausch über Erziehungsziele und –methoden. Für das Kind ist es von Bedeutung, dass sich Eltern und Erzieher weitgehend einig sind. Manchmal sind Kompromisse nötig, aber grundsätzliche Forderungen sollten Eltern klar stellen und auf deren Einhaltung auch bestehen.

Womit ich beim pädagogischen Konzept wäre. Außer der oben vorgestellten pädagogischen Ansätze gibt es ein paar wesentliche Punkte der pädagogischen Arbeit, die von Bedeutung sind. So sollte es außer einem Jahres- und Wochenplan einen Tagesplan geben, an dessen Aufstellung die Kinder beteiligt sind. Das zeigt zum einen den Respekt vor den Bedürfnissen der Kinder und zum anderen Flexibilität im Umgang mit Plänen, Konzepten, etc. Außerdem ist ein ausgewogenes Verhältnis von freiem Spiel und Beschäftigungen sinnvoll. Damit bleiben die typisch kindlichen Verhaltensweisen, zu denen Forschungsdrang & Selbsttätigkeit gehören, erhalten. Arbeit in Kleingruppen, um den individuellen Wünschen der Kinder gerecht zu werden, wäre wünschenswert.

Womit ich bei einem weiteren wichtigen Aspekt, der Gruppengröße und –zusammensetzung, wäre. Eine Fachkraft sollte maximal 10 Drei-, Vier- oder Fünfjährige betreuen, die gesamte Gruppe sollte bei den über 3jährigen maximal 16-20 Kinder umfassen.

  • Altersgemischte Gruppen sind vorteilhafter als altershomogene Gruppen, da es eine gegenseitige Förderung und Anregung gibt, und typische altersspezifische Auffälligkeiten eher gemindert werden.
  • Es sollte gewährleistet sein, dass Kinder verlässliche AnsprechpartnerInnen, sprich Bezugspersonen, haben, die nicht ständig – aufgrund eines Schichtplanes – wechseln.
  • Wichtiger als die Raumgröße ist die Raumgestaltung. Die Art und Qualität des Spielzeugs, nicht die Menge, ist ausschlaggebend, damit Kinder kreativ spielen können. Es sollten außerdem verschiedene Spielecken sowie Rückzugsmöglichkeiten vorhanden sein.
  • Einer der wichtigsten Punkte sei ganz am Schluss genannt: das Interesse der Erzieherin an der Herkunft des Kindes, seinen Interessen, Eigenarten, Verhaltensweisen. Nur durch dieses Wissen ist es möglich, empathisch auf das Kind eingehen zu können, weil die Ursachen für ein bestimmtes Verhalten verständlich sind. Eltern sollten deshalb darauf achten, dass statt eines kurzen Anmeldegespräches ein ausführliches Aufnahmegespräch geführt wird. Zum einen, um mögliches Fehlverhalten des Kindes aus seiner Geschichte erklären und adäquat reagieren zu können und zum anderen, um Erziehungsziele und –methoden abklären zu können.

© Diplom-Pädagogin und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin Ines Kopp für rabeneltern.org, 2003

 

Literatur:

Baacke, D.: Die 0-5jährigen. Einführung in die Probleme der frühen Kindheit. Weinheim, Basel 1999

Becker-Textor, I.: Kindergarten 2010. Traum-Vision-Realität. Freiburg, Basel, Wien 1995

Becker-Textor, I.: Eltern als Auftraggeber und Kunden – Konstruktive Irritationen für die klassische Elternarbeit.
https://www.kindergartenpaedagogik.de/54.html (07.11.2003)

Becker-Textor,I.: Erziehung zur Selbständigkeit. Montessoris Entwicklungspädagogik.
https://www.kindergartenpaedagogik.de/937.html (07.11.2003)

Becker-Textor, I.; Textor, M.R.: der offene Kindergarten – Vielfalt der Formen. Freiburg, Basel 1998

Böhnisch, L.: Sozialpädagogik des Kindes- und Jugendalters. Weinheim, München 1992

Büttner, C.: Berufsrolle und –auftrag von Erzieherinnen im Wandel neuer Anforderungen.
https://www.kindergartenpaedagogik.de/731.html (07.11.2003)

Griebel, W.; Niesel, R.: Der Übergang in den Kindergarten.
https://www.kindergarten-heute.de/online_beitraege/beitrag_template?onlstrnr=131&einzelbeitrag=11429 (07.11.2003)

Klein, L.: „Da muß man umdenken.“. Freinet-Pädagogik im Kindergarten.
https://www.kindergarten-heute.de/online_beitraege/beitrag_template?onlstrnr=132&einzelbeitrag=15982 (07.11.2003)

Klieber, I.: Achtung vor der Persönlichkeit des Kindes.
https://www.kindergarten-heute.de/online_beitraege/beitrag_template?onlstrnr=132&einzelbeitrag=44221 (07.11.2003)

Mrozynski, P.: Kinder- und Jugendhilfegesetz (SGB VIII). München 1994

Niesel, R.; Griebel, W.: Der Übergang von der Familie in den Kindergarten

Unterstützung von Eltern und Kindern. In: Bildung, Erziehung, Betreuung von Kindern in Bayern 1998, Heft 2

Rohnke, H.-J.: Eigenverantwortung als handlungsleitendes Prinzip in der offenen Arbeit. Informationen zu Geschichte und Aktualität der „offenen Arbeit“. https://kindergartenpaedagogik.de/928.html (23.11.2003)

Stöllberger, I.: Ein wichtiger Schritt – Der Eintritt in den Kindergarten.
https://www.wien.gv.at/ma11/seiten/service/pdf/kindergarten.pdf (08.11.2003)

Textor, M.R.(Hrsg.): Elternarbeit mit neuen Akzenten. Reflexion und Praxis. Freiburg, Basel, Wien 1994

Textor, M.R.: Qualitativ gute Kinderbetreuung. In: Kinderzeit 1996 (47)

Textor, M.R.: Erzieherinnen und Eltern als Partner. In: Klein & Groß 2001, Heft 1

Textor, M.R.: Eltern: Kunden, Störer oder Partner? https://kindergartenpaedagogik.de/51.html (07.11.2003)

Laut UNICEF sterben in den wohlhabenden Ländern jährlich 3500 Kinder an den Folgen von Misshandlung und Vernachlässigung. In Deutschland sterben jede Woche mindestens 2 Kinder!! Im Vergleich: England 2, Frankreich 3, Japan 4 und USA 27. Kinder im ersten Lebensjahr sind besonders bedroht.In 14 von 23 Industrieländern ist die Zahl der Kindestötungen seit den 70er Jahren leicht zurück gegangen. UNICEF begründet dies mit einem Anstieg der Sensibilität in der Öffentlichkeit, vermehrte Kinderschutzprogramme, aber auch mit dem Fortschritt in der Notfallmedizin. Parallel steigen die Misshandlungen ohne Todesfolge jedoch an.

Der Deutsche Kinderschutzbund geht von rund 150 000 Kindesmisshandlungen pro Jahr in Deutschland aus.

In allen untersuchten Ländern sind Kindesmisshandlungen sehr häufig mit Armut, Stress und Isolation der Eltern verbunden. Hinzu kommen Alkohol- und anderer Drogenmissbrauch.

Das Risiko für Misshandlungen ist um so größer, je mehr Gewalt allgemein in einer Gesellschaft verbreitet ist. In diesen Ländern gehört auch „leichte“ körperliche Gewalt zur Tagesordnung. Die Länder mit den wenigsten Morden an Erwachsenen – Spanien, Griechenland und Italien -, haben auch die geringste Zahl von Kindestötungen. In den Länder mit den höchsten Mordraten an Erwachsenen – USA, Mexiko und Portugal – sind auch die Kindesmisshandlungen mit Todesfolge am häufigsten.

UNICEF fordert für Kinder, insbesondere  aus Risikofamilien, ein schützendes Umfeld zu schaffen:

  • Sensibilisierung von Mitarbeitern in Kindergärten, Schulen, Jugendeinrichtungen und Krankenhäusern
  • Hausbesuche und Hilfe für überforderte Eltern
  • Gesamtgesellschaftlich darauf hinwirken, dass jegliche Form der Gewalt nicht mehr tolerierbar ist

Jede Gewalt gegen Kinder muss geächtet werden. Denn Gewalt ist die Ursache für eigenes gewalttätiges Verhalten der Opfer – sei es in der Schule oder später als Erwachsene gegenüber den eigenen Kindern.

 

Ländervergleich:

Todesfälle von Kindern durch Misshandlung und Vernachlässigung in den Industrieländern

Jährliche Zahl der Todesfälle von Kindern unter 15 Jahren pro 100 000 Kinder in dieser Altersgruppe (inklusive der ungeklärten Todesfälle, die vermutlich im Zusammenhang mit Misshandlung stehen)

Spanien 0.1
Griechenland 0.2
Italien 0.2
Irland 0.3
Norwegen 0.3
Niederlande 0.6
Schweden 0.6
Korea 0.8
Australien 0.8
Deutschland 0.8
Dänemark 0.8
Finnland 0.8
Polen 0.9
Großbritannien 0.9
Schweiz 0.9
Kanada 1.0
Österreich 1.0
Japan 1.0
Slowakei 1.0
Belgien 1.1
Tschechien 1.2
Neuseeland 1.3
Ungarn 1.3
Frankreich 1.4
USA 2.4
Mexiko 3.0
Portugal 3.7

Zusammengefasst von eulalie für rabeneltern.org, 2004

Quelle: UNICEF-Nachrichten 4, Dezember 2003

1. Fakten

Jährlich werden in Deutschland mehr als 10000 Fälle sexueller Gewalt an Kindern angezeigt. Die Dunkelziffer liegt bedeutend höher. Experten sprechen von bis zu 300000 Kindern, die jährlich allein in Deutschland Opfer von sexueller oder sexualisierter Gewalt werden.  Mädchen werden etwas häufiger als Jungen Opfer sexueller Gewalt, so musste schätzungsweise jedes 3. bis 4. Mädchen in Deutschland sexuelle Gewalt erleben.

In mindestens 80 % der Fälle kommen die Täter aus dem Lebensumfeld des Opfers. Ca. 1/3 der Mädchen und 20 % der Jungen werden von Tätern aus der Familie (Väter, Stiefväter, Großväter, Onkel, Brüder) sexuell misshandelt. Der Fremde als Täter ist also eher eine Ausnahme, obwohl gerade Presseberichte die Angst vor dem Fremdtäter schüren.  Dass  es in den meisten Fällen enge Verwandte oder andere Personen (Lehrer, Erzieher, Pfarrer, Trainer, Nachbarn etc.) aus dem Umfeld des Kindes sind, ist in der Öffentlichkeit immer noch ein Tabu.  Oftmals sind es Männer (und in selteneren Fällen auch Frauen) , die als besonders kinderlieb und angesehene Bürger gelten, denen „das“ niemand zutrauen würde.

Sexuelle Gewalt ist keine Einzeltat – viele Täter misshandeln ihre Opfer über viele Jahre und/oder mehrere Kinder. Sie sichern sich das Schweigen der Opfer durch Geschenke, Drohungen und Beschönigungen.  So können gerade jüngere Kinder kaum ausdrücken, was ihnen passiert. Meist wir ihnen suggeriert, dass das alles ganz normal wäre und das alle Kinder erleben.  Sprüche, wie „du hast das doch auch gewollt“ sollen den Opfern eine  Mitschuld geben. Dazu kommt, dass Täter ganz geschickt die Liebe und Abhängigkeit der Kinder ausnutzen und ihnen meist noch die Verantwortung für den Weiterbestand der Familie aufbürden.  Drohungen, dass der Papa dann ins Gefängnis muss, Mama ganz traurig ist, das Kind dann ins Heim muss etc. werden gezielt eingesetzt, um das Kind zu manipulieren und es am Reden zu hindern.

Sexuelle Gewalt beginnt oftmals im Alter von 7-10 Jahren, es sind aber auch immer öfter Kleinkinder und sogar Säuglinge betroffen. Die Palette der Taten reicht von sog. „leichteren“ Übergriffen (begehrliche Blicke, anzügliche Reden, Anfassen) bis hin zu brutalsten Vergewaltigungen und Folterungen.

Sexuelle Gewalt hat weniger mit sexuellen Wünschen als vielmehr mit Macht zu tun, deshalb wird von mir gleichbedeutend der Begriff sexualisierte Gewalt verwendet.  Sexualisierte Gewalt ist in erster Linie die Suche nach Anerkennung und  Selbstbestätigung. Sexualisierte Gewalt ist Machtmissbrauch  und wird vor  allem von Personen mit geringem Selbstbewusstsein begangen. Die Ursachen liegen meist  in Demütigungserfahrungen aus der Kindheit (seelische Grausamkeit, körperliche Gewalt,  sexuelle Gewalt). Fast immer ist es eine Art Wiederholungszwang, die (verdrängten) Gewalterfahrungen an den (eigenen) Kindern fortzusetzen.

Ich beziehe mich im Folgenden ausdrücklich auf sexuelle Gewalt im Umfeld der Opfer. Wir wollen vor allem auf die Ohnmacht der Opfer innerhalb von Familien hinweisen, weil gerade diese Taten oft verschwiegen, nicht angezeigt, geduldet werden.

 

2. Sexuelle Gewalt erkennen

Auch wenn die meisten sexuell misshandelten Kinder in den wenigsten Fällen konkret über die Gewalterfahrung sprechen, so senden sie doch immer Signale aus. Verhaltensänderungen und –auffälligkeiten, wie

  • Aggressivität
  • Schlafstörungen
  • Überangepasstes Verhalten
  • Distanzlosigkeit
  • Angstzustände
  • Suchtverhalten
  • Schulschwierigkeiten
  • Regressives Verhalten
  • Einnässen
  • Essstörungen
  • Rückzug
  • Waschzwang
  • Selbstzerstörerisches Verhalten
  • Selbsthass bis hin zum Suizid

können auftreten.

Eindeutige körperliche Spuren, wie

  • Unterleibsverletzungen
  • Blutergüsse/ Bisswunden an den Genitalien
  • Geschlechtskrankheiten

dagegen sind in den seltensten Fällen zu finden, weshalb eine gynäkologische Untersuchung  meist nicht nur unnötig, sondern zusätzlich traumatisierend sein kann.
Besonders kleine Kinder zeigen ihre Gewalterfahrungen im Spiel.

Einzelne oder mehrere Symptome können, aber müssen nicht zwangsläufig auf sexuelle Gewalt hindeuten.

 

3. Hilfe

Bei konkretem Verdacht sind vor allem 3 Dinge wichtig:

  • die Überprüfung des Verdachts
  • Besonnenheit und
  • Parteilichkeit.

Die Überprüfung des Verdachts erfolgt am besten durch die geeigneten Ämter und Stellen. Zu nennen sind hier vor allem Jugendamt, Kinderschutzbund oder spezielle Vereine, wie Dunkelziffer e.V. (siehe Link auf unserer Homepage) „Zartbitter e.V.“ und  „Wildwasser e.V.“.
Auf keinen Fall sollte man den Täter oder Familienangehörige darauf ansprechen. Natürlich wird der Täter die Tat – sehr überzeugend – leugnen und das Kind zum Schweigen und Lügen zwingen.  Das Kind befindet sich dadurch in akuter (Lebens-) Gefahr und wird unter Umständen weiterer sexualisierter Gewalt über Jahre hinweg ausgesetzt sein.

Besonnenheit ist also gefragt. Meist findet sexualisierte Gewalt schon über viele Monate oder gar Jahre statt und man sollte die Kraft haben zu warten, anstatt vorschnell zu handeln. An erster Stellen hat immer der Schutz des Opfers zu stehen und erst, wenn geeignete Maßnahmen ergriffen wurden, was  z.B. die räumliche Trennung von Täter und Opfer betrifft, sollte gehandelt werden.

Parteilichkeit bedeutet, das Kind immer ernst zu nehmen. Ein Kind, das spontan von sexueller Gewalt berichtet äußert, hat diese auch erlebt. Widersprüchliche Äußerungen sollten nicht überbewertet werden, so ist bei vielen Opfern die Erinnerung gerade an Details getrübt oder die Unsicherheit so groß, dass einmal gemachte Aussagen wieder zurückgenommen werden.
Das weitere Vorgehen sollte immer mit dem Kind besprochen werden. Obwohl ich eine Anzeige für wichtig halte, kann sie bzw. der darauffolgende Prozess eine zusätzliche Traumatisierung bedeuten. Das Kind sollte nicht wieder zum ohnmächtigen Opfer werden, sondern informiert und in die Entscheidungen einbezogen sein.
Weiterhin ist wichtig, die Gefühle des Opfers, die durchaus ambivalent sein können, zu akzeptieren. Das Kind hat trotz des Missbrauchs oft auch liebevolle Gefühle für den Täter, der eben meist auch Vertrauensperson war.

Das allerwichtigste zum Schluss: Hilfe sollte nicht mit der Aufdeckung der Tat aufhören, sondern weitergehen. Fast alle Kinder  und auch deren Familien benötigen eine Therapie oder zumindest eine Person, der sie sich anvertrauen können. Das Schlimmste ist wohl die Sprachlosigkeit der Opfer und Familien, die es zu überwinden gilt. Häufig wird die Tat aus Scham verschwiegen oder dem Opfer durch andere Familienangehörige sogar noch die Schuld zugeschoben.

 

4. Prävention

4.1. Welche Kinder sind besonders gefährdet, Opfer sexueller Gewalt zu werden?

Die Opfer werden von den Tätern ganz gezielt nach Persönlichkeit und Lebensumfeld ausgesucht. Die meisten Täter haben eine ausgeprägte Fähigkeit, gerade bedürftige, selbstunsichere Kinder zu identifizieren.
Je größer die Defizite in Bezug auf Liebe, Geborgenheit, Anteilnahme sind, um so höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass diese Kinder sich die fehlende Zuwendung bei anderen Personen holen und so zu leichten Opfern werden.
Kinder, die sexuell nicht aufgeklärt wurden, können gerade die Anfänge der Misshandlung oft nicht erkennen und sind deshalb anfälliger. Auch Kinder aus ärmeren Familien sind häufiger Opfer, weil gerade sie durch materielle Zuwendungen leicht zu beeindrucken sind.

2/3 aller Opfer sexueller Gewalt leb(t)en in einem Klima familiärer Gewalt, seien sie körperlicher, seelischer oder sexueller Art. Gewalterfahrungen machen Kinder leicht ausbeutbar, weil sie weniger selbstbewusst, schnell einzuschüchtern und vor  allem Grenzverletzungen gewöhnt sind bzw. gar nicht mehr wahrnehmen.

Die Täter arrangieren Ort und Zeit der Tat genau. Meist testen sie vorher die Grenze des Kindes (durch Berührungen etc.). Ein Kind, das protestiert und sich wehrt, wird in der Regel nicht zum Opfer im Gegensatz zu stillen, isolierten und leicht beeinflussbaren Kindern.

4.2. Prävention durch Erziehung

Traditionell erzogene Kinder,  in deren Familien die Erziehung zum Gehorsam im Vordergrund steht, werden leichter Opfer. Deshalb ist Respekt vor dem Kind, seinen Wünschen und Bedürfnissen und vor allem Grenzen der wirksamste Schutz vor sexueller Gewalt. Starke, selbstbewusste Kinder, die „Nein“ sagen dürfen und deren Nein auch akzeptiert wird, werden sich wehren können. Dazu gehört auch, dass Kinder sich gegen (wohlmeinende) Umarmungen, Küsse und Streicheln von Fremden und auch Verwandten wehren dürfen und die Eltern sie darin bestärken. Kinder sollten den Bezug zu ihren Gefühlen nicht durch Manipulation verlieren. Ein Kind, das z.B. Angst hat, sollte nicht durch den sicher gut gemeinten Rat „Das brauchst du nicht“ getröstet werden. Damit sendet man als Elternteil das Signal aus, dass die eigenen Gefühle unwichtig bzw. falsch sind.  Dabei sollte auch kein Unterschied zwischen Jungen und Mädchen gemacht werden. Gerade eine geschlechtstypische Erziehung, die Mädchen zum Angepasstsein und Jungen zu „Aggressivität“ und „Gefühllosigkeit“ erzieht, wird bewirken, dass Mädchen nach wie vor leichter Opfer werden und Jungen aus Scham über das „Sich-Nicht-Wehren“ schweigen.  Außerdem wird damit das Geschlechterungleichgewicht, was als ein Grund für sexuelle Gewalt gilt, weiterhin aufrechterhalten. Kinder sollten dazu ermutigt werden, ihre Gefühle auszudrücken. Oft haben Kinder Angst, ihre Eltern einzuweihen, ihnen weh zu tun. Eltern sollten deshalb ihren Kindern immer wieder klar machen, dass sie mit allen Problemen zu ihnen kommen können. Das setzt eine Vertrauensbasis zwischen Kind und Eltern, das Interesse der Eltern an den Aktivitäten des Kindes, Respekt, Liebe und die vorgelebte Tatsache, dass Äußerungen des Kindes immer ernst genommen werden, voraus. In diesem Zusammenhang sind populäre Methoden wie div. Schlaftrainingsmethoden oder auch Triple P sehr kritisch zu sehen. Bei solchen Methoden geht es eher um Anpassung des Kindes an die Vorstellung der Erwachsenen bis hin zur Unterwerfung als darum, ein Kind und seine Bedürfnisse zu achten und zu respektieren.

Sexuelle Aufklärung ist sehr wichtig. Kinder sollten über die Körperteile und ihre Funktion Bescheid wissen. Nur so ist für das Kind auch der Beginn von sexueller Gewalt zu erkennen.

Gerade Erziehung, die mit Methoden der Erpressung, Drohungen, Zwang oder seelischer und körperlicher Gewalt arbeitet, bildet Opfer aus und fördert Täter.

Kinder, deren Grenzen respektiert werden, werden kaum zu Opfern und mit großer Wahrscheinlichkeit auch nicht zu späteren Tätern.

 

Literatur:

Bundesministerium für Frauen und Jugend:  Keine Gewalt gegen Kinder. Signale sehen – Hilferufe hören. Bonn, Berlin, 1992

Bruder, K.-J.; Richter-Unger, S.: Monster oder liebe Eltern? Sexueller Missbrauch in der Familie. Berlin, 1993.

Enders, U. (Hrsg.): Zart war ich, bitter war’s. Handbuch gegen sexuellen Missbrauch. Köln, 2003.

Grandt, G. und M.; van der Let, P.:  Ware Kind. Missbrauch und Prostitution. Düsseldorf, 1999

Miller, A.:  Du sollst nicht merken. Frankfurt a.M., 1981

Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen: Was stimmt da nicht? Sexueller Missbrauch: Wahrnehmen und Handeln.  Bonn, 1991

 

von Dipl.-Pädagogin und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin Ines Kopp für rabeneltern.org, 2004

Schon seit einiger Zeit bemängeln Erziehungsexperten, dass vielen Eltern die Kompetenz fehle, ihre Kinder richtig und gut zu erziehen. Verantwortlich dafür könnte sein, dass die meisten Erwachsenen Alltag mit Kindern kaum kennen – erst dann, wenn sie selbst Kinder haben, ändert sich das. Früher wuchsen die Kinder im Rahmen von Großfamilien auf. Ältere Geschwister, jüngere Onkel und Tanten übernahmen Erziehungs- und Betreuungsaufgaben und wuchsen so allmählich in die Rolle der späteren Eltern hinein. Manche fordern gar einen „Elternführerschein“, ohne den es keine finanzielle Unterstützung vom Staat geben solle. Aber auch viele Eltern fühlen sich überfordert: Sie wollen anders erziehen als die ältere Generation, antiautoritär soll es aber auch nicht sein. Den goldenen Mittelweg zu finden, erweist sich aber im Familienalltag oft als schwer. So ist es also kein Wunder, dass Elternkurse immer beliebter werden. Sie werden angeboten von den Kirchen, Volkshochschulen, Familienbildungsstätten.
Bekannt sind hierbei der Kurs „Starke Eltern – starke Kinder“ des Deutschen Kinderschutzbundes und Triple P (das steht für „Positive Parenting Program“). Um letzteren soll es hier gehen, denn die dort vermittelten Methoden sind nicht unumstritten.

Was ist Triple P?

Ursprünge

„‚Triple P‘ wurde von einem Team an der Universität Queensland (Australien) um den Psychologie-Professor Matthew R. Saunders entwickelt und richtete sich ursprünglich an Eltern von schwer verhaltensauffälligen Kindern. In Deutschland wird „Triple P“ vom Institut für Psychologie AG in Münster vertrieben und von der Christoph-Dornier-Stiftung für Klinische Psychologie in Marburg unter­stützt. Wissenschaftlicher Leiter der deutschen ‚Triple P‘-Sektion ist der Braunschweiger Psychologie-Professor Dr. Kurt Hahlweg.“

Triple P versteht sich als wissenschaftlich begleitet, die Trainer müssen sich regel­mäßig lizensieren lassen. Die Sitzungen mit den Eltern werden wissenschaftlich ausgewertet, auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft ist daran beteiligt.1

 

Inhalte

Bei dem Kurs geht es weniger um theoretische Grundlagen zu Entwicklung und Psychologie. Vielmehr ist der Kurs sehr pragmatisch angelegt und lehnt sich sehr stark an die Verhaltenstherapie an. Diese will nicht in lang­wie­rigen Sitzungen die Ursachen psychischer Probleme ergründen, sondern versucht so schnell wie möglich ein Problemverhalten durch ein erwünschtes zu ersetzen. Die Eltern bekommen also ganz konkrete Mittel an die Hand, mit denen sie auf das Verhalten ihrer Kinder reagieren sollen. Das sind zum einen recht einfache, aber wirksame Methoden, z.B.:

  • sich auf  Augenhöhe des Kindes begeben und den Augenkontakt herstellen;
  • wenige konkrete Anweisungen geben anstatt mehrere unklare;
  • auf Missachtung von Anweisungen sofort reagieren;
  • erwünschtes Verhalten loben.

Vielen Eltern kommt diese Vorgehensweise sicher entgegen: Sie haben Probleme im Alltag mit ihren Kindern und wollen diese meistern. Da sind konkrete Handlungsanweisungen für Stress- und Streitsituationen angesagt. Die Eltern müssen nicht lange überlegen, sondern gehen nach Schema F vor, der Erfolg ist garantiert, so jedenfalls die Befürworter.
In den „Kleinen Helfern“, den Begleitheften zum Kurs, können die Eltern dann noch einmal ganz genau nachlesen, wie sie auf welches Verhalten zu reagieren haben.

Allgemein sollen die Eltern in folgender Reihenfolge vorgehen:

  1. Ziele formulieren abhängig vom Entwicklungsstand des Kindes;
  2. Beobachtung des Kindes mit Hilfe eines Tagebuchs. Dabei sollen Umstände und Häufigkeit des problematischen Verhaltens genau festgehalten werden;
  3. Testen der neuen Erziehungsmethode für 7-10 Tage, danach die Entscheidung, wie fortgefahren werden soll.

 

Zentrale  Aspekte von Triple P

Was Triple P vor allem in die Diskussion gebracht hat, sind folgende Stichworte:

  • Konsequenz
  • Logische Konsequenzen
  • Stiller Stuhl
  • Auszeit

Ich möchte diese zunächst einmal von ihrer Funktionsweise her darstellen.2

 

Konsequenz

Dies ist ein sehr wichtiges Stichwort: Eltern sollen immer konsequent handeln, d.h. immer sofort auf Fehlverhalten reagieren. Dabei sollen sie betont ruhig sein, das Kind z.B. mit ruhiger Stimme an die Regeln erinnern, diese vom Kind z.T. auch abfragen. Das Verhalten der Eltern soll damit für das Kind vorhersehbar werden.

 

Logische Konsequenzen

Falls ein Kind nach einer ersten Ermahnung nicht tut, worum die Eltern es gebeten haben, soll eine logische Konsequenz folgen. „Logisch“ ist die Konsequenz insofern, als dass sie im inhaltlichen Zusammenhang mit dem Verhalten steht. Setzt ein Kind beispielsweise trotz Aufforderung nicht den Fahrradhelm auf, dann sollen die Eltern für 5-30 min. das Fahrrad wegstellen. Wichtig ist dabei, dass nicht über den Sinn und Zweck der Regel diskutiert wird: Die Eltern stellen die Regel auf „Fahrradfahren nur mit Helm“, das Kind wird daran erinnert. Fährt es trotzdem ohne Helm, muss es für gewisse Zeit auf sein Fahrrad verzichten. Dasselbe lässt sich auch mit Fernsehen, Streit um Spielzeug etc. durchführen.

 

 Stiller Stuhl

Der „Stille Stuhl“ soll dann angewandt werden, wenn die logische Konsequenz  versagt, also wenn das Problemverhalten nach der Wartezeit von 5-30 min. erneut auftritt. Dabei soll das Kind seine Beschäftigung unterbrechen und ruhig für kurze Zeit in dem Raum, in dem das Problem aufgetreten ist, in der Nähe der Eltern sitzen. Die Eltern sollen es in dieser Zeit nicht beachten, der Zeitraum sollte 1 bis 5 min. betragen. Wenn das Kind in der festgesetzten Zeit ruhig bleibt, darf es danach mit seiner Beschäftigung fortfahren, ansonsten soll der Stille Stuhl erneut angewandt werden.

 

 Auszeit

Sie soll dann angewandt werden, wenn das Problemverhalten „schwerwiegend“ ist oder das Kind beim Stillen Stuhl nicht ruhig bleibt. Das Verfahren ähnelt dem beim Stillen Stuhl, mit dem Unterschied, dass das Kind in einen anderen Raum gebracht wird. Dieser soll keinerlei Anregungen bieten, aber sicher, hell und gut durchlüftet sein. Auch hier soll die Dauer vom Alter abhängig zwischen 1 und 5 min. liegen. Bleibt das Kind nicht im Zimmer, soll die Tür geschlossen werden.

Kritische Anmerkungen

Ich bezweifle nicht, dass man mit der Triple P-Methode „Erfolg“ hat. Wenn man unter „Erfolg“ versteht, dass die Kinder sich an die formulierten Regeln halten. Ob das Familienklima (und damit meine ich die Zufriedenheit und das Glück aller Familienmitglieder) sich damit steigern lässt, steht auf einem anderen Blatt.
Einzelne Aspekte, die besonders kritikwürdig erscheinen, möchte ich im Folgenden darstellen.

 

Verhaltentstherapeutischer Ansatz

Auch wenn sich die Verhaltenstherapie großer Beliebtheit erfreut, so kann man diesen Ansatz doch auch kritisch sehen. Da die Ursachen des unerwünschten Verhaltens unberücksichtigt bleiben, kann es zu einer sogenannten Symptomverschiebung kommen – ein Phänomen, dass von ehemaligen Rauchern bekannt ist, die nun zu Süßigkeiten anstatt zu Zigaretten greifen. Dies kann natürlich auch bei Kindern vorkommen. Vielleicht ist das unerwünschte Verhalten ein Ruf nach mehr Aufmerksamkeit oder weist auf Probleme in Kindergarten, Schule oder Freundeskreis hin. Solange die Eltern das Verhalten nur als störend klassifizieren, können sie nicht auf die tatsächlichen Sorgen des Kindes eingehen.
Zudem handelt es sich um Methoden, die so wirksam sind, dass sie in die Hand erfahrener Therapeuten gehören. Diese wenden sie auch erst bei schwerwiegenden seelischen Störungen an. Ob Eltern sich als Therapeuten ihrer Kinder aufspielen sollten, wage ich zu bezweifeln.

 

Regeln

In den Begleitheften, den „Kleinen Helfern“, findet sich kein Hinweis darauf, wie sinnvolle Regeln im Familienalltag gemeinsam erarbeitet werden. Vielmehr geben die Eltern die Regeln vor, die Kinder haben diese zu befolgen. Natürlich kann man nicht immer und überall Regeln diskutieren. Das Kinder nicht einfach so auf die Straße laufen dürfen, ist nun mal eine Frage das Überlebens im heutigen Straßenverkehr.
Doch je älter die Kinder werden, desto stärker sollte man sie auch einbeziehen, wenn es um Regeln geht, die für die ganze Familie gelten. Und Kinder ändern sich: Regeln die gestern noch aktuell waren, sind morgen vielleicht schon out.

Des weiteren sind die Beispiele für sinnvolle Regeln doch recht eng. Unter dem Stichwort „Gäste“ wird z.B. eine Szene beschrieben:

„‚Wenn du mit Mama und Papa reden möchtest, sag ‘Entschuldigung’ und warte, bis wir zu Ende geredet haben‘; dann das Kind vor dem Besuch nochmals abzufragen: ‚So, was waren noch einmal die Regeln, wenn Gäste da sind?‘; im Falle früherer Probleme bei Besuch von Gästen dem Kind auch nochmals zu sagen: ‚Das letzte Mal als wir Gäste hatten, hast du die Regel vergessen, …‘; um schließlich nach dem Besuch dem Kind ‚kurz und mit ruhiger Stimme‘ nochmals die Regel zu sagen, an die es sich nicht gehalten hat: ‚Du hast vergessen ‘Entschuldigung’ zu sagen, als du mich sprechen wolltest‘.“3

Ist es wirklich notwendig, Kindergartenkinder mit derartiger Ausführlichkeit bei einem solchen Anlass zu belehren, oder werden hier nicht aus Mücken Elefanten gemacht?

 

Konsequenz

Ein Verhalten, auf das sich die Kinder verlassen können, ist bestimmt sehr wichtig für die kindliche Entwicklung. Aber muss ich immer gleich auf eine Regelverletzung reagieren? Vieles ist doch auch abhängig von der Tagesform. Und wenn man selbst dem Kind mit Verständnis begegnet, so bringt auch das Kind diese auf. Warum nicht einfach sagen: „Ich bin heute wirklich total gestresst von der Arbeit, ich möchte mich erst ausruhen, bevor ich mich um dich kümmere.“ An anderen Tagen wiederum kann man vielleicht auch mal Fünfe gerade sein lassen. Kinder sind da flexibler als man denkt. Meine Tochter kann auch mit ihren zwei Jahren schon sehr rücksichtsvoll sein.

 

Stiller Stuhl und Auszeit

Sicher ist es nicht schlecht, Abstand zu wahren, wenn eine Situation zu eskalieren droht. Besser kurz raus, tief Luft holen, und dann wieder zum Kind. Oder der Partner übernimmt mit frischer Energie einmal die Regie, wenn man sich selbst gerade überfordert fühlt.

Aber hier geht es ja gerade darum, dass wir den Kindern die „Auszeit“ verordnen. Das Kind muss mit seinen Gefühlen, von denen es vielleicht selbst auch total überrumpelt wird, ganz allein fertig werden.

„Wie man es allerdings zuwege bringt, ein aufgebrachtes, schreiendes, widerborstiges Kind in einen anderen Raum zu bugsieren, ohne dass es sofort wieder angerannt kommt und der ganze Zirkus von vorne losgeht – hier schweigt der Kleine Helfer. Soll man es einschließen? Wegtragen? Oder doch wieder niederbrüllen, wenn nicht gar Schlimmeres? ‚Das ist nichts als Drill‘, schnaubt Georg Kohaupt, Therapeut im Kinderschutzzentrum Berlin verächtlich. ‚Triple P ist faszinierend, weil es hochwirksam ist‘, sagt er, ‚aber von Personen und Persönlichkeit ist diese Strategie abgespalten.‘ So funktioniere die Methode nur deshalb, weil die Eltern aus der Beziehung herausgingen und sich vom Kind distanzieren, ohne Zorn und Eifer, ohne Gefühl. Das Kind müsse so den Konflikt allein lösen, die Eltern nähmen nicht teil. ‚Der Machtkampf wird durch Dressur entschieden‘, sagt er, ’sonst nichts.’“4

 

Zudem besteht die Gefahr einer inflationären Anwendung, und dies gerade auch bei Verhaltensweisen, die als alterstypisch und reifeentsprechend anzusehen sind.5 Kleinkinder z.B. müssen eben auch lernen, auf die sofortige Erfüllung eines Wunsches verzichten zu können. Aber das gleich zu erwarten, wenn sie gerade erst begriffen haben, dass sie einen eigenen Willen haben, ist doch schon sehr viel verlangt. Gerade in solchen Situationen bedürfen Kinder eben auch der Begleitung und der Hilfe durch die Eltern. Wenn ein Wunsch nicht erfüllt werden kann, warum nicht das Kind trösten, in den Arm nehmen und sagen: „Ich weiß, dass dir das jetzt schwer fällt, aber es geht nun mal nicht anders.“  Deegener und Hurrelmann ziehen daher in Bezug auf Stillen Stuhl und Auszeit auch das Fazit: „Es ist also fraglich, ob Kinder durch (gehäufte und solcherart angewendete) Auszeiten wirklich ‚lernen mit Frustrationen und Ärger umzugehen‘, wie es Triple P behauptet.“6

 

Schlafen

Triple P macht auch Vorschläge, wie man mit kindlichen „Schlafstörungen“ umgehen kann. Diese Vorschläge ähneln sehr denen des Buches „Jedes Kind kann schlafen lernen“ von Kast-Zahn/Morgenroth, ja sind zum Teil noch rabiater. Auch hier besteht die Gefahr – wie auch sonst bei Triple P – dass völlig normale Verhaltensweisen als Störung klassifiziert werden:

„Wenn, wie behauptet, ein Drittel aller Kinder unter fünf Jahren Probleme beim Schlafen und Schlafengehen hat, so ist zu diskutieren, in wieweit die genannten Verhaltensweisen wie Trödeln, nicht ins Bett gehen wollen, im Bett weinen, mitten in der Nacht aufwachen, aus dem Bett klettern und bei den Eltern schlafen wollen noch als ’normal‘ für diese Altersstufe angesehen werden können oder aber bereits als Probleme bezeichnet/etikettiert werden müssen.7

Wer sich darüber hinaus zum Thema Schlafen informieren möchte, dem empfehle ich unsere Textsammlungen unter der Rubrik Schlafen oder die Rote Bücherliste in unserer Bibliothek.

Fazit

Triple P enthält sicher einige positive Elemente (z. B. Augenkontakt halten, positiv formulieren). Aber die zukunftsorientierte, demokratische und humane Dimension in der Erziehung wird stark vernachlässigt. Dazu gehören z. B. alters- und reifegerechte Mitsprache-, Mitbestimmungs- und Gestaltungsmöglichkeiten, Partnerschaftlichkeit, Respekt und Achtung vor dem Kind, Zuhören und ernst nehmen. Stattdessen werden Anpassung und Gehorsam überbetont.8

Es gibt qualitativ (und auch finanziell, denn ein Triple P-Kurs geht ordentlich ins Geld) wesentlich bessere Alternativen zu Triple P.

Zu empfehlen sind z. b.

  • Elternkurs „Starke Eltern – starke Kinder“ vom Deutschen Kinderschutzbund;
  • Elternkurse nach Thomas Gordons „Familienkonferenz“.

In unserer Bibliothek unter der Rubrik Elternsein sind die Bücher zu den genannten Elternkursen von uns rezensiert.

Literatur und Anmerkungen

Deegener, Günther/ Hurrelmann, Klaus (2002): Kritische Stellungnahme zum Triple P. https://kinderschutzbund-bayern.de/2017/11/06/kritische-stellungnahme-zu-tripple-p-ein-beitrag-von-prof-dr-phil-guenther-deegener/

Kucklick, Christoph: Die hohe Kunst des Helfens. In: GEO 04/2002 (S. 127-154).

Unverzagt, Gerlinde: Müssen Eltern in die Elternschule In: Psychologie Heute, Februar 2001, S. 64-69.

 

1Vgl. Kucklick, S. 132.

2Deegener, Hurrelmann, S.12-15.

3Deegener, Hurrelmann, S. 31.

4Unverzagt, S. 67.

5Vgl. Deegener, Hurrelmann, S. 30.

6Deegener, Hurrelmann, S. 37.

7Deegener, Hurrelmann, S. 21.

8Vgl. Deegener, Hurrelmann, S. 38.


Elly für Rabeneltern.org, Januar 2004

et.

Die Halte-Therapie ist eine Praxis, die im Buch „Holding Time“ von Martha Welch beschrieben und empfohlen wird. Halte-Therapie bedeutet das zwangsweise Halten des Kindes von einem Therapeuten oder Elternteil, bis das Kind seinen Widerstand aufgibt oder bis eine bestimmte Zeitspanne vorüber ist. Manchmal wird der Zwang erst gelöst, wenn Augenkontakt erfolgt ist. Obwohl diese Therapie ursprünglich für autistische Erwachsene entwickelt wurde, wird sie ebenfalls bei Teenagern und Kindern angewendet, die unter Wahrnehmungsstörungen leiden oder bei Kindern mit Spätfolgen, die aufgrund einer schweren Geburt vermutet werden. Befürworter dieser Methode verteidigen diese mit der Begründung, sie wäre nur zum Besten für das Kind – also genau die selbe Rechtfertigung, die für das Schlagen oder andere Bestrafungen angeführt wird. Die Verwendung des Begriffs „Therapie“ macht es Fachleuten, die dieses Vorgehen nicht befürworten, schwer, dagegen vorzugehen und Eltern dabei zu helfen, die Gefahren zu erkennen. Ich beurteile diese Praxis als unvereinbar mit Attachment Parenting (liebevollem Elternsein), welches vor allem eine Beziehung ist, die auf gegenseitigem Vertrauen basiert. Es kann für ein Kind außerordentlich hart sein, sein volles und tiefes Vertrauen wiederzugewinnen, nachdem es zwangsweise gehalten wurde – unabhängig von den „guten Absichten“ seiner Eltern oder dem Resultat gedankenlosen Verhaltens.

Alice Miller schreibt dazu:

„Ich sehe die Haltetherapie als eine Form der Gewaltanwendung an. Leute mit den besten Absichten haben kein Gefühl dafür, was es bedeutet, wenn sie die Rechte einer anderen Person – des Kindes – missachten. Das Ziel ist, das Kind von verbotenen, unterdrückten Gefühlen zu befreien, aber die Gewalt dieser Methode macht es ihm absolut unmöglich, davon zu profitieren.“ (1) „Zwang ist nur zum Besten für das Kind und es wird für seine Toleranz, den Zwang zuzulassen, belohnt und geliebt, das ist die Botschaft dieser Methode. Es wird glauben, dass Zwang zu seinem Wohlbefinden beiträgt und letztendlich nur zu seinem Vorteil ist. Ein perfekterer Betrug und eine perfektere Verzerrung der kindlichen Wahrnehmung ist kaum möglich.“ (2)

Es liegt in der menschlichen Natur, die Anwendung von Zwang abzulehnen und sich gegen sie aufzulehnen. Die Anwendung von Halten unter Zwang durch ein Elternteil, wird auf jeden Fall starke Gefühle von Angst, Verwirrung, Hilflosigkeit, Ärger und Verrat beim Kind hervorrufen, weil die natürlichen Versuche des Kindes, sich aus der Umklammerung zu lösen, missachtet werden, von denjenigen, die es liebt und denen es vertraut. Durch das zwangsweise Halten, lernt das Kind, dass Freiheit nur erreichbar ist, wenn es der von außen auferlegten Kontrolle nachgibt – eine gefährliche Lektion, die einem kleinen Kind damit erteilt wird. Der Wille kann gebrochen werden, aber das ist nicht, was ich unter psychischer Gesundheit verstehe. Es ist verantwortungslos, ein Kind, das nicht in der Lage ist, sich frei zu entscheiden, irgendeinem Zwang auszusetzen. Auch wenn ein emotionaler Durchbruch erreicht scheint, wäre der Preis zu hoch, denn es gibt keinen Weg, die kindlichen Gefühle wie Ärger, Frustration, Ablehnung und Verrat, zu vermeiden. Diese intensiven Gefühle können weder momentan, noch ihre Auswirkung in Zukunft eingeschätzt werden. Wie nach Schlägen oder anderen Arten der Bestrafung, das Kind scheint zu gehorchen, während seine tatsächlichen Gefühle verdrängt werden und erst dann zum Ausbruch kommen, wenn es sich stark genug dafür fühlt. Weiterhin ist der echte „Erfolg“, wo Zwang angewendet wird, für immer mit Zweifel versehen. Wenn ein Kind nicht „nein“ sagen darf, was hat sein „ja“ dann wirklich noch für einen Wert? Ein Kind, das gezwungen wird, lernt gutes Benehmen vorzutäuschen. Diese Art der Unaufrichtigkeit ist die Wurzel einer asozialen Persönlichkeit. Die Anwendung von Zwang bei einem Kind ist immer ein Risikofaktor und niemals gerechtfertigt, außer es handelt sich um die Abwendung einer unmittelbaren Gefahr für Leben und Gesundheit und es gibt keine bessere Alternative. Es gibt aber Alternativen – sogar unzählige – für nahezu alle zwangsweisen Maßnahmen von Eltern. Für das unglückliche und aus der Kontrolle geratene Kind ist die beste Alternative vorzubeugen, indem die Grundbedürfnisse des Kindes gestillt werden (ungeteilte Aufmerksamkeit, Nahrung, Schlaf, Beachtung möglicher Allergien, Beseitigung familiärer Stressfaktoren, etc.). Wo Zwang einfach unvermeidbar ist (das Kleinkind rennt auf die Straße), sollte dieser so gering wie möglich sein und es sollten sanfte Erklärungen und Entschuldigungen des Elternteils folgen. Halten unter Zwang, ohne unmittelbare Gefahr, sollten aus humanitären Gründen – die für mich selbstredend sind –  in Frage gestellt werden. Und über die angeblichen, von den Befürwortern gesehenen gesundheitliche Vorteile hinaus, kann Zwang eine schwerwiegende psychologische Gefahr darstellen, wie Michel Odent in The Scientification of Love (1999) zitiert:

„… einer unserer wichtigsten Fortschritte beim Verständnis von Gesundheit und Krankheit in den vergangenen Jahrzehnten […] ist die Identifizierung von typisch krankmachenden Situationen gewesen – in die Falle gelockt werden oder in bedrohliche Umstände und nicht in der Lage sein, weder zu kämpfen, noch zu fliehen. Wenn wir uns nur passiv abfinden können, tendiert unser Gesundheitszustand dazu, sich zu verschlechtern (3). Auf der anderen Seite, wenn wir selbst die Initiative ergreifen können, verbessert er sich.“

Es gibt noch einen weiteren zwingenden Grund der Haltetherapie den Rücken zu kehren: Wie können wir diese Methode in einer Gesellschaft rechtfertigen, in der Kinder – aus gutem Grund – dazu angehalten werden, „nein“ zu sagen, wenn sie sich durch Berührung Erwachsener belästigt fühlen? Ob nun ein Elternteil, Therapeut oder Fremder, physische Gewaltanwendung ist falsch. Dies zu rechtfertigen, indem Begriffe wie Liebe oder Therapie verwendet werden, ist eine Verletzung des kindlichen Vertrauens und Selbstverständnisses. Wie alle anderen Formen zwangsweisen Gehorsams, verbindet „Halten unter Zwang“ Liebe mit Unterwerfung. Täuschungsmanöver durch das Kind sind wahrscheinlich, weil das Kind versucht etwas zu begreifen, was sein Herz als falsch empfindet, nämlich was es eigentlich unter Liebe versteht. Sanfte, mitfühlende Annäherungen sind mit viel weniger Stress für alle Beteiligten verbunden, als Halten unter Zwang, sind auf lange Sicht wesentlich effektiver und respektvoller dem Kind gegenüber, das vor allem anderen unsere Liebe und Zuneigung verdient. Wie traurig, wenn unser geliebtes Kind in den Armen zu halten – vorausgesetzt der Wunsch beruht auf Gegenseitigkeit – pervertiert würde in eine solche herzlose Praxis.

Quellen:
1 Miller, Alice. Personal communication.
2 Miller, Alice. Breaking Down the Wall of Silence
. New York: Penguin USA, new edition 1997.
3 Maier, S. F. and Seligman, M.E.P. „Learned Helplessness: Theory and Evidence.“ J. Exp. Psychol. General 1976; 105:3-46.

Veröffentlicht mit freundlicher Erlaubnis der Autorin Jan Hunt

übersetzt aus dem Englischen von eulalie für Rabeneltern.org

dieser Artikel steht hier als pdf-Datei zum Download zur Verfügung.

Quelle: www.spektrum.de Ausgabe 2/2005

wir bedanken uns für die freundliche Genehmigung zur Veröffentlichung bei Dr. Gabriele Haug-Schnabel, Leiterin der Forschungsgruppe Verhaltensbiologie des Menschen, www.verhaltensbiologie.com
und bei Dr. Ludwig Hanser, zuständiger Redakteur bei Gehirn und Geist.

Mein Sohn ist 15 und hat mir nichts als …„Ärger gemacht?“

Ich dachte mir doch, dass Sie das sagen würden! Nein, mein Sohn ist 15 und hat mir nichts als Freude bereitet.

„Sie scherzen. Wie ist das möglich?“

Ich bin stolz auf meinen Sohn, aber leider kann ich das nicht auf meine eigene Kappe nehmen. Sein Vater und ich hatten einfach Glück, nachdem zu Anfang einiges schief gelaufen ist, dass wir einfühlsame Ratgeberbücher und Zeitschriften für Eltern gelesen und uns mit erfahrenen und mitfühlenden Freunden ausgetauscht haben. Heute ist unser Sohn der fürsorglichste, verantwortungsbewusste und großzügigste Mensch, den ich kenne.„Sagen Sie mir bitte, wie haben Sie das geschafft?“

Nun, wir haben alles das getan, was wir nicht hätten tun sollen. Wir haben zusammen im Familienbett geschlafen, ich habe ihn mehrere Jahre gestillt, er wurde niemals bestraft, bedroht, geschlagen oder verhöhnt und er durfte seinen Ärger genauso herauslassen wie seine Freude.

„Oh, Sie haben ihn verzogen?“

Nun, lassen Sie uns dieses Wort doch einmal genauer unter die Lupe nehmen. Im Wörterbuch steht unter – verziehen – :  „Unzufriedenheit oder zu hohe Erwartungen durch Nachgiebigkeit verursachen.“ In meinem Wörterbuch ist dies die dritte Bedeutung. Es spiegelt den üblichen Gebrauch des Wortes wieder.  Diese Definition geht von einem Prinzip der Ursache-Wirkung aus. Nachgiebigkeit erzeuge Verwöhnung. Aber stimmt das überhaupt? Oder ist diese Definition nur ein weit verbreitetes Vorurteil in Bezug auf die  ursprüngliche kindliche Natur? Eine Definition, die richtig wäre im Sinne wie Kinder tatsächlich lernen und reagieren, ist die erste in der Liste: „zerstören, verletzen, vernichten.“ Was wirklich ein Kind  verzieht, was tatsächlich zerstört, verletzt und vitale Qualitäten eines Kindes vernichtet, sind die anderen Möglichkeiten elterlichen Verhaltens: Strafe, Trennung und Zurückweisung. Diese Erfahrungen verderben das angeborene Vertrauen, die Fähigkeit zu lieben, Kreativität und das Vermögen, Freude empfinden zu können. Ein Kind dieser Schätze zu berauben, ist sicherlich eines der furchtbarsten Taten, die ein Mensch vollbringen kann.„Probieren geht also über Studieren!“

Genau. Adolf Hitler wurde regelmäßig brutal misshandelt in seiner Kindheit. Als Erwachsener hat er die Qualen und Schmerzen dieser Jahre kompensiert, in dem er über Millionen anderer Menschen Leid und Elend brachte. Im Vergleich, Albert Einstein wurde von seinen Eltern liebevoll umsorgt. Seine Mutter wurde beschuldigt, ihn zu verderben. Einstein wurde nicht nur einer der weltberühmtesten Wissenschaftler, sondern ebenfalls ein sehr sanfter, fürsorglicher Mann, der sich für soziale Belange einsetzte.

„Wo kann ich die Informationen finden, die Ihnen geholfen haben?“

Sprechen Sie mit Hebammen. Treffen Sie sich mit Müttern der La Leche Liga oder mit Müttern von Stillgruppen. Lesen Sie Bücher von Alice Miller, Joseph Chilton Pearce, Tine Thevenin und John Holt. Meditieren Sie und hören auf das, was Ihr Herz Ihnen sagt. Glauben Sie daran, dass Ihnen Ihr Baby mitteilen wird, was richtig ist … und was falsch.

„Wie kann das ein Baby tun?“

Babys kommen auf die Welt und tragen Urvertrauen und Liebe in sich selbst. Sie verdächtigen nicht, misstrauen nicht, spielen keine Spielchen, zweifeln nicht an Glaubwürdigkeit oder betrüben in irgendeiner Weise die Kommunikation, außer und bis ihr Vertrauen enttäuscht wird durch so schmerzhafte Erfahrungen wie Strafe, Zurückweisung und Trennung. Das Lächeln und die Tränen eines Babys sind die wirksamste Form der Kommunikation auf diesem Planeten.

„Was ist mit Fehlern, die bereits begangen wurden?“

Es gibt keine perfekten Eltern. Da wir alle Fehler machen, ist Selbstbestrafung genauso wenig wirksam oder vernünftig wie die Bestrafung unserer Kinder. Sowohl uns selbst zu lieben und zu verstehen, was wir getan haben, als auch was wir hätten tun können mit der Information und innerer Stärke in diesem Moment, ist genauso wichtig wie  die Liebe und das Verständnis für unsere Kinder. Alles, was wir tun können ist, unsere Kinder zu lieben, die Wichtigkeit des Elternseins kritisch anzunehmen und damit fortzufahren, liebevolle Wege zu entdecken, unsere Kinder, mit denen wir gesegnet sind, zu umsorgen.

„Was sind die wichtigsten Punkte, die Eltern wissen sollten?“

Zwei Dinge: Erstens, in unserer Gesellschaft wird vorausgesetzt, dass Kinder und Erwachsene, warum auch immer, zwei getrennten und unterschiedlichen Verhaltensprinzipien folgen. Als Erwachsene wissen wir, dass wir uns am besten denjenigen gegenüber benehmen, die uns mit Freundlichkeit, Geduld und Verständnis begegnen. Bei Kindern wird angenommen, dass sie sich genau umgekehrt verhalten, das bedeutet, sich vorbildlich benehmen gegenüber denjenigen, die sie bedrohen, bestrafen und erniedrigen. Wenn wir versuchen, das Alter festzumachen, an dem sich diese Verhaltensprinzipen umdrehen, kommen wir zu keinem Ergebnis, weil es diesen Unterschied gar nicht gibt. Für Kinder wie für Erwachsene gilt ein und dasselbe Prinzip: wir alle verhalten uns so gut wie wir behandelt werden. Die zweite wichtige Betrachtung ist, dass das so genannte „schlechte Benehmen“ ein Glück im Unglück ist, denn es ist die beste Chance für das Leben zu lernen. Wenn in diesem Moment die Strafe eingeführt wird, ist die Chance verloren, weil die Aufmerksamkeit des Kindes von der eigentlichen Lernaufgabe abgelenkt wird und seine Gefühle verletzt werden hin zu Erniedrigung, Ärger und Rache. Weiterhin, oberflächliches „gutes Verhalten“, das durch Drohungen und Strafe erreicht wurde, wird nur solange anhalten, bis das Kind alt genug ist, um zurück zu schlagen; wütende Teenagers fallen nicht vom Himmel. Vertrauen, Freundlichkeit und Mitgefühl, welche von Geburt an im Kind verankert sind, über die Jahre durch elterliches Vorbild  gepflegt und gestärkt, werden ein Leben lang wirken.

„Ich verstehe. Es ist also alles eine Frage des Vertrauens in Kinder, des Erkennens, dass Kinder weniger Erfahrung haben und kleiner sind, als wir, sie aber dasselbe Recht haben, mit Würde und Respekt behandelt zu werden. Vom Baby bis zum Greis, alle Menschen verhalten sich so gut wie sie behandelt werden. Bemerkenswert. Für Eltern und Kinder,  wie für alle menschlichen Beziehungen gilt, lasst uns nur Liebe geben und Liebe wird alles sein, was wir zurück erhalten.

 

Der Artikel ist mit freundlicher Erlaubnis der Autorin auf unserer Seite veröffentlicht und im Original mit dem Titel: Confessions of a Proud Mom unter www.naturalchild.org nachzulesen.
übersetzt aus dem Englischen von eulalie für Rabeneltern.org

 

Das Elterntelefon ist ein telefonisches Gesprächs-, Beratungs- und Informationsangebot, das Eltern in den oft schwierigen Fragen der Erziehung ihrer Kinder schnell, kompetent und anonym unterstützt. Am Elterntelefon können Eltern und andere, die an Fragen der Erziehung interessiert sind, über ihre alltäglichen Sorgen, Ängste oder Unsicherheiten im Umgang mit Kindern sprechen und Hilfestellung und Unterstützung bei der Lösung von Problemen erhalten.

Das Elterntelefon bietet Eltern:

  • Gespräche und Beratung in Fragen der Erziehung
  • Unterstützung und Anregungen in der Erziehung
  • Entlastung in Belastungssituationen
  • Informationen über weitere Institutionen und Hilfsangebote
  • Das Elterntelefon ist direkt und unkompliziert zu erreichen, ohne lange Wartezeiten

Der Aufbau von Eltern-Telefonen in Deutschland wurde vom Deutschen Kinderschutzbund/BundesArbeitsGemeinschaft Kinder- und Jugendtelefon e.V. im Mai 1998 begonnen und vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend unterstützt. Nach dem Modell des Kinder- und Jugendtelefons haben sich die Eltern-Telefone zu einem bundesweiten Netzwerk zusammengeschlossen, das Eltern aus ganz Deutschland die Möglichkeit gibt, das nächst gelegene Elterntelefon unter einer einheitlichen Rufnummer zu erreichen. Bisher haben sich 32 Eltern-Telefone in diesem Netzwerk der BundesArbeitsGemeinschaft zusammengeschlossen und arbeiten bereits nach verbindlich vereinbarten Qualitätsstandards. Hierzu zählen u.a. eine intensive Ausbildung der BeraterInnen und die Beratungstätigkeit begleitende Supervisionen. Die BeraterInnen unterliegen der Schweigepflicht und die Eltern können anonym bleiben.

Das Elterntelefon ist unter der einheitlichen Telefon Nr.: 0800/111 0 550 bundesweit zu erreichen.
Die Beratungszeiten sind:

Montag bis Freitag 9.00 – 11.00 Uhr und
Dienstag und Donnerstag 17.00 – 19.00 Uhr

www.nummergegenkummer.de