Es geht aber nicht darum, wie es uns geht. Es geht darum, wie es dem Kind geht. Selbstverständlich wirken sich kindliche Missstimmungen auf die Gesamtfamilienlaune aus – wenn einer nörgelt, zieht er die anderen mit runter. Trotzdem hat ein Kind ein Recht auf seine emotionalen Befindlichkeiten. Interessanterweise sind sich die meisten Eltern darüber einig, auch wenn sie gleichzeitig die emotionale Richtung vorgeben. Eltern fühlen vor:
„Das kann doch gar nicht so weh tun. Da muss man doch nicht weinen. Das ist doch gar nicht so schlimm.“
Wieso eigentlich nicht? Was sollte uns dazu befähigen, besser als Kinder darüber Bescheid zu wissen, was und wie Menschen zu fühlen haben. Die Tatsache, dass wir Erwachsene sind, tut es sicher nicht. Gewiss, wir haben uns im Laufe der Zeit ein gewisses Maß an emotionaler Kontrolle antrainiert und wir sind besser dazu in der Lage, die Ursachen für unsere Stimmungen zu identifizieren. So viel besser aber nun auch wieder nicht. Ein Großteil der von uns ausgemachten vermeintlichen Ursachen ist aber nichts anderes als nachträgliche Rationalisierung. Wir wissen es nicht wirklich. Vielleicht haben wir schlecht geschlafen, etwas Falsches gegessen oder einen unausgeglichenen Hormonhaushalt. In jedem dieser Fälle wären wir dazu verdammt, passiv zu ertragen. Wir wären gezwungen zu fühlen, ohne die Ursachen beseitigen zu können. Da aber der persönliche wie gesellschaftliche Anspruch besteht, jedwede Form der Missstimmung zu überwinden, projizieren wir als Grund für unsere schlechte Laune ein klar umrissenes Hindernis, das sich aus dem Weg räumen oder zumindest neu bewerten lässt.
Negative Gefühle scheinen grundsätzlich unerwünscht zu sein. Unsere Gesellschaft verfügt über ein alles durchdringendes Gute-Laune-Diktat, dem wir uns zu beugen haben. Alles andere ist krank. Positive Empfindungen müssen nicht vorgefühlt werden, sie verfügen an sich schon über eine ausreichende Existenzberechtigung. Falls Sie mir nicht glauben, testen Sie bei Gelegenheit doch die Umkehrungen der genannten Beispiele:
„Das kann doch gar nicht so gut tun. Da muss man doch nicht lachen. Das ist doch gar nicht so schön.“
Abgesehen vom Bereich der Schadenfreude fühlt sich das ausgesprochen merkwürdig an.
Scheinbar kann es einfach nur schlechte Laune nicht geben. Stattdessen gibt es Burnout und saisonal abhängige Depressionen. Nur um Missverständnissen vorzubeugen: Die gibt es wirklich. Allerdings ist die Symptomatik so breit gefächert und ansatzlos in die eigene Biographie integrierbar, dass diese Erkrankungen zunehmend als Label fungieren. Als Rationalisierungen von gerade nicht genau bestimmbaren Problemlagen, derer wir uns allerdings auch deshalb bedienen, weil es so von uns verlangt wird. Mit einem schlichten Mir geht es heute nicht so gut werden Sie kaum der Arbeit fernbleiben können.
Für Menschen, die ihre Rationalisierungen gerne weniger klinisch und mehr esoterisch hätten, gibt es darüber hinaus verstopfte Chakren, schlechtes Karma, schwarze Katzen oder falsche Beine, mit denen man aufsteht.
In der deutschen Sprache existiert ein sehr treffendes Wort, für das, was wir mit einer forcierten optimistischen Grundhaltung tun: Weglächeln! Aber müssen all diese Dinge und Empfindungen wirklich weg. Wohin weg? Und warum?
Stattdessen könnten wir es ja mal mit Aushalten versuchen – die eigenen Stimmungsschwankungen und die unserer Kinder. Schlechte Laune ist normal. Miese Stimmung gehört dazu. Sie muss weder weggelächelt noch durch emotionale Suggestivvorschläge außer Kraft gesetzt werden. Wenn irgendwann schließlich wieder gute Laune herrscht, freut man sich umso mehr.
Literaturtipp
Barbara Ehrenreich: Smile or Die. Wie die Ideologie des positiven Denkens die Welt verdummt.