Erfahrungen und Rabeneltern-Tipps: Job und Kind

Amerkung: Die Autorin verwendet den schweizerischen Sprachgebrauch: Krippe bezeichnet familienergänzende Betreuung für Babys und Kleinkinder bis 4 Jahre, Hort wird in Deutschland Kindergarten genannt, der schweizerische Kindergarten ist eine Vorschuleinrichtung.

Für die Eingewöhnung möchte ich auf die Artikel „Kindergarten – Pädagogische Konzepte und Eingewöhnung“ und „Familienergänzende Betreuung von Babys und Kleinkindern unter 2 Jahren“ von Ines Kopp verweisen. Sie erklären anschaulich, wie wichtig eine gute Eingewöhnungszeit für alle Beteiligten (Eltern, BetreuerInnen und Kinder) ist. Gerade für Säuglinge und Kleinkinder ist die Eingewöhnungsphase entscheidend und sollte dem Kind angepasst werden, nicht allfälligen gewohnten Abläufen in der Tagesstätte untergeordnet werden.

Aber auch Kinder, die schon längere Zeit in einer familienergänzenden Betreuungsform sind – sich dort wohl fühlen und sich bis jetzt ohne Probleme von den Eltern trennen konnten – können plötzlich Krisen bekommen.

Ich habe das selbst erfahren müssen, als mein Sohn mit etwa 2,5 Jahren plötzlich nicht mehr in die Krippe wollte. Nachdem er schon über 2 Jahre in dieser Krippe war und seine Zeit dort von Beginn an immer sehr genossen hatte, kam das für uns überraschend. Ich habe mich in meiner Ratlosigkeit ans Forum gewandt – und eine Menge toller Tipps und Erfahrungsberichte bekommen!

Ich denke, auch ein bereits eingewöhntes Kind hat ein Recht auf eine „Krippenkrise“ – auch wir Erwachsenen gehen nicht ständig mit derselben Begeisterung an unseren Arbeitsplatz.

Oft habe ich beobachtet und gehört, dass solche Krisen ein Symptom für andere Krisen im Kinderleben sein können: ein neues Geschwisterchen ist angekommen, in der Familie (oder auch in der Krippe) gibt es Veränderungen. So war es zum Teil auch bei uns: in der Krippe stand ein Personalwechsel an, die Stimmung unter den Betreuerinnen war gespannt und das hatte sich auch auf die Kinder übertragen. Manchmal ist es möglich, die Ursachen zu beseitigen – und die Krippensituation normalisiert sich von selbst wieder – manchmal ist das aber auch nicht möglich oder die Gründe für die plötzliche „Krippenunlust“ sind nicht zu erkennen.

Kinder sind verschieden: was für das eine die perfekte Lösung ist, kann dem anderen überhaupt nicht weiterhelfen. Diese Auswahl von Tipps kann nur eine Auswahl bleiben – sie kann aber auch als Anregung für eigene, auf das eigene Kind und die Familie zugeschnittene Lösungsansätze sein.

Rituale – Genügend Zeit – oder lieber schnell vorbei?

Für den Abschied von den Eltern, dem Übergang von „Familienzeit“ zu „Krippenzeit“, haben sich feste Rituale bewährt. Manche Krippen haben schon erprobte Abläufe, die das Bedürfnis der Kinder nach Ritualen befriedigen, in anderen hat jede Familie eine eigene Taktik. In unserer Krippe gibt es ein spezielles Fenster, das bei vielen Kindern für das letzte Winken und Küssen zum Abschied zum festen Abschiedsablauf gehört.

Während manche Kinder mehr Zeit brauchen, um anzukommen, ist es anderen lieber, den Abschied möglichst schnell hinter sich zu bringen.

Karolin schrieb: „Hallo, wir haben mit unserem Kind zur Zeit aus ganz anderen Gründen Sorgen, aber zum Abgeben in der Krippe fällt mir noch das ein: Je früher ich es abgebe, desto besser klappt es. Da ist es entweder das erste Kind oder es sind erst ein-zwei andere Kinder da und dementsprechend viel Aufmerksamkeit kann es dann beim Frühstücken genießen.“

Karla: „Ich glaube bei meinem Sohn war es so, dass er irritiert war, weil ich morgens immer noch eine gewisse Zeit (auch max. halbe Stunde) mit ihm zusammen dort geblieben bin und er immer darauf warten musste, dass die für ihn eh schon unangenehme Verabschiedung stattfindet.

Wir haben dann gemeinsam als Ritual entwickelt, dass ich ihn bringe, laut und vernehmlich „Tschüss“ sage, jeder gibt jedem noch einen Kuss und ich fahre.

Fortan gab es kein Weinen mehr, dafür hat er mich im Auto auf der Hinfahrt schon immer an das Ritual erinnert. Das war ihm richtig wichtig.“

Sam schrieb: „Wir haben mit unserer Tochter gesprochen und die Erzieher ebenfalls (nach Gründen gefragt etc.) Sie ist allerdings auch schon seit sie 7 Mon. ist, in der Kita.

Nach dem Gespräch ging es plötzlich. Einen richtigen Grund gab es nicht und das Weinen schien sich wirklich als eine Art Ritual entwickelt zu haben.

Jetzt rennen wir morgens von ihrer Garderobe zur Eingangstür um die Wette, so richtig mit ‚Auf die Plätze fertig…‘ und dann einen dicken Abschiedskuss.

Wäre das was? Ansonsten eine Erzieherin bitten, ihn in Empfang zu nehmen, die ihn gleich ‚ablenkt‘ und ihn in bestimmte ‚Aufgaben‘ einbindet?“

Hermines Tipp: „Bei uns geholfen hat: Kita vorbereiten – am Abend vorher überlegen, was in der Kita gemacht werden könnte – etwa das Lied ‚Häschen hüpf‘ singen und er nimmt seinen Stoffhasen mit oder er nimmt eines seiner Bilderbücher mit und es wurde zum Mittagsschlaf vorgelesen. Hilfreich war in unserem Fall sicherlich auch, dass ich bereits im Mutterschutz war und ihn mal zu Hause lassen konnte. Allerdings war immer klar, dass Kita das „Normale“ ist.

Auf dem Weg zu Kita mal was ‚Besonderes‘ – zum Beispiel ein Rosinenbrötchen vom Bäcker als Vesper. „

passiflora: „Wir haben zwar meist keine Abschiedsprobleme, aber wenn mein Sohn mich mal nicht gehen lassen will, sage ich ihm, dass er ja jetzt gleich mit den anderen frühstücken kann. Dann schnappt er sich meist seinen Rucksack, winkt nochmal und zieht Richtung Essecke von dannen.“

Aline: „Ich glaube, Merlin (bei der Eingewöhnung 19 Monate alt) hat es geholfen, dass wir unsere Sympathie zu den Erzieherinnen sehr offen gezeigt haben. Wir waren gleich per Du, haben beim Bringen oft noch ein bisschen gequatscht und waren sehr schnell vertraut im Umgang. Es gab auch mal eine Umarmung, wenn die Situation so war. Merlin hatte dadurch das Gefühl, da kann er bleiben, weil Mama und Papa finden die auch lieb und vertrauen denen.

Ansonsten wurde auch bei uns in der Krippe immer aufgefordert, sich richtig vom Kind zu verabschieden, damit es den Abschied wahrnimmt. Kinder, die geweint haben, wurden nie angemacht, sondern ich konnte immer bei Bedarf auch noch ein paar Minuten da bleiben (was wir dann seltenst mussten). Es gab immer wieder mal Mütter, die längere Zeit dort mit verbracht haben, weil es den Kindern in der Eingewöhnung so wichtig war.

Wichtig war für uns im Kopf noch, dass wir so lange Zeit haben durften, wie wir brauchen. Da gab es keinen Stichtag oder so.“

Margarita: „Ansonsten würde ich, wenn es geht, Hinbringen an Papa zu übertragen.“

Vorbereitung – Verarbeitung

Ist die Krippe oder die Tagesmutter die erste „Außerhausbetreuung“ eines Kindes, kann das Eltern und Kind verunsichern. Regelmäßige Kontakte mit anderen Kindern, Besuche und ein bisschen Trubel können schüchterne, eher ruhige Kinder ein bisschen auf die ungewohnte Situation vorbereiten.

Ceddysmam: „Wir haben gute Erfahrungen gemacht, in dem wir Cedric schon lange vor der Tamu-Betreuung für diese Zeit stark gemacht haben.

Cedric war sehr anhänglich und ich machte mir große Sorgen, ob es mit der Betreuung klappt. Im März sind wir umgezogen, im November habe ich wieder angefangen zu arbeiten, da war Cedric zwei Jahre alt. Ihm half es, dass wir in diesem Sommer sehr viele Familien kennen lernten, viel mit anderen Kindern unternahmen und er auf dem Spielplatz Kontakte mit anderen Kindern knüpfen konnte. Das steigerte sein Selbstbewusstsein immens, weil er dadurch irgendwie die Mutterfixierung von sich aus aufgab und er sich mehr auf andere Kinder konzentrierte.

Außerdem haben wir aus der Not heraus eine Tugend gemacht: Durch die Anstreicharbeiten in der neuen Wohnung war ich drauf angewiesen, es ohne Kind machen zu können (Cedric hat damals volle Aufmerksamkeit eingefordert). Eine Freundin mit Tochter in Cedrics Alter hat in der Zeit die Betreuung für Cedric für ca. 2 Stunden übernommen. Cedric kannte diese Mutter und Tochter so gut, weil wir sie schon länger kannten (Pekip) und wir sie vorher schon oft besucht haben. So klappte der Übergang von Besuchen zur kurzen Betreuung.

So wurde er schon Monate vor der Tagesmutterbetreuung gestärkt und in gewisser Hinsicht vorbereitet.“

Daroan: „Bei uns in der Spielgruppe ist das Buch von den Eulenkindern ‚Ich will meine Mami‘ auch immer beliebt bei Abschiedstränen.“

Spiel – Wettbewerb – Handfestes

Viele Kinder lieben Wettbewerbe, Wettrennen und so weiter. Diese Tatsache nutzen einige der folgenden Tipps aus. Andere Kinder können ihre eigenen Trennungsängste mit Hilfe von Rollenspielen am besten verarbeiten.

Nachtkerze: „Bei uns in der Krippe gibt es bei einigen Kinder ein „Rausschmeiß-Ritual“: Die Kinder gehen mit zur Tür und schubsen die Mutter/Vater aktiv hinaus, natürlich nach dem Abschiedskuss etc. Sie finden es meist ganz lustig und sie trennen sich von der Mutter, nicht die Mutter entfernt sich und sie bleiben zurück.“

Massimos Topi hilft: „Wir, er und die Erzieherinnen haben ein Abkommen ‚Kussi, Drücken und dann fitzifatzi zur Gruppentüre rennen‘ und wenn alles ohne Tränen abläuft gibts ein Stempel oder ein Tattoo.“

Cleopatras Gedanken: „Mein Sohn hat das Ganze sehr gut durch Rollenspiel verarbeitet: er schlüpfte in Mamas Haut, brachte seinen Puppensohn in den KiGa, verabschiedet sich und ging in die Uni.

Danach ließen wir die Puppenkinder vergnügen und schließlich kam er mit seinem Bobby-Car seinen Puppensohn abzuholen. Dieses pausenlose Spiel durch paar Tagen hat ihm geholfen, die ganze Abschiedssituation zu erleichtern.

(… .. )Ach ja, er bekam von mir immer kleine Aufgaben, etwas für die Erzieherinnen zu zeigen, geben. So verließ er mich und nicht ich ihn.“

zaramea76: „Das mit dem Rausschmeißen machen wir morgens zu Hause auch immer. Mein Mann bringt Paul ja in den Kinderladen und Paul macht dann hinter mir die Wohnungstür zu. Er liebt das.

Und im Kinderladen gehen die Eltern noch mal vor der Scheibe in den Kinderladen winken. Im Kinderladen gehts dann immer so: Tschüß, ich geh jetzt, kommst du noch ans Fenster winken? Kind rennt los zum Fenster, Mama/Papa geht derweil raus und dann wird noch heftig gewunken, luftgeküsst und auch Faxen gemacht.“

Margarita: „Bei Vanessa hat es geholfen, dass sie erstmal auf dem Flur auf einem Schaukelpferd schaukelt, bevor sie in die Gruppe geht. Dann ist sie quasi richtig angekommen

Übergangsobjekte – Trösterchen von Zuhause

Für Kinder, die ein Übergangsobjekt haben, sollte das auch ein Begleiter in die Krippe sein können. Manchmal hilft aber auch ein speziell für die Betreuung kreiertes Trösterchen, die Trennung besser zu verkraften. Meine Mutter hat mir, als ich ihr von unserer Krise erzählt habe, von meiner Krippenzeit berichtet: Sie habe mir lange Zeit jeden Morgen eine kleine Zeichnung auf die Hand gemalt, mit Kugelschreiber. Lustigerweise konnte ich mich vorher nicht mehr an das erinnern, nach ihrer Erzählung sind plötzlich Bilder davon in meinem Gedächtnis aufgetaucht.

Von Daraon dieser Tipp: „Wenn du etwas von dir bei ihm lässt?

Eine Kollegin von mir hat ihrer Tochter, ihre Uhr dagelassen (da war die kleine 3 Jahre alt) und ich habe meiner Tochter auch schon mal meine Halskette umgelegt wenn ich weg musste.

So als Zeichen ‚Ich bin bei dir, auch wenn du mich nicht siehst, und ich komme wieder, ganz bestimmt.’“

Margarita: „Als ich mit der Ausbildung angefangen hatte und Kinder (vor allem Felix) so traurig waren, hatte jedes Kind einen kleinen Fotorahmen bekommen mit unserem gemeinsamen Foto: ich mit dem jeweiligen Kind. Ich weiß, dass Felix dieses Foto öfters rausgeholt hatte und beim Frühstück immer auf dem Tisch hatte ‚um mit Mama zusammen zu sein‘. Es hat gedauert, aber schon seit Monaten brauchen sie die Fotos nicht mehr.“

Cleopatra: „ich wollte (…) berichten, dass die bilder meinem sohn auch schnell geholfen haben.

an dem ersten tag gab noch paar tränchen, die aber schon trockneten, bevor ich den raum verließ. an dem tag hat er auch manchmal die bilder rausgeholt.

am zweiten tag ging es ganz ohne tränen und die bilder waren nur beim ankommen in seiner hand, danach verteilten sie sich im gruppenzimmer. jetzt reicht’s ihm zu wissen, dass sie in seiner kiga-tasche drin sind.“

Ach ja, ausprobiert haben wir Margaritas Fototipp! Ein schlagender Erfolg! Danke!

Bauchschmerzen, feuchte Hände, Herzklopfen – das vegetative Nervensystem selbst bei Erwachsenen steht häufig Kopf in fremder Umgebung und unter fremden Menschen. Wie schön wäre ein bekanntes Gesicht, ein herzlicher Zuspruch – ich denk an dich!

Wieso sollten ausgerechnet kleine Kinder cool und unbeeindruckt die Trennung von Mutter oder Vater hinnehmen und sich in die Arme einer unbekannten Doris oder Tanja oder eines Hermanns stürzen und fröhlich „Tschüß“ winken?!

Unser Tipp – Kind und Eltern haben ein Recht auf eine Eingewöhnungszeit. Besteht darauf und plant ausreichend Zeit unbedingt ein. Ein Kind ist eingewöhnt, wenn es Vertrauen zu den ErzieherInnen gefasst hat und sich von ihnen trösten lässt. Erfahrungswerte zeigen, dass die Eingewöhnungsphase ein paar Tage bis zu 6 oder 8 Wochen dauern kann.

Tipps und Erfahrungen zur Eingewöhnung findest Du in den Beiträgen weiter oben.

Viel Erfolg!

Rabeneltern.org

Kind und Job? Na klar! Etwas anderes erschien mir vor meiner ersten Schwangerschaft völlig undenkbar. Sicherlich war ich in meinen Vorstellungen sehr stark geprägt durch meine eigenen Erfahrungen. Meine Eltern waren immer berufstätig, beide. Ich fand das als Kind 😎 und war sehr stolz darauf. Auch fand ich es ganz spannend, an Tagen, wenn ich schulfrei hatte, mal alleine zu Hause sein zu dürfen. Doof war es, wenn ich krank war, weil ich dann eben auch alleine zu Hause war. Und es hat mir sicherlich nicht geschadet, dass schon mit 6 Jahren von mir erwartet wurde, dass ich die Kartoffeln auf dem Herd anstelle, wenn ich als erste (nie länger als 10 Minuten) zu Hause war. Meine Eltern hatten immer Zeit für mich und meine Sorgen und auch für die Purzelbäume 😉 , wir haben nach wie vor ein sehr enges Verhältnis. Für mich war immer klar, dass ich das auch so schaffen will und kann.

Mein Kind wäre bei einer Tagesmutter oder in einer Kita optimal betreut, während ich arbeitete, und nach der Arbeit würde ich entspannt und ausgeglichen mit dem Kind spielen und toben. So dachte ich mir das.

Zu der Zeit stand ich ganz am Anfang meiner Promotion und hatte eine halbe Stelle als Wissenschaftliche Mitarbeiterin. Promotion statt Babypause, das hatte ich bewusst so entschieden. Leider war auch mein Mann ortsgebunden, so dass ich nicht nur offiziell Teilzeit arbeitete (wobei bei einer offiziellen 20 Stunden Woche eigentlich schon eine Anwesenheit von 40 Stunden erwartet wurde – mit meinem – sehr familienfreundlichen – Chef hatte ich vereinbart, an zwei Tagen von zu Hause aus arbeiten zu dürfen), sondern auch Teilzeit Alleinerziehend sein würde.

Gegen Ende der Schwangerschaft begann ich also, mich nach einer geeigneten Kita umzusehen. Telefonierte mir die Finger wund und wurde schlichtweg ausgelacht. Von Wartezeiten bis zu zwei Jahren für eine Betreuung von Kindern unter drei Jahren war die Rede – wohlgemerkt: nicht in irgendwelchen Traumkitas, sondern generell. Auch die Suche nach einer Tagesmutter gestaltete sich schwierig, da ich sehr ungewöhnliche Arbeitszeiten hatte – drei Tage pro Woche je 8 Stunden. Dieses Modell war / ist offenbar nicht tagesmutterkompatibel. Mit viel Glück fanden wir doch noch eine sehr nette Frau. Wir waren uns auf Anhieb gegenseitig sympathisch. Nach der Geburt meiner Tochter bin ich also relativ positiv eingestellt sofort wieder arbeiten gegangen und erst da habe ich wirklich zu schätzen gelernt, WAS meine Eltern an organisatorischer Kleinarbeit für einen Spagat hingelegt haben müssen.

Die nächsten Jahre waren geprägt von Improvisation, ständiger Unruhe. Ich pendelte nicht nur zwischen zwei Heimaten sondern zwischen zwei Welten. Keine der Kolleginnen und kaum einer meiner Kollegen hatte Kinder, keiner konnte sich ansatzweise vorstellen, dass Babys eben NICHT zwangsläufig abends um 19 Uhr friedlich im Bett liegen und dann bis zum nächsten Morgen durchschlafen. Und hatten folglich auch echte Probleme zu verstehen, warum die Kollegin G. gelegentlich schlichtweg am Schreibtisch einschlief oder keinerlei Interesse für abendliche Aktivitäten mehr aufbringen mochte. Überstunden, Dienstreisen, Klausuraufsichten morgens um halb 8 am andern Ende der Stadt etc. pp., alles, was von der „üblichen“ Arbeitsnorm abwich, wurde plötzlich zum Riesenproblem. Ich musste eben um 16 Uhr nach Hause, konnte nicht mal 3 Stunden länger bleiben, um dieses oder jenes noch eben fertig zu machen. Ich hatte nicht nur meine Arbeit und mein Kind im Kopf, sondern hatte permanent zu überlegen, wie ich meine Arbeit organisiert bekommen würde. Auch die Arbeit zu Hause gestaltete sich schwierig. Meine Tochter war kein Kind von der Sorte, dass sich abends ins Bett legt und friedlich bis morgens um 8 – na gut 7 Uhr durchschläft. Zudem war ich abends so müde, dass ich meist mit ihr zusammen oder am Schreibtisch einnickte. Konzentrierte Arbeit war nicht möglich. Schwierig empfand ich es auch, längere Zeit über Sachverhalte nachzudenken, um so Lösungsansätze zu finden. Das, was ich vorher als ungemein kindkompatibel eingeschätzt hatte, eine Arbeit, bei der ich mir weitgehend selbst Ziele und Grenzen stecken konnte, erwies sich oft als unglaubliche Herausforderung an meinen Ehrgeiz und meine Disziplin, da der Kopf selten wirklich frei war. Dennoch empfand ich die Zeiten, die ich bei der Arbeit verbrachte, als sehr bereichernd und erfüllend.

Wirklich an den Rand des Nervenzusammenbruchs brachten mich uneingeplante Abwesenheitszeiten der Tagesmutter – Krankheitstage bzw. –wochen, Urlaube usw. Das ist für mich übrigens der wirkliche Vorteil einer Kita gegenüber einer Tagesmutter, die absolute garantierte Verlässlichkeit der Betreuung. Ich habe so viel Arbeitszeit damit verbracht, mir irgendwelche Notfallpläne auszudenken. Zwar hatte ich ein durchaus funktionierendes Netzwerk aus Großeltern und Verwandten, aber eben nicht vor Ort. Wie gesagt, auch der Papa war unter der Woche nicht regelmäßig verfügbar.

Schwierig fand ich es generell, entgegen der oft zitierten „Quality-Time für Kinder These“, innerhalb von ein paar Minuten zwischen Arbeitsplatz und Tagesmutter vom „Effizienzmodus“ in den langsamen Kinderrhythmus zu wechseln und plötzlich alle Zeit der Welt zu haben, um einen Regenwurm oder einen Joghurtbecher im Supermarktregal zu beobachten. (Umgekehrt war ich morgens, wenn ich endlich nach Kind wecken, anziehen, frühstücken, zur Tagesmutter bringen, verabschieden, zur Arbeit hetzen, endlich am Arbeitsplatz saß, oft schon pausenreif. Danke an meinen lieben Kollegen, der mich Tag für Tag getreulich mit einer großen Tasse Kaffee begrüßte!) Nach Feierabend Kontakte zu anderen Müttern/Eltern mit Kindern zu finden, gestaltete sich ebenfalls sehr schwierig. Krabbelgruppen, die zu einer für berufstätige Mütter passablen Zeit, also nach 16 Uhr stattfanden, gab es nicht. Der Kontakt zu Müttern in einer ähnlichen Lage ging mir sehr ab.

Auch beim Stillen verlief vieles anders, als ich mir das vorgestellt hatte. In den ersten Monaten stillte unsere Tochter sehr häufig, mindestens alle 1,5 Stunden, gerne auch dauernd 😉 . Ich hatte die Schwierigkeiten unterschätzt, die mir das Abpumpen bereiten würde. Ich verbrachte oft buchstäblich Stunden (wertvoller Arbeitszeit) damit und hatte am Ende nur Minimengen abgepumpt. Manchmal fragte ich mich mittags, was ich meinem Kind am nächsten Tag mitgeben könnte. So verfiel ich sehr schnell darauf, beim Stillen zu Hause an der freien Seite die raustropfende (bzw. oft eher raussprudelnde) Milch aufzufangen. Ich war erstaunt, welche Mengen dabei zusammenkamen. So hangelten wir uns milchtechnisch von Woche zu Woche. Nach einem guten halben Jahr hatte ich die Nase voll. Ich kaufte eine Packung Pulvermilch, fest entschlossen, mich nicht mehr stundenlang von meiner Arbeit abhalten zu lassen durch die nervige Pumperei. Entweder würde ich beim Pumpen sofort ausreichende Mengen zusammenbekommen oder das Kind würde eben Fertigmilch bekommen. Nach einem halben Jahr hielt ich das zwar für akzeptabel, dennoch hatte ich große Bauchschmerzen. Aber der Trick funktionierte, der Druck, den ich mir gemacht hatte, war raus. Die Packung schmiss ich irgendwann Monate später feierlich und vor allem ungeöffnet in den Müll, denn von Stund an hatte ich überhaupt keine Probleme mehr beim Pumpen bzw. Ausstreichen, bekam innerhalb von Minuten Mengen um die 150 ml zusammen. Die Milch konnte ich gut im Gemeinschaftskühlschrank lagern – und ja. Einmal kam es tatsächlich vor, dass ein Kollege sie sich versehentlich in den Kaffee kippte… Nach ca. 2,5 Jahren kam es immer öfter vor, dass meine Tochter bei der Tagesmutter gar keine Milch mehr trank, obwohl sie zu Hause unverändert viel und gerne stillte. Ich fand es sehr erleichternd, die blöde Pumperei endgültig einstellen zu können. Was noch bis zum Abstillen blieb, war unser morgendliches und nachmittägliches Ritual, bei der Tagesmutter zu stillen, sobald ich dort ankam. Insgesamt stillten wir ungefähr drei Jahre lang.

Rückblickend muss ich sagen, dass wir unglaublich viel Glück hatten, dass das Stillen so ohne wesentliche Probleme ablief. Das Wort Saugverwirrung kannte ich zu Beginn unserer Stillbeziehung noch nicht einmal, die Frage nach der Fläschchensorte beschränkte sich auf „Plastik oder Glas“ – verschiedene Marken kannte ich gar nicht, von alternativen Fütterungsmethoden ganz zu schweigen.

Zwei oder drei Mal in der Zeit kam es vor, dass ich eine mehrtägige Dienstreise unternehmen musste – abgesehen davon, dass ich meine Tochter jedes Mal unheimlich vermisste, kam ich auch jedes Mal mit einem dicken fetten Milchstau zurück, voller Sorge, ob sie sich nun abgestillt haben würde. Zum Glück war dem nie so.

Nach knapp drei Jahren war ich wieder schwanger. Für mich stand fest, dass mit dem Kiga-Start unserer Tochter am Heimatort diese Lebensweise nicht mehr vertretbar sein würde. Nach drei Jahren war ich überdies körperlich und psychisch ziemlich am Limit – dauernd krank, dauernd unausgeschlafen, dauernd gereizt und HB-Männchen. Auch vermisste unsere Tochter nun zunehmend unter der Woche ihren Vater und ihre Freunde, am Wochenende die Tagesmutter und anderen Kinder. Mein Arbeitsvertrag lief im Mutterschutz mit dem zweiten Kind aus. Seit der Geburt unseres zweiten Kindes bin ich also zu Hause. Ein Jahr lang habe ich von dort aus sporadisch gearbeitet, da das Projekt, an dem ich beschäftigt war, noch weiterlief. Seit ungefähr einem halben Jahr erlebe ich nun die andere Seite der Medaille, das Nur-Mutter-Modell 😉 Im Moment genieße ich die langen Ferien, doch weiß ich auch, dass ich „irgendwann“ wieder arbeiten möchte. Mein Traum wäre es, ungefähr nächstes Jahr hier in der Gegend eine Teilzeitstelle in dem Bereich zu bekommen, über den ich promoviert habe. Leider ist das sehr illusorisch. Ich werde berichten, wie es weiterging 😉

Gundula für Rabeneltern.org im Februar 2006