Als eine liebe Freundin von mir schwanger war, stieß ich in einem Diskussionsforum auf einen Beitrag, der unser Leben so sehr bereichern sollte, dass ich der Verfasserin heute noch dankbar bin.
Es ging in der Diskussion um die Vor- und Nachteile von Stoff- und Papierwindeln und die Frau schrieb sinngemäß: „Weder – noch! Unser Sohn sagt Bescheid, wenn er mal muss.“
Ich fand das bemerkenswert und interessant und ein bisschen kurios, und legte es erst einmal für mich ad acta.
Während meiner eigenen Schwangerschaft erinnerte ich mich an das Schreiben dieser Frau und suchte einen ganzen Abend lang danach, bis ich es gefunden hatte. Ich besuchte die angegebene Internet-Adresse – und machte damit den ersten Schritt in eine neue Welt.
An jenem Abend las ich voller Faszination und voller „Das ist richtig!“-Gefühle lange im Internet. Ich las und las und druckte aus und heftete ab und las es meinem Mann vor: „Hör mal zu, das ist total abgefahren!“
Sehr viel ist seither passiert. Heute finden wir es überaus seltsam, dass es tatsächlich Leute gibt, die Windeln benutzen, um die Ausscheidungen ihrer Babys aufzufangen…
Aber der Reihe nach.
Ich war begeistert und vollkommen sicher, dass wir die Methode des Sauberbleibens praktizieren würden.
Mein Mann, der weiß, wie leicht ich für alles, was gut ist, zu begeistern bin, blieb erstmal skeptisch. „Du kannst das gerne probieren, aber sei dann nicht zu enttäuscht, wenn es nicht klappt.“
Vier Monate später war unser Sohn da, so winzig und so neu, und wir waren so überwältigt von der neuen Situation, dass wir ihn zunächst „normal“ mit Stoff wickelten.
Nach drei Wochen begannen wir, ihn zunächst bei jedem Wickeln über eine Schüssel zu halten und mit „Raus damit!“ anzufeuern. Er hatte sichtlich Spaß daran. (Noch heute heißt das große Geschäft bei uns „Raus damit“ – was zu sehr lustigen Satzkonstruktionen führt, wie z.B. : „Musst Du noch mal Raus-damit?“ Oder: „Komm, wir bringen den Topf mit dem Raus-damit mal zur Toilette.“)
Bevor wir ihm die Windeln endgültig auszogen, hatte er Koliken und einen üblen Nabelbruch und war oft wund – keine schöne Zeit für ihn. Von Woche zu Woche versprach ich ihm, „nächste Woche“ bestimmt ernst zu machen.
Nun ist es ja aber so, dass Babys in unserer Gesellschaft meistens Windeln tragen. Insofern war es für uns eine recht große mentale Anstrengung, nicht mehr daran zu glauben, dass das notwendig ist. Ich besorgte allerlei Hilfsmittel, die uns den Weg in die Windelfreiheit erkauften. Immer wieder verhandelte ich mit mir: Wenn wir erst die Trainingshosen haben, dann… oder: Wenn wir erst die zweite Wollunterlage haben, dann…
Als unser Sohn 10 Wochen und 6 Tage alt war, brachte der Paketbote das Paket mit dem eigens bestellten extra kleinen Töpfchen. (Wenn wir das haben, dann…)
Am 11-wöchigen Geburtstag unseres Sohnes hatte ich endgültig die Nase voll von meinem eigenen Gezeter. Ich wagte endlich den Sprung ins Wasser, zog dem Kind die Windeln aus – und stellte verblüfft und begeistert fest, dass es ohne viel besser ging.
Die Euphorie des Anfangs legte sich irgendwann, und der Alltag zog ein.
Wir haben mal bessere Tage, mal schlechtere Tage, aber eins tun wir nie: Wir haben noch keine Sekunde die Entscheidung bereut, unser Kind (und alle, die noch kommen mögen) windellos aufwachsen zu lassen.
Die körperlichen Auswirkungen zeigten sich deutlich und prompt.
An dem Tag, an dem wir ihm endgültig die Windeln auszogen, begann der Nabelbruch schlagartig abzuheilen, die Blähungen verschwanden nahezu, und die tägliche Schreistunde reduzierte sich massiv.
Unser Kind war wie ausgewechselt.
Doch auch auf einer subtileren Ebene spürten wir Veränderungen.
Mein Sohn war – obwohl das bei einem 3 Monate alten Säugling vielleicht seltsam klingt – auf einmal viel selbstbewusster und offener.
Nicht nur in Bezug auf die Ausscheidungen, sondern in allen Lebensbereichen, wurde unsere Kommunikation merklich tiefer und besser.
Obwohl ich all die positiven Veränderungen täglich sah, war es für mich eine Zeit lang schwierig daran zu glauben, dass „das auch wirklich geht“ – und vor allem, dass es keinen Schaden anrichtet. Intellektuell war mir das Prinzip klar, und ich argumentierte auch nach außen ganz klar dafür, aber wir sind ja in unserer Gesellschaft derartig auf die vermeintlichen Schäden gepolt, die entstehen, wenn ein Kind „zu früh“ sauber wird, dass es mir schwer fiel, das ganz abzulegen, zumal mein Sohn oft beim Pinkeln weinte. So kleine Babys, das weiß ich inzwischen, weinen oft vor oder nach dem Pinkeln kurz – es ist einfach entspannend. Doch damals verunsicherte mich dieses Weinen schon ein wenig.
Mittlerweile ist unser Sohn 27 Monate alt und seit über einem halben Jahr endgültig „topffit“. Er zieht sich allein die Hose aus, geht allein aufs Töpfchen und zieht sich allein die Hose wieder an. Wenn er ein „Raus-damit“ gemacht hat, ruft er mich zum Abwischen. Alles ist schon seit einiger Zeit sehr entspannt geworden.
Ich kann mir nicht mehr vorstellen, dass ich es jemals normal fand, Babys in Windeln zu verpacken.
Und ich liebe, liebe, liebe es einfach, diesen kleinen nackten Hintern abzuküssen!
Der oben stehende Text wurde dem Buch „Geborgene Babys“ von Julia Dibbern entnommen und für diese Webseite angepasst. Er unterliegt den Bestimmungen des Copyrights und darf ohne schriftliche Genehmigung der Autorin in keiner Weise vervielfältigt werden.
Auszug aus: „Geborgene Babys“ von Julia Dibbern mit freundlicher Genehmigung der Autorin für Rabeneltern.org