Ein Baby stirbt unerwartet kurz vor der Geburt im Bauch der Mutter. Oder ist nicht lebensfähig und stirbt kurz nach der Geburt. Es gibt kaum ein schlimmeres Trauma und doch haben wir keine gesellschaftlichen Traditionen, um den „Sterneneltern“ in dieser Situation beizustehen. Dabei könnte es eine schöne Geburt sein und ein heilsamer Umgang mit Erinnerung.

Die Bettwäsche im Gitterbett ist überzogen, die Kuschelhasen auf dem Wickeltisch drapiert. Sie kann es kaum erwarten, ihr Baby endlich im Arm zu halten. Sie zieht an der Schnur des Mobiles über dem Bettchen, hört die Einschlafmelodie so gerne. Und der Zwerg im Bauch kann ja schon mithören. Es gefällt ihm, er tanzt mit. Morgens rollt sie sich früher als gewohnt aus dem Bett, der letzte Ultraschall vor dem Geburtstermin steht an. Sie sitzt im Wartezimmer, streichelt über ihren Bauch und lächelt. Zwerglein schläft heute länger, denkt sie. Gut so, er soll Kräfte sammeln für den großen Tag. Die Frauenärztin verteilt das kalte Gel über ihrem dicken Bauch, Dehnungsstreifen überall. Aber das ist es wert, denkt sie. Die Ärztin fixiert den Monitor, sie sagt nichts. Sie legt den Ultraschallkopf zur Seite. „Es tut mir so leid, aber ich kann keinen Herzschlag mehr erkennen.“ Zellensterben. Alles verschwimmt, sie kann nicht atmen, sich nicht bewegen. Schauen Sie nochmal nach. Nichts. „Ihr Baby ist gestorben. Das kommt manchmal vor, selbst so spät noch.“ Die Ärztin erzählt von Wahrscheinlichkeiten, von „Laune der Natur“, Geburt einleiten, Krankenhaus, Vergiftung. Sie kann sich nicht auf ihre Worte konzentrieren. Mein Baby ist tot.

517

Totgeburten und noch als Säuglinge verstorbene Babys sind eines der letzten großen Tabus in unserer Gesellschaft. Eine Umfrage im Freundes- und Bekanntenkreis würde ergeben, dass jede von uns betroffene Familien kennt. Es wird aber nicht darüber gesprochen. Hunderte Fotos von lebenden Kindern machen die Runde, stolze Eltern posten Familienfotos auf Facebook, Familie und FreundInnen gratulieren, bringen kleine Geschenke. Tot geborene oder sehr früh verstorbene Babys hingegen werden meist nicht als Teil einer Familie wahrgenommen. Doch auch die Mutter eines tot geborenen Babys ist Mama, körperlich, psychisch und ganz tief im Herzen. Auch sie sucht die Nähe ihres Kindes. Auch sie macht ihrem Kind Geschenke – Blumen und Windräder fürs Grab. Wenn über sie gesprochen wird, heißt es trotzdem: „Nein, sie hat noch keine Kinder.“
Im Vorjahr kamen in Österreich 79.330 Kinder lebend zur Welt. Statistisch kommen 3,4 tot geborene Kinder auf tausend lebend geborene. Das waren 2012 genau 272 Babys, die tot zur Welt kamen, weitere 245 starben noch im ersten Jahr, davon 111 am ersten Tag. Das sind 517 tote Babys insgesamt.(1)

Eine schöne Geburt

Es gibt wohlüberlegte und gut erprobte Rahmenbedingungen, wie diese Geburten und die Zeit danach gestaltet werden sollten, um den Müttern und Vätern die oft schwerste Zeit ihres Lebens zu erleichtern. Praktische Anwendung finden sie jedoch nur teilweise in manchen Geburtskrankenhäusern. Viele Mütter sind nach ihrem Geburtserlebnis stattdessen tief unglücklich und erfahren erst im Nachhinein von anderen Betroffenen, wie es hätte sein können. Es bräuchte unbedingt mehr ausgebildete Hebammen und ÄrztInnen, die genau wissen, was sie tun müssen. Die Eltern stehen unter Schock, können ihre Gedanken und Bedürfnisse selbst kaum artikulieren. Das professionelle Team muss hier aktiv werden und Anleitung geben.

Im ersten Schock ist es undenkbar: Mein Kind „normal“ zur Welt bringen, stundenlange Wehen, Blut und Tränen und schließlich ein totes Kind im Arm halten, oder eines, das in meinen Armen stirbt. Nicht auszuhalten. Manche Frauen entscheiden sich deshalb für einen Kaiserschnitt und gegen Kontakt. PsychologInnen aber empfehlen die „natürliche“ Geburt: Der Geburtsvorgang sei sehr wichtig fürs Abschiednehmen. Diese wenigen Stunden mit dem toten Kind sind die einzigen, die Eltern haben. Es ist alles, was bleibt. Dieses Bild vom Kind ist das einzige, das es jemals geben wird. Diese Berührungen, diese Küsse bleiben die einzigen und letzten. Deshalb schildern Eltern diese Stunden der Geburt bzw. mit ihrem Kind oft als wunderschön – auch wenn das zuvor nicht vorstellbar war.

Wenige Stunden

Das professionelle Team kann sehr viel tun, um den Eltern diese schöne Geburt zu ermöglichen. Die Geburt findet intim statt. Es braucht keine CTG-Überwachung, keine regelmäßige ärztliche Kontrolle. Sofern es der Mutter körperlich gut geht, sind Eltern und Hebamme unter sich. Schon im Vorfeld müssen die Eltern erinnert werden, woran sie denken müssen: Fotoapparat mitnehmen, Geschenke für das Kind, Babykleidung. Es ist auch vorweg zu überlegen, ob Geschwister, Großeltern etc. das Baby auch sehen sollen, ob es Familienfotos auch mit ihnen geben soll. Sobald das Baby da ist, haben die Eltern nur wenige Stunden, um so viele Erinnerungen zu sammeln, wie es geht. Allem voran: Fotos machen. Wenn überhaupt, dann machen Kliniken oft nur relativ lieblose Fotos vom toten, nackten Kind. Aber es braucht schöne Familienfotos. Und zwar so viele wie möglich, denn es sind die letzten. Die Eltern sollen ihr Baby – sofern möglich – anziehen können, vielleicht auch baden, in ihre eigene Decke einwickeln. Sie brauchen Zeit und Ruhe, um Zärtlichkeiten auszutauschen, ihrem Baby Lieder vorzusingen. Manchmal ist es sogar möglich bzw. wird ermöglicht, dass Eltern ihr Kind auch am nächsten Tag noch einmal sehen, um es dann auch anderen Familienmitgliedern zu zeigen. In Spitälern, in denen aufgrund mangelnder Erfahrung große Unsicherheit herrscht, tendiert das Geburtsteam dazu, die toten Kinder schnell wegzubringen. Sie agieren unsicher und wirken mitunter selbst überfordert.
Es gibt natürlich auch Mütter, die es anders beenden. Sie wollen die Geburt hinter sich bringen, ihr Kind nicht sehen, nicht beerdigen. Einfach weitermachen. Auch dieser Wunsch ist zu respektieren. Das Geburtsteam sollte hier trotzdem über alle Möglichkeiten informieren und auch bis zum Schluss parat haben. Denn manche entscheiden sich erst nach den Presswehen, dass sie ihr Kind doch sehen und halten wollen. Und wenn die Eltern dann keinen Fotoapparat da haben, muss das Team einen anbieten können.

Gegen das leere Fotoalbum

Das Leben von Kindern wird meist in hunderten Fotos in unzähligen Fotoalben und Speichermedien festgehalten. Totgeborene oder kurz nach der Geburt gestorbene Babys füllen keine Fotoalben. Oft gibt es selbst von den wenigen Stunden, in denen sie bei den Eltern waren, keine oder nur schlechte Fotos. Erst Wochen oder Monate später macht den Eltern diese Lücke schwer zu schaffen, die wichtigste Erinnerung im Kopf – das Gesicht meines Kindes – verblasst.
Ende 2013 hat ein Sternenpapa in Deutschland mit dein-sternenkind.eu eine Plattform gegründet, über die professionelle FotografInnen sich in eine Datenbank eintragen lassen können. Kommen Eltern in die Situation, nur kurze Zeit mit ihrem (toten) Kind zu haben, können sie FotografInnen anfordern, die kostenlos Fotos machen. „Die Bilder müsst ihr euch nicht sofort ansehen, aber sie werden da sein, wenn ihr bereit seid, sie anzuschauen. Sie werden euch in eurem Trauerprozess eine wertvolle Stütze sein“, heißt es auf der Website. „Für diese Art von Bildern gibt es leider keine zweite Chance.“
Das einzigartige Angebot hat in kürzester Zeit hohe mediale Aufmerksamkeit in Deutschland erreicht. In der Datenbank sind derzeit über 300 FotografInnen gelistet, vor allem in Deutschland, aber auch in Österreich und in anderen Ländern Europas. Derzeit wird an einer österreichischen Variante der Online-Plattform gearbeitet.

500 Gramm

Wann hat ein Kind gelebt? Aus rechtlicher Sicht wurde diese Frage beantwortet. Kommt ein Baby auf die Welt und es sind unmittelbar nach der Geburt Lebenszeichen nachweisbar, so gilt es als Lebendgeburt. Das Kind braucht einen Namen, es bekommt eine Geburtsurkunde und nach dem Tod eine Sterbeurkunde. Es besteht Bestattungspflicht. Die Mutter hat Anspruch auf Mutterschutz: 8 Wochen bzw. bei Mehrlingsgeburten oder einer Frühgeburt bis zu 16 Wochen.
Kommt ein Kind tot zur Welt und hat über 500g Körpergewicht, gilt es als Totgeburt. Es wird im Sterbebuch beurkundet und kann einen Vornamen bekommen. Sonst gibt es keine Dokumente. Auch dieses Kind muss bestattet werden. Die Mutter hat acht Wochen Mutterschutz.
Kommt das Kind tot zur Welt und wiegt weniger als 500g, gilt es als Fehlgeburt. Es gibt keinerlei Dokumente und das Kind kann offiziell auch keinen Namen bekommen. Die Mutter hat keinen Anspruch auf Mutterschutz, sie muss sich krankschreiben lassen, um nicht sofort wieder zur Arbeit gehen zu müssen.
Für den Betroffenen-Verein Pusteblume ist diese 500g-Grenze willkürlich. Fehlgeborene Kinder werden nicht ins Personenstandregister eingetragen, was bedeute, „dass diese Kinder nicht als Menschen anerkannt werden“. Im Mai 2014 hat der Verein Nationalratspräsidentin Barbara Prammer eine Petition zur „Abschaffung der 500-Gramm-Grenze bei Fehlgeburten und freiwillige Eintragung aller Kinder ins Personenstandsregister“ überreicht. In Deutschland wurde das Personenstandsgesetz im Mai 2013 diesbezüglich geändert. Dort können Eltern ihre fehlgeborenen Kinder auf Wunsch beurkunden lassen.
In vielen Städten Europas gibt es Angebote für Eltern, die sich nicht in der Lage sehen, ein Begräbnis für ihr totes Baby zu organisieren. Seit 2000 bietet die Stadt Wien an, für totgeborene oder unmittelbar nach der Geburt verstorbene Kinder die Bestattung zu veranlassen. Dafür wurde am Wiener Zentralfriedhof ein eigener Babyfriedhof in der Gruppe 35B eingerichtet. Die Stadt kümmert sich um das Begräbnis, legt einen Termin fest und übernimmt alle Kosten. Die Eltern werden über den Termin informiert, können dabei sein – müssen aber nicht. Die Grabstätte ist für zehn Jahre bezahlt, danach wird sie aufgelassen, eine Verlängerung ist nicht möglich. Fehlgeborene Kinder können vier Mal im Jahr feuerbestattet werden und werden in einer Sammelgrabstätte beigesetzt. Die Angebote in den Ländern sind hier recht unterschiedlich. Auch an diesem Punkt ist professionelle Unterstützung notwendig, damit Eltern eine gute Entscheidung treffen können.

Rede über dein Kind

Mit dem Schock der Diagnose und der Geburt hat der Trauerprozess gerade erst begonnen. Die Eltern kommen nachhause, allein. Sie begegnen der Nachbarin, die sich nach dem „Butzi“ erkundigt. Mein Kind ist tot. Entsetzen. Sprachlosigkeit. Zuhause wartet das fertige Kinderzimmer. Wird es ein Ort der Erinnerung sein oder kann ich es nie mehr betreten? Der Körper der Frau, die gerade ein Kind zur Welt gebracht hat, ist darauf eingestellt, das Baby zu versorgen. Die Medikamente zum Abstillen wirken nur bedingt, die Milch tropft. „Ihr Körper ist mit Hormonen überschwemmt, mit Muttergefühlen, die nirgends hinkönnen“, drückt es eine Psychologin aus. Doch das sei auch gut so, denn dieses Chaos ermöglicht das ungehemmte Weinen, immer wieder. „Tränen heilen das Loch im Herzen.“
Es gibt noch einiges zu regeln: Ich muss mein Kind beerdigen. Der Gedanke an den kleinen Sarg nimmt mir die Luft zum Atmen. Ich muss alle FreundInnen informieren, die sich mit mir aufs Baby gefreut haben. Was hab ich alles auf Facebook geteilt?
Es gibt Hilfestellungen, die das Trauern und den Umgang mit der Katastrophe erleichtern: von Mitteln zur Traumabewältigung aus der Homöopathie und Aromatherapie bis hin zu Büchern und psychologischer Hilfe. Die Selbsthilfegruppe Regenbogen bietet Gruppentreffen in fast allen Bundesländern in Österreich an, vergleichbare Angebote gibt es auch in Deutschland. Die Website bietet Erstinformation für Betroffene, für Angehörige und auch eine Liste an TherapeutInnen mit unterschiedlichen Angeboten: von der Trauerbegleiterin, die auch Hausbesuche macht, bis zur Praxis der Lebensberaterin.
Nach dem Weinen kommt das Reden. Traumatherapie bedeutet immer auch: Worte für das Unfassbare finden. Rede über dein Kind. Psychologinnen erzählen von Sternenmüttern, die dreißig Jahre nach ihrer Totgeburt noch immer kein Wort über ihr Kind über die Lippen bekommen, ohne ein ersticktes Schluchzen. Sie haben es nie getan, der „Vorfall“ wurde verdrängt. Das tote Kind auch noch totgeschwiegen.
Nanaya, das Zentrum für Schwangerschaft und Geburt in Wien, hat sich auch der Zielgruppe Sternenmamas angenommen und bietet u.a. einen Kurs zur Rückbildungsgymnastik „für Frauen, deren Baby gestorben ist“ an. Ein unglaublich wichtiges Angebot, denn keine dieser Mütter würde es aushalten, mit anderen Müttern und ihren Babys im Kurs zu sein. Und doch haben auch ihre Körper eine anstrengende Schwangerschaft hinter sich. Dieser Rückbildungskurs ist anders. Die Frauen weinen miteinander, bevor sie miteinander turnen. So entsteht ganz schnell eine Verbundenheit, ein Verständnis, das anderen in dieser Situation fehlt. Diese Sternenmamas können sich treffen, um über ihre Trauer zu reden, sie lachen miteinander, sie weinen miteinander, die Fotos der toten Kinder machen die Runde. Wie soll euer Grabstein aussehen? Was soll ich der Kollegin erwidern, die mir ein „komm endlich drüber hinweg“ entgegenschleudert?

Trauer dauert

Ein Trauerjahr. Ein Leben lang. Sterneneltern haben viel zu kämpfen mit der Art und Weise, wie ihr Umfeld auf die Trauer reagiert. „Das ist vorbei, du musst das abhaken. Wer weiß, wofür es gut war. Du kannst ja noch viele Kinder bekommen.“ Tröstlich gemeinte Sätze wie diese treffen trauernde Eltern in tiefster Seele. Wofür soll es gut sein, dass mein Kind gestorben ist? Auch wenn ich noch fünf Kinder bekomme, das ändert nichts daran, dass dieses Kind tot in meinen Armen lag! Eltern, die ihr Baby sterben sahen, wollen laut schreien, sich auf den Boden werfen, die Welt verfluchen, immer wieder in Schluchzen ausbrechen. Nichts davon ist vorgesehen. Sie trauern still und heimlich in ihren eigenen vier Wänden. Die Trauer muss genauso unsichtbar sein, wie es das Baby war. Und wenn sie das nächste Mal in geselliger Runde mit FreundInnen oder Verwandten sitzen, werden sie traurig. MEIN KIND IST TOT, wollen sie rausschreien, damit der Schmerz hörbar wird. Totschweigen ist wie noch mal sterben.

Gabi Horak-Böck ist Sternenmama und hat in ihrer Trauer viel Unterstützung gesucht und gefunden, vor allem bei zahlreichen anderen Sternenmamas.

Der Artikel wurde ursprünglich bei http://anschlaege.at/ veröffentlicht, wir danken den Betreiberinnen herzlich für die Erlaubnis zur Übernahme.Fußnote:
(1) Für Deutschland sind Statistiken aus 2012 verfügbar: Insgesamt gab es 2.791 tote Babys, davon kamen 2.400 tot zur Welt, weitere 391 starben im Säuglingsalter. Lebendgeburten: 673.000

Buchtipp:
Hanna Lothrop: Gute Hoffnung – jähes Ende. Begleitung und neue Hoffnung für Eltern, Kösel 2005

Häufig verordnen Frauenärztinnen und -ärzte bei einer mit Blutungen beginnenden Fehlgeburt, vor allem aber nach der Diagnose einer „missed abortion“, also wenn der Embryo unbemerkt abgestorben ist, eine Ausschabung. Zumeist wird dabei in einer ambulanten Operation unter Narkose das Gewebe abgesaugt und danach noch eventuelle Reste kürettiert – oder umgekehrt, zuerst kürettiert und der Rest dann noch abgesaugt.
Damit ist die Schwangerschaft dann sofort beendet, ohne dass die Betroffene noch länger einen leblosen Embryo in sich trägt. Wenn die Operation gut gemacht ist, ist damit auch die Gefahr von eventuell in der Gebärmutter verbleibenden Geweberesten ausgeschlossen, auch ein großer Blutverlust kann zumeist vermieden werden.

Dennoch hat diese Praxis der schnellen Ausschabung nach der Diagnose auch gravierende Nachteile: Häufig geschieht sie zu schnell, so dass kein richtiger Abschied vom Kind und allen mit der Schwangerschaft verbundenen Plänen und Erwartungen möglich ist. Wenn die Schwangerschaft so abrupt beendet wird, sind Körper und Seele noch darauf eingestellt, schwanger zu sein – damit wird die psychische Verarbeitung der Fehlgeburt häufig erschwert. Wenn die Operation nicht sehr sorgfältig durchgeführt wurde, ist möglicherweise auch eine zweite Ausschabung nötig, zudem ist die Gefahr einer Entzündung nach einer Ausschabung erhöht und können Vernarbungen an der Gebärmutterwand eine nächste Geburt beeinträchtigen, denn sie können zu Verwachsungen der Plazenta mit der Gebärmutterwand führen. Wenn dieser Fall eintritt, ist das Risiko deutlich erhöht, dass die Plazenta sich nur unvollständig löst, was starke Blutungen nach sich ziehen kann. Je nach Befund kann dieses Risiko ein Ausschlussgrund für eine Hausgeburt sein.

Seltener weisen Frauenärztinnen und -ärzte ihre Patientinnen darauf hin, dass sie die Geburt ihres Embryos auch abwarten können. Eine sogenannte „kleine Geburt“ kommt meist erst 2-6 Wochen später in Gang. Sie geht zumeist mit Wehenschmerzen einher, wobei das Abstoßen der Schleimhaut und der Schwangerschaftsanlage mit einer relativ starke Blutung verbunden ist.Durch die Wartezeit und die Geburtsschmerzen ist die kleine Geburt vermeintlich psychisch anstrengender, sorgt jedoch vielfach auch für eine bessere Verarbeitung des Geschehens und eine schnellere Heilung, auch ein Abschied vom Embryo ist eher möglich.

Es kann auch bei einer kleinen Geburt zu Komplikationen kommen, etwa in Form einer sehr starken Blutung oder sehr starken Schmerzen, die in circa 6% der Fälle eine Notkürretage notwendig macht. Wichtig ist, dass Du bei sehr starken Blutungen sofort ins KH fährt, ebenso wenn du Fieber bekommst oder ein schlechtes Gefühl hast. In der Zeit der kleinen Geburt solltest Du auch nicht unbedingt lange alleine bleiben, denn Blutungen können auch sehr plötzlich und sehr stark auftreten. Das Risiko solcher Komplikationen steigt, soweit bekannt ist, mit dem Alter der Schwangerschaft.
Nach einer kleinen Geburt sollte über Ultraschall oder über mehrere Untersuchungen des HcG-Gehalts im Blut sichergestellt werden, dass keine Gewebereste in der Gebärmutter verblieben sind und der Zyklus sich wieder normalisiert, denn verbliebene Schwangerschaftsreste in der Gebärmutter können zu Infektionen und starken Blutungen führen.

Auf jeden Fall ist empfehlenswert, nach der Diagnose einer verhaltenen Fehlgeburt erst abzuwarten, die Diagnose, falls Du nur den geringsten Zweifel daran hast, nochmals bestätigen zu lassen, und Abschied zu nehmen. Vielleicht gestaltest du ein kleines Abschieds-Ritual: du kannst einen Brief an das Sternchen schreiben oder ein Bild malen. Du kannst Blüten und eine Kerze in einem geeigneten „Boot“ auf ein Gewässer in der Nähe setzen und fortschwimmen lassen. Du kannst dir ein ganz anderes Ritual ausdenken… Es eilt nicht, ein abgestorbener Embryo vergiftet die Mutter nicht.

Wenn Du bereit bist, Dein Baby gehen zu lassen, kannst Du versuchen, mit Mitteln wie Hirtentäscheltee die Geburt sanft anzustupsen, oder in einer Klinik die Geburt medikamentös einleiten zu lassen, oder auch eine Ausschabung vornehmen lassen, je nachdem, was für Dich das beste ist. In jedem Fall kannst Du auch für ein frühes Ende der Schwangerschaft Hebammenhilfe in Anspruch nehmen!

Wenn es die erste Schwangerschaft war, sollten Frauen mit Rhesusfaktor negativ und einem Partner mit Rhesusfaktor positiv unmittelbar nach dem Abgang eine Prophylaxe bekommen, um Komplikationen bei späteren Schwangerschaften zu vermeiden.

Von einer Fehlgeburt spricht man, wenn ein Embryo in einem frühen Stadium der Schwangerschaft oder ein Fötus von weniger als 500 g abstirbt. Im Mutterleib gestorbene Feten über 500 g gelten als Totgeburt. Kinder, bei denen nach der Geburt Lebenszeichen erkennbar waren, gelten als Lebendgeburt, auch wenn sie nicht lebensfähig waren und nach der Geburt verstarben.

Rechtlich maßgeblich hierfür ist das Personenstandsgesetz (PStG 2013). Im Januar 2013 wurde dieses Gesetz geändert, die Gesetzesänderung trat am 15.5.2013 in Kraft. Nun können auch totgeborene Kinder, die als Fehlgeburten gelten, beim Standesamt eingetragen werden. Die Eintragung ist auch noch möglich, wenn die Geburt des toten Kindes bereits stattfand, bevor dieses Gesetz galt. Der entsprechende Paragraph lautet nun vollständig:

§ 31 Lebendgeburt, Totgeburt, Fehlgeburt

(1) Eine Lebendgeburt liegt vor, wenn bei einem Kind nach der Scheidung vom Mutterleib entweder das Herz geschlagen oder die Nabelschnur pulsiert oder die natürliche Lungenatmung eingesetzt hat.
(2) Hat sich keines der in Absatz 1 genannten Merkmale des Lebens gezeigt, beträgt das Gewicht der Leibesfrucht jedoch mindestens 500 Gramm, gilt sie im Sinne des § 21 Abs. 2 des Gesetzes als ein tot geborenes Kind.
(3) Hat sich keines der in Absatz 1 genannten Merkmale des Lebens gezeigt und beträgt das Gewicht der Leibesfrucht weniger als 500 Gramm, handelt es sich um eine Fehlgeburt. Sie wird in den Personenstandsregistern nicht beurkundet. Eine Fehlgeburt kann von einer Person, der bei Lebendgeburt die Personensorge zugestanden hätte, dem Standesamt, in dessen Zuständigkeitsbereich die Fehlgeburt erfolgte, angezeigt werden; § 33 gilt entsprechend. In diesem Fall erteilt das Standesamt dem Anzeigenden auf Wunsch eine Bescheinigung mit einem Formular nach dem Muster der Anlage 13.“
(4) Eine Fehlgeburt ist abweichend von Absatz 3 als ein tot geborenes Kind zu beurkunden, wenn sie Teil einer Mehrlingsgeburt ist, bei der mindestens ein Kind nach Absatz 1 oder 2 zu beurkunden ist; § 21 Abs. 2 des Gesetzes gilt entsprechend.

Bei der Anwendung des Mutterschutzgesetzes werden diese Definitionen zugrundegelegt:

Ist ein totgeborenes Kind leichter als 500 g, gilt das Ende der Schwangerschaft rechtlich als Fehlgeburt, damit steht der Frau keine Schutzfrist zu, auch die anderen Ansprüche aus dem Mutterschutzgesetz erlöschen. Wenn Du nach einer Fehlgeburt nicht arbeitsfähig bist, benötigst Du also eine Krankschreibung.

Wird ein Kind zu früh geboren, greift mit §6 des Mutterschutzgesetzes die Schutzfrist von 12 Wochen nach einer Entbindung vor der 37. Schwangerschaftswoche, sie verlängert sich um die Zeit des Mutterschutzes vor der Geburt, die nicht in Anspruch genommen werden konnte, und kann also bis zu 18 Wochen betragen.

Die Schutzfristen kommen auch zur Anwendung, wenn das Kind vor oder nach der Geburt verstirbt, im Falle eines tot geborenen Kindes aber nur dann, wenn es mehr als 500 g gewogen hat. Sie gelten dann aber nicht absolut, sondern auf Wunsch der Mutter darf sie zwei Wochen nach der Entbindung wieder beschäftigt werden, wenn sie nach ärztlichem Attest dazu in der Lage ist.

In der Schweiz gilt ein intrauterin verstorbenes Kind nicht mehr als Fehlgeburt, wenn es mindestens 500 g wog oder wenn die 22. Schwangerschaftswoche vollendet wurde. Für Fehlgeburten müssen Frauen die Behandlungskosten anteilig mittragen, da diese als „Krankheitskosten“ und nicht als „Entbindungskosten“ eingestuft werden.

Die Wahrscheinlichkeit für eine Fehlgeburt wird sehr unterschiedlich angegeben, teilweise bis zu 70% – das liegt daran, dass darin Abgänge von kurzzeitigen Schwangerschaften eingerechnet werden, die so früh eintreten, dass sie ohne Schwangerschafts-Frühtest oder eine hohe Empfindlichkeit für hormonelle Umstellungen unbemerkt geblieben wären.
Bei den Schwangerschaften, die es weiter über die Einnistung hinaus schaffen, korreliert die Wahrscheinlichkeit für eine Fehlgeburt mit der Schwangerschaftsdauer, mit dem Alter der Mutter, mit der Häufigkeit vorangegangener Fehlgeburten und mit äußeren bzw. Krankheitseinflüssen.

Zunächst zu letzteren: Der Konsum von Alkohohl, Zigaretten und anderen Drogen erhöht das Risiko für eine Fehlgeburt ebenso wie ein Progesteronmangel, eine Schilddrüsen-Fehlfunktion oder ein unerkannter Diabetes der Mutter.

Einem dieser oder einem anderen Krankheitsbild kann es also geschuldet sein, wenn eine Frau mehrere Fehlgeburten in Folge erleidet.

In den ersten zwei Wochen der Schwangerschaft, also von der Befruchtung bis zum Zeitpunkt, an dem die Menstruation eingesetzt hätte, gilt sogenannte „Alles-oder-Nichts“-Prinzip: Wenn die Blastozyte oder der Embryo Schaden nimmt, endet die Schwangerschaft direkt. Wenn er sich weiterentwickelt, heißt das, dass er in diesen ersten Wochen keinen Schaden erlitten hat, auch nicht durch den Konsum schädlicher Substanzen, bevor die Frau von der Schwangerschaft wissen konnte und die Verknüpfung von mütterlichem Blutkreislauf und Embryo erst allmählich gebildet wird. Denn einerseits sind die Zellen zu Beginn noch pluripotent und können Schäden daher ausgleichen, andererseits ist ein nicht ausgleichbarer Fehler so gravierend für den gesamten neu gebildeten Organismus, dass die Entwicklung endet.

Das Risiko für eine Fehlgeburt sinkt, je länger die Schwangerschaft besteht, von rund 20% in den ersten Wochen auf etwa 1% nach der 18. Schwangerschaftswoche. Zunächst entscheidet sich, ob sich überhaupt ein Embryo entwickelt, oder ob es sich um eine Blasenmole handelt. Wenn sich ein Embryo entwickelt, aber bei der Zellteilung gravierende Fehler passieren, wird die Schwangerschaft von selbst beendet. Wenn die Zellteilung weitgehend fehlerlos geklappt hat, hat der Embryo noch zwei Hürden zu nehmen: Das Herz muss zu schlagen beginnen, und die Plazenta muss ihre Arbeit aufnehmen, denn der Gelbkörper bildet sich wieder zurück.

Insgesamt, über die gesamte Dauer der Schwangerschaft gerechnet, liegt das Risiko für eine Fehlgeburt, extrauterine Schwangerschaft oder Totgeburt bei rund 13%. Dieses Risiko verteilet sich aber nicht gleichmäßig auf alle Altersgruppen. Vielmehr ist liegt das Risiko für 20-24jährige Frauen bei knapp 9%. Es steigt ab 35 Jahren deutlich an und liegt für 42jährige Frauen bei 54% und für 48jährige oder ältere Frauen bei 84%. Das heißt auch: Nicht jede Frau hat zu Beginn der Schwangerschaft ein 20%iges Fehlgeburtsrisiko, sondern wenn 20% aller Schwangerschaften in den ersten 3 Wochen enden, dann entfallen davon mehr auf Frauen über 35 Jahren und deutlich weniger auf Frauen zwischen 20 und 24 Jahren. Auch wichtig zu wissen: die Prävalenz von Fehlgeburten steigt mit dem Alter beider Elternteile.

Diese Grafik zeigt den Anstieg des Risikos mit dem Lebensalter, wobei die gestrichelte schwarze Linie Schwangerschaftsabbrüche mit einbezieht, die bei der grünen durchgezogenen Linie herausgerechnet wurden:

Auch ob die Schwangere schon ein lebendes Kind geboren hat und wieviele Fehlgeburten sie bereits erlitten hat, beeinflusst die statistische Wahrscheinlichkeit für eine Fehlgeburt, wobei zu beachten ist, dass nicht die vorangegangenen Fehlgeburten die nächste Schwangerschaft zu einem größeren Risiko machen, sondern die höhere Wahrscheinlichkeit dafür, dass diese vorangegangen Fehlgeburten eine körperliche Ursache bei der Mutter oder den Eltern hatten.

Die obere Grafik zeigt die Risikoverteilung nach Alter bei Frauen, die noch kein lebendes Kind geboren haben, aufgeschlüsselt nach der Anzahl vorangegangener Fehlgeburten, die untere Grafik die Verteilung bei Frauen, die mindestens ein lebendes Kind geboren haben:

Diese Zahlen und Grafiken wurden der Studie „Maternal age and fetal loss“ von Anderson et al. entnommen, die 2000 im British Medical Journal veröffentlicht wurde (http://www.bmj.com/content/320/7251/1708…l&pmid=10864550). Bei dieser Studie, die auf der Grundlage von dänischen Medizinstatistiken aus den Jahren 1978-1992 durchgeführt wurde, wurde nicht untersucht, ob vorangegangene Schwangerschaftsabbrüche ebenfalls das Fehlgeburtsrisiko steigern. Diese These ist noch umstritten, wird aber von der Mehrzahl der Forscher unterstützt.

*
„Bevor/After adjustement for induced abortions“ – „Vor/Nach Abzug der Schwangerschaftsabbrüche“
„Risk of fetal loss (%)“ – „Risiko einer Fehlgeburt in Prozent“
„Maternal age at conception“ – „Alter der Mutter bei Empfängnis“
„Nulliparous women“ – „Frauen, die noch kein lebendes Kind geboren haben“
„Parous women“ – „Frauen, die mindestens ein lebendes Kind geboren haben“
„No of spontaneous Abortions“ – „Anzahl der Fehlgeburten“