Viele Mütter und immer mehr Väter steigen ganz oder teilweise aus dem Beruf aus, um Elternzeit zu nehmen. Häufig gehen sie mit gemischten Gefühlen: Werde ich fachlich den Anschluss halten können? Habe ich meine Chancen, die nächst höhere Sprosse der Karriereleiter zu erklimmen, fahrlässig vertan? Wie sicher ist mein Arbeitsplatz nach Rückkehr überhaupt noch? Diese Sorgen sind nicht unbegründet, denn den meisten Arbeitgebern ist Elternzeit immer noch ein Dorn im Auge. Dabei brauchen Unternehmen Mitarbeiter, die in der Lage sind, immer wieder Neues zu lernen, Veränderungen zu meistern, Konflikte zu lösen und mit anderen erfolgreich zusammen zu arbeiten. Sozialkompetenz wird nicht erlernt wie das Einmaleins, sondern durch Erfahrungen erworben, vor allem in der Familie. Das scheint sich noch nicht herum gesprochen zu haben in Deutschlands Chefetagen und Personalabteilungen.

Im Rahmen eines europäischen Kooperationsprojektes haben die Katholische Arbeitnehmerbewegung und das Deutsche Jugendinstitut München die Kompetenzbilanz erarbeitet. Sie ist ein Instrument zur Selbsteinschätzung und beruflichen Entwicklung für Mütter und Väter und alle an Weiterbildung interessierten.

Wer nach der Elternzeit in den Beruf zurückkehrt, ist nicht selten verunsichert wie ein Berufsanfänger. Vorgesetzte trauen den einst geschätzten Mitarbeitern nicht mehr viel zu, Kollegen haben wenig Verständnis dafür, dass Mütter oder Väter Extrawürste gebraten kriegen, beispielweise wegen Teilzeitbeschäftigung die wöchentliche Besprechung plötzlich auf den späten Vormittag verlegt werden muss. Deswegen ist es wichtig für das Selbstbewusstsein, sich der während der Elternzeit neu erworbenen und verbesserten sozialen Fähigkeiten und Fertigkeiten bewusst zu werden. In Mitarbeiter- und Vorgesetzten-Gesprächen oder im Rahmen von Stellenausschreibungen können sie dann gezielt für die Präsentation des eigenen Profils genutzt werden.

Die Kompetenzbilanz arbeitet mit Mind Maps = Erinnerungs- oder Gedankenkarten. Der eigene Lebenslauf wird systematisch analysiert, Gedanken geordnet und die Kreativität angeregt. Bereits in Vergessenheit geratene persönliche Ereignisse, deren Erfahrungen zum Erwerb einer sozialen Kompetenz geführt haben, werden auf diese Weise wieder ins Bewusstsein gerufen. Die aufgeführten Beispiele helfen zu dem „auf die Sprünge“. Wie sieht ein familiärer Tagesablauf aus? oder ein Kind wird plötzlich krank – welche Fähigkeiten und Fertigkeiten sind erforderlich, um die Situationen zu meistern? Im nächsten Schritt wird die Parallele zum Berufsalltag gezogen. Spätestens jetzt ist es jedem klar, Sozialkompetenz ist die Wiege unternehmerischen Erfolgs.

Ziel dieser Methodik ist die Erstellung der persönlichen Kompetenzbilanz. Selbsteinschätzung und Fremdeinschätzung durch eine Vertrauensperson gewährleisten, dass die Bilanz ein möglichst realistisches Bild des eigenen Profils widerspiegelt.

Wer keine Lust verspürt, sich mit dem Instrument Kompetenzbilanz auseinander zu setzen, der kann sich aus den aufgelisteten Kompetenzfeldern (Seiten 25 – 27) die relevanten Argumentationshilfen heraussuchen und ein für alle Male klar stellen: mit mir müsst ihr wieder rechnen!

Fazit
Es gibt keinen vernünftigen Grund zu glauben, dass Elternzeit nur dem persönlichen Vergnügen gilt und Unternehmer sich mit diesem Übel irgendwie arrangieren müssen. Im Gegenteil, soziale Kompetenzen, die Mütter und Väter während der Elternzeit neu erworben oder vertieft haben, sind eine Goldgrube für jedes Unternehmen, das erfolgreich und konkurrenzfähig sein und bleiben will. Die Kompetenzbilanz sollte Standardlektüre für Führungskräfte und Personalleitungen in Deutschlands Unternehmen sein!

Viel Erfolg!

eulalie für Rabeneltern.org im Juli 2004

 

 

Mutterschutz

Arbeitgeber, die Schwangere und stillende Mütter beschäftigen, müssen die Regelungen des Mutterschutzgesetzes und der Verordnung zum Mutterschutzgesetz einhalten. Das Mutterschutzgesetz dient sowohl dem gesundheitlichen Schutz von Mutter und Baby als auch dem wirtschaftlichen Schutz der Mutter. Es regelt den Arbeitseinsatz der Schwangeren, die keinen gesundheitlichen Risiken ausgesetzt werden darf, den Kündigungsschutz der Schwangeren/Mutter und die Zeiten des Beschäftigungsverbots vor und nach der Geburt sowie Arbeitspausen für stillende Mütter.

Den Leitfaden zum Mutterschutzgesetz findest Du hier: Leitfaden zum Mutterschutz

Hinweise zum Vorgehen bei Verstößen des Arbeitgebers gegen das Mutterschutzgesetz findest Du im Artikel „Einhaltung des Mutterschutzgesetzes„.

Mutterschutz und befristete Arbeitsverträge

Nicht im Mutterschaftsgesetz vorgesehen sind befristete Arbeitsverträge gesetzlich versicherter Frauen, die während der Schwangerschaft oder der Schutzfrist enden. Endet der Arbeitsvertrag vor Beginn der Schutzfrist, so muss sich die Schwangere regulär arbeitssuchend melden, erhält Arbeitslosengeld I und dann mit Beginn der Schutzfrist Mutterschaftsgeld von der Krankenkasse in Höhe dieses Arbeitslosengeldes.

Endet der Arbeitsvertrag nach Beginn der Schutzfrist, zahlen zuerst Krankenkasse und Arbeitgeber das Mutterschaftsgeld, ab Vertragsende dann nur noch die Krankenkasse den vollen Nettobetrag des letzten Gehalts.
Befristete Arbeitsverträge, die unter das Wissenschaftszeitvertragsgesetz fallen, müssen nach Ablauf des Vertrags um die Zeit der Schutzfrist verlängert werden, es sei denn, die Mutter wünscht dies nicht. Die Vertragsverlängerung kann erst nach Ablauf der Schutzfrist beginnen.

Einen Sonderfall stellt der Mutterschutz in laufender Elternzeit dar.

Voraussetzung:
1. Laufende Elternzeit für Kind 1 (mit AG)
2. Kind 2 wird innerhalb der Elternzeit für Kind 1 geboren

„Arbeitnehmerinnen haben aber auch die Möglichkeit, eine laufende Elternzeit auf Grund neu einsetzender Mutterschutzfristen vorzeitig zu beenden. Frauen, die in der Elternzeit in Teilzeit arbeiten, können dies auf Grundlage von § 16 Abs. 3 Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) tun. Frauen, die in der Elternzeit nicht in Teilzeit arbeiten, können sich auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) vom 20.09.2007 (Aktenzeichen: C-116/06) berufen (so genanntes Kiiski-Urteil). In diesem Fall steht Unionsrecht über nationalem Recht.

Sollte von dieser Möglichkeit der vorzeitigen Beendigung einer laufenden Elternzeit Gebrauch gemacht werden, so kann mit dem Ende der nachgeburtlichen Mutterschutzfrist des weiteren Kindes erneut Elternzeit angemeldet werden. Elternzeit für das weitere Kind oder Elternzeit für das ältere Kind nach dem Bindungszeitraum ohne Zustimmung des Arbeitgebers. Wenn zunächst erneut Elternzeit für das ältere Kind genommen werden soll, der Bindungszeitraum für dessen Anspruch mit dem Ende des Mutterschutzes für das weitere Kind aber noch nicht beendet ist, so stellt dies eine Verlängerung der Elternzeit im Bindungszeitraum dar und ist nur mit Zustimmung des Arbeitgebers möglich.“ (Auskunft des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend)

Das heißt: Man kann wegen einer erneuten Schwangerschaft die laufende Elternzeit vorzeitig beenden und dann direkt in die neue Mutterschutzzeit vor der nächsten Geburt gehen. Dadurch erhält man das volle Mutterschaftsgeld für das jüngere Kind. Diese Regelung schädigt den Arbeitgeber nicht, da dieser den Arbeitgeberanteil am Mutterschaftsgeld von der Krankenkasse wieder zurückbekommt.

 

Elternzeit und Elterngeld

Den Leitfaden zum Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz findest Du hier.

Nachfragen werden vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auch zügig beantwortet, hier geht es zum Servicetelefon oder Kontaktformular.

 

Die Gewerbeaufsichtsämter sind unter anderem zuständig für die Überwachung der Arbeitsbedingungen von werdenden und stillenden Müttern gemäß Mutterschutzgesetz (MuSchuG) im Betrieb. Das für dich zuständige Gewerbeaufsichtsamt ist dein Ansprechpartner, falls du z. B. mit Arbeiten beauftragt bist, die du als Schwangere oder Stillende nicht durchführen darfst (siehe Beschäftigungsverbote §§ 3 und 4 MuSchuG), du Überstunden machen musst oder nachts/an Sonn- und Feiertagen arbeiten sollst (s. § 8 MuSchuG), oder, wenn du dich psychisch unter Druck gesetzt fühlst (auch Mobbing) und weder dein/e Vorgesetzte/r, Betriebs-/Personalrat, Fachkraft für Arbeitssicherheit, Betriebsarzt-/ärztin oder andere Stellen im Betrieb dir  weiter helfen konnten oder wollten.

Dein Anruf beim zuständigen Gewerbeaufsichtsamt wird auf deinen Wunsch anonym bearbeitet. Das kann z. B. so erfolgen: Ein/e Mitarbeiter/in des Amtes besucht deinen Betrieb unter einem anderen Vorwand, z. B. Routinekontrolle oder allgemeine Überprüfung der Arbeitszeiten oder zu einem speziellen Thema, z. B. Umgang mit Gefahrstoffen. Anhand einer Reihe von Fragen, in denen auch besondere Personengruppen mit erfasst sind wie z. B. Jugendliche, werdende und stillende Müttern und Leiharbeitnehmer, wird der/die Mitarbeiter/in des Amtes vorgeben, eine Stichpunktkontrolle zum Bespiel deines Arbeitsplatzes im Labor, Büro, Produktion, Lager etc. vornehmen zu wollen oder z. b. er/sie lässt sich die Arbeitszeitnachweise aller Mitarbeiter des Betriebes/der Abteilung vorlegen. Werden bei der Kontrolle Verstöße gegen das Mutterschutzgesetz festgestellt, wird der Arbeitgeber mündlich oder schriftlich sofort oder unter Festsetzung einer Frist aufgefordert, die Arbeitsbedingen den gesetzlichen Vorschriften anzupassen. Kommt er dieser Anordnung nicht nach, wird entweder ein Zwangsgeld festgesetzt oder er muss ein Bußgeld zahlen. Im Rahmen einer solchen Überprüfung spielst du keine Rolle, so dass du nicht befürchten musst, dass dein Arbeitgeber Rückschlüsse auf deine Person ziehen kann.

Weiterhin erteilen die Gewerbeaufsichtsämter Ausnahmegenehmigungen, z. B. hinsichtlich des Kündigungsschutzes (s. § 9 MuSchG).

Jede Frau wünscht sich, ihr Leben auch mit einem oder mehreren Kindern möglichst ohne gravierende Nachteile fortsetzen zu können. Dies bedeutet für die große Mehrzahl aller Frauen weltweit die baldige Wiederaufnahme ihrer Arbeit. Sowohl angestellte wie freiberuflich tätige Frauen wollen und können Stillen und Arbeiten miteinander verbinden – oft über viele Monate hinweg.

Wenn die Mutter aus gesundheitlichen Gründen – sowohl im Interesse ihres Kindes als auch in ihrem eigenen – möglichst ausschließlich und möglichst lange stillen will, braucht sie Hinweise, wie dies in Verbindung mit einer Berufstätigkeit funktionieren kann. Stillende Mütter müssen verschiedene Hürden überwinden: Dazu zählen nicht nur die schlechten organisatorischen Voraussetzungen in den meisten Betrieben, sondern auch unbewusste und emotionale Hindernisse. Jede Mutter, vor allem, wenn sie im öffentlichen Raum stillend erscheint, muss auf Gegenreaktionen gefasst sein.

Praktische Voraussetzungen für volles Stillen bei voller Berufstätigkeit

1. Simultanpumpen

Simultanpumpen ist das gleichzeitige Auffangen oder Abpumpen von Brustmilch aus einer Brust, während das Kind an der Gegenseite trinkt. Durch den beim Stillvorgang auf der aktiven (kindlichen) Seite ausgelösten Milchspendereflex, der auf beide Brüste wirkt, fließt auch auf der passiven (Pumpen-) Seite die Milch leicht und kann mit nur geringem Unterdruck aufgefangen werden. Nach dem 2. Lebensmonat, wenn das Stillen für Mutter und Kind zur Selbstverständlichkeit geworden ist, wird jede Mutter erfreut betrachten, wie viel Milch sie auf der passiven Seite geradezu mühelos in einer geeigneten Flasche auffangen kann.

Erforderlich ist eine Handpumpe, die mit einer freistehenden Milchflasche verbunden ist und einhändiges Pumpen erlaubt. Optimal ist z.B. die AMEDA-Einhandmilchpumpe, die alle Voraussetzungen für den Einsatz beim Simultanpumpen erfüllt. Mit einer solchen Pumpe füllt die Mutter während jedes Stillvorganges mindestens eine Flasche (ca. 120 ml ab dem 3. Lebensmonat), die sie im Kühlschrank in einem nur für die Muttermilch reservierten Fach deponiert. Muttermilch enthält bakterizide Substanzen, sodass sich die Keimzahl verringert, während sie sich in der Flasche befindet. Es empfiehlt sich, die Milchflaschen immer so zu deponieren, dass jede das Kind mitbetreuende Person weiß, welches die älteste und neueste Milch im Kühlschrank ist.

Wenn die Mutter dies bei jedem Stillvorgang, auch nachts, durchführt, so hat sie am Morgen, wenn sie das Haus verlässt, mindestens zwei, meist drei bis vier Flaschen im Kühlschrank, also genug für mindestens drei Mahlzeiten oder 10 bis 12 Stunden Abwesenheit. Diese werden dem Kind bei Bedarf – und nicht nach einem festgelegten Rhythmus – von der betreuenden Person nach kurzem Erwärmen der Flasche unter dem Warmwasserstrahl auf etwa ca. 20-25 Grad gegeben.

2. Kühlmöglichkeit am Arbeitsplatz

Auch während der Trennung vom Kind, meist nach 3-4 Stunden, muss die Mutter abpumpen, um Milchstauprobleme zu vermeiden. Dies erfordert eine etwa 10-minütige Pause, meist einmal am Vormittag und eventuell noch einmal am Nachmittag, in der die Mutter die gleiche Handpumpe benutzt und anschließend die Milch gekühlt aufbewahrt. Falls kein Kühlschrank zur Verfügung steht, ist eine Camping-Kühlbox ausreichend. Auf einem Nachhauseweg von mehr als einer Stunde sowie im Sommer sollte die Milch gekühlt transportiert werden (Isolierbox oder -tasche). Nach jedem Pumpen muss das Pumpenset der Handpumpe ausgewaschen und mit kochendem Wasser überbrüht werden. Wenn diese Möglichkeit am Arbeitsplatz nicht besteht, sollten zwei oder mehr Pumpen zur Verfügung stehen, die die Mutter dann zuhause sterilisiert.

3. Sinnvolle Strukturierung von Pausen

Der stillenden Mutter steht in Deutschland die bereits 1919 vereinbarte Pausenzeit von insgesamt 60 Minuten pro Arbeitstag zu, die nach Vereinbarung mit dem Arbeitgeber getrennt (z.B. zweimal 30 Minuten) oder im Block auch mit der offiziellen Mittagspause (also insgesamt 90 Minuten) genommen werden kann. Sie muss selbst entscheiden, wie diese Extrazeit am besten genutzt werden kann. Viele Mütter können am Arbeitsplatz eine Ruhepause einhalten und sollten diese Zeit zur Erholung nutzen – also nicht etwa nach Hause oder zum Einkaufen eilen oder die Zeit in verrauchten Speisesälen verbringen. Wer eine eigene Betreuungsperson hat (Vater, Großeltern oder Kindermädchen), kann diese bitten, mit dem Säugling zur Pausenzeit an die Arbeitsstelle zu kommen, damit Mutter und Kind gemeinsam eine Stillepisode und eine Ruhepause erleben können. Die am Arbeitsplatz abgepumpte Milch kann die Betreuungsperson dann mit dem Kind wieder mitnehmen.

Die freiberuflich tätige Mutter sollte ebenfalls eine Ruhepause von mindestens 45 Minuten für sich einplanen, da sonst die Aufrechterhaltung langfristigen Stillens wegen mütterlicher Erschöpfung nicht möglich ist. Auf diese Weise ist es auch für die voll berufstätige Mutter möglich, ein Kind monatelang ausschließlich von Muttermilch zu ernähren.

4. Co-sleeping

Co-sleeping des Kindes im Bett der Mutter ist wesentlich, um das Stillen über mehr als nur wenige Wochen hinaus aufrechtzuerhalten. Vorteile des Co-Sleepings für die berufstätige stillende Mutter sind:

  • problemlose Aufrechterhaltung einer adäquaten Milchmenge über längere Zeit,
  • weniger Schlafunterbrechung für die Mutter (und den Vater), dadurch weniger Erschöpfung,
  • geringeres Risiko für Milchstau und Mastitis durch häufigeres nächtliches Stillen,
  • ruhigeres Kind durch direkten Zugang zur Brust, besseres Trinkverhalten des Kindes.

Schlussfolgerung

Stillen und Beruf sind grundsätzlich gut vereinbar. Nicht die Flasche, sondern das Stillen bringt auch der Mutter größtmögliche Vorteile, Flexibilität und Freiheit. Es gibt kaum eine berufliche Tätigkeit, die sich mit dem Stillen nicht vereinbaren lässt. Allerdings braucht die berufstätige stillende Mutter Selbstbewusstsein und Unterstützung, weil die gesellschaftliche Akzeptanz vielfach noch zu wünschen übrig lässt.

Friederike M. Perl

Kinder können an mehr als eine Person eine Bindung aufbauen, was Grundvoraussetzung für die außerfamiliäre Betreuung ist. Das erscheint nur logisch, ist doch der Mensch ein soziales Wesen, das ursprünglich in Gruppen aufwuchs, also ganz natürlich und automatisch von früh an Kontakte zu einer Vielzahl von Personen hatte. Geht man von der heutigen Situation der meisten Kleinfamilien aus, ist ein Haupthinderungsgrund für familienergänzende Betreuung das Fehlen dieser natürlichen Gebundenheit auch an andere Menschen als die Mutter. Außerfamiliäre Kontakte müssen also künstlich erschaffen werden. Optimal wäre deshalb immer eine Betreuung von anderen Bezugpersonen (z.B. Vater, Großeltern). Ist das nicht möglich und eine familienergänzende Betreuung unumgänglich, gibt es die Möglichkeit der Betreuung des Kindes von einer Tagesmutter oder in einer Kinderkrippe.  Die Trennung von der Mutter (da die Mutter in der Regel die Bezugsperson ist, verwende ich diese Formulierung der Einfachheit halber), bei der das Kind fast seine gesamte Lebenszeit verbracht hat, bedeutet IMMER Stress für eine Kind. Und nach neuesten biologischen Erkenntnissen können Babys Stress nicht allein abbauen oder sich bewusst ablenken. Deshalb ist es wichtig, diesen Stress so gering wie möglich zu halten. Vor allem folgende Kriterien sollte man darum bei einer außerfamiliären Betreuung beachten:

  • Entwicklungsphase und Temperament des Kindes
  • Qualität der Betreuung
  • Sanfte, individuelle Eingewöhnung und
  • Angemessene Betreuungszeiten.

Ungünstig ist es, ein Baby oder Kleinkind, das sich gerade in einer bedeutenden Entwicklungsphase befindet, zusätzlichem Stress durch familienergänzender Betreuung auszusetzen. Dazu zählt u. a. die Fremdelphase, die bei den meisten Kindern zwischen dem 5. und 9. Lebensmonat auftritt. Diese natürliche Angst scheint dafür zu sorgen, dass sich Kinder zuverlässig an ihre Bezugspersonen halten und binden. Ebenso die Trennungsangst, die ungefähr um das 1. Lebensjahr  beginnt  und ein Kind schon bei einer kurzen Trennung von der Mutter weinen lässt.

Eltern sollten ihr Kind beobachten. Ist es eher aufgeschlossen oder scheu und schüchtern? Wie verhält es sich in großen Gruppen? Davon sollte man abhängig machen, ob man ein Kind von einer Tagesmutter oder in einer Kinderkrippe betreuen lässt oder ob man von familienergänzender Betreuung generell noch einmal Abstand nehmen sollte. Das lässt sich nicht vom Alter des Kindes abhängig machen. Es gibt durchaus Babys, die das wunderbar verkraften und genauso knapp 2jährige, für die es einfach noch zu früh ist.

Nach einer amerikanischen Studie sollte das Betreuungsverhältnis von Kindern zu Erwachsenen 3:1 nicht überschreiten. Denn gerade Babys und Kleinkinder brauchen die uneingeschränkte Aufmerksamkeit eines Erwachsenen. Außerdem kann durch einen niedrigeren Betreuungsschlüssel das Risiko einer unsicheren Bindungsentwicklung entstehen.

Grundsätzlich halte ich es für günstiger, ein Kind unter 2 Jahren von einer Tagesmutter betreuen zu lassen. O. g. Betreuungsschlüssel ist meist gegeben, die Gruppe  ist klein und überschaulich, der Lärmpegel geringer als in einer Krippe.

Ausgesprochen wichtig ist eine individuelle Eingewöhnung.  Tageseinrichtungen oder Tagesmütter, die das ablehnen, sollte man meiden. Dahinter steht meist eine grundsätzliche Haltung, die den individuellen Bedürfnissen von Kindern keinen Raum gibt und nicht auf besondere Feinfühligkeit und psychologisches Grundwissen schließen lässt.

Auch sicher gebundene Kinder brauchen ihre Mütter, um neue Situationen bewältigen zu können. Die Schnelligkeit der Eingewöhnung sagt sehr wohl etwas über die Bindungsqualität aus, aber nicht das, was oftmals Betreuerinnen suggerieren. Ein Baby, das sich ohne Eingewöhnung und ohne sichtbaren Kummer einfach an eine fremde Person übergeben lässt, hat mit hoher Wahrscheinlichkeit keine sichere, sondern eine vermeidende Bindung zur Mutter und steht trotz fehlender Merkmale des Kummers unter enorm hohem Stress.  Dagegen wird ein Baby oder Kleinkind, das sich an die Eltern klammert, abwartend, aber neugierig reagiert und bei Trennung weint und protestiert, auch Stress ausgesetzt sein. Mit Hilfe der Mutter (oder einer anderen Bezugsperson) wird es diesen aber abbauen und bewältigen können.

Wie lange eine Eingewöhnung dauert, lässt sich nicht pauschal sagen. Man sollte mindestens 4-6 Wochen einplanen und die ersten 1-2 Tage, besser eine ganze Woche, komplett dabei bleiben. Zum einen braucht das Kind diese gemeinsame Zeit und zum anderen gewinnen die Eltern einen Überblick über den Tagesablauf und den Umgang der Erzieherinnen mit den Kindern. Je nachdem, wie das Kind reagiert, kann man danach erstmals für 10-20 Minuten wegbleiben und „proben“ (in der Nähe und erreichbar bleiben) und diese Zeiten dann, wenn es funktionieren sollte, langsam steigern. Im Idealfall hat das Kind in der Zwischenzeit  zur Erzieherin  genug Vertrauen aufgebaut, um gar nicht mehr zu weinen oder nur kurz bzw. sich von ihr trösten zu lassen. Ein weinendes Kind sollte man nicht zurücklassen. Das stört die Basis der Mutter-Kind-Beziehung und ist unnötiger Stress für das Kind. Sollte das passieren, muss der Versuch abgebrochen und dem Kind noch etwas länger Zeit gegeben werden.

Auch nach erfolgreicher Eingewöhnung sollte man mindestens 15 Minuten für den Übergang einplanen. Ich halte es für wichtig für so ein kleines Kind, die ersten Minuten in der neuen Umgebung jeweils mit einer Vertrauensperson zu verbringen. Um so leichter wird der Abschied sein.

Die außerhäusliche Zeit sollte so kurz wie möglich sein und die verbleibende Zeit zu Hause mit dem Kind intensiv genutzt werden.

Abschließend lässt sich sagen, dass sich negative Auswirkungen von außerfamiliärer Betreuung auf die Bindungsqualität nicht gänzlich ausschließen lassen. Es spricht aber inzwischen einiges dafür, dass sich unter den genannten Bedingungen keine negativen Folgen für die Mutter-Kind-Bindung und die seelische Entwicklung des Kindes ergeben.

Inzwischen gilt als erwiesen, dass emotionale Unterstützung und die Erfahrung, für einen Menschen von ganz besonderer Bedeutung zu sein, vor psychischen Problemen und Krankheiten schützen können. Daher könnte sich familienergänzende Betreuung bei familiären Problemen sogar positiv auswirken. Damit sind u. a. Misshandlung, Partnerschaftsprobleme, psychische Erkrankung eines/beider Elternteile, Armut gemeint. Diese Faktoren gehen oft mit mangelnder Feinfühligkeit der Hauptbezugsperson einher und schlagen sich meist im unsicheren oder ambivalenten Bindungsstil des Kindes nieder. Qualitativ gute außerhäusliche Betreuung könnte also diesen Kindern die Unterstützung und Aufmerksamkeit zukommen lassen, die ihnen in der Familie fehlt.

Der wissenschaftliche Nachweis dafür steht allerdings noch aus.

Literatur:
Braun, W.: Früher Stress bremst das Gehirnwachstum. In: Psychologie Heute. Heft 11/2004
Dornes, M.: Die frühe Kindheit. Entwicklungspsychologie der ersten Lebensjahre. Frankfurt a.M. 1997
Dornes, M.: Die emotionale Welt des Kindes.  Frankfurt a.M. 2000
Largo, R.H.: Babyjahre. Die frühkindliche Entwicklung aus biologischer Sicht. Hamburg 1993
Wilhelm, K.:  Fremde Betreuung – gute Betreuung. In: Psychologie Heute. Heft 1/2005

© Rabeneltern.org 2005

Tipps und Erfahrungen zur Eingewöhnung findest Du im Artikel „Eingewöhnung im Kiga – So machen es die Rabeneltern“.

Auf diesen Seiten findest Du eine Zusammenstellung der am häufigsten anzutreffenden pädagogischen Kindergartenkonzepte und die wichtigsten Punkte für eine gelungene Eingewöhnung im Kindergarten.

Auf die Situation von Kleinkindern geht der Artikel „Familienergänzende Betreuung von Babys und Kleinkindern unter 2 Jahren“ gesondert ein.

Tipps und Erfahrungen zur Eingewöhnung findest Du im Artikel „Eingewöhnung im Kiga – So machen es die Rabeneltern“.

Pädagogische Konzepte

Zu Beginn möchte ich die gängigsten pädagogischen Konzepte, die heute in der Kindergartenpädagogik Anwendung finden, skizzieren.

Der Situationsansatz stellt soziales Lernen und die realen Lebensbedingungen in den Mittelpunkt. Das alltägliche Leben soll zum Gegenstand des Lernens sowie Kinder verschiedener Herkunft gefördert werden. Des weiteren zählen altersgemischte Gruppen, Elternmitarbeit, Beteiligung der Kinder an der pädagogischen Planung (in Form von Mitspracherecht bei der Aufstellung des Tages- bzw. Wochenplanes) und die flexible Tageseinteilung, die sich an den Wünschen der Kinder orientiert, zu den Grundprinzipien.
Dieser Ansatz hat inzwischen die herkömmlichen Strukturen des Kindergartens ersetzt oder zumindest aufgeweicht. Er ist inzwischen der am meisten praktizierte Ansatz.

Maria Montessori, eine italienische Ärztin, kam aufgrund ihrer Beobachtungen an behinderten und verhaltensauffälligen Kindern zu der Auffassung, dass das Kind einen „Bauplan der Seele“ in sich trägt. Es wird sich, wenn ihm eine sog. vorbereitete Umgebung mit bestimmtem Arbeitsmaterial zur Verfügung steht, allein, frei und spontan entwickeln können. Der Erzieher sollte Kenntnis von den sensiblen Phasen der Kinder haben, die Kinder lieben, achten und ihnen dienen. Es gilt der Grundsatz: „Hilf mir, es selbst zu tun!“ Fehler sollen selbst erkannt und korrigiert werden dürfen, Erwachsene sind Begleiter, die lernen müssen, sich überflüssig zu machen und zu beobachten statt einzugreifen.

Grundprinzip der Waldorfpädagogik, deren Begründer R. Steiner war, ist die Nachahmung. Dem Erzieher/Erwachsenen kommt eine ganz besondere Vorbildfunktion zu – er ist natürliche Autorität. Im Kindergarten zeigt sich das vor allem durch sinnvolle, durchschaubare Tätigkeiten des Erziehers, die Kinder zur Nachahmung anregen sollen. Der kindliche Erkenntnisweg vollzieht sich zuerst über das Handeln, dem Fühlen und Denken folgen. Deshalb sind Ermahnungen und Strafen etc. wirkungslos, das vorbildhafte Tun ist wichtig. Zum Waldorfkindergarten gehören außerdem eine feste Strukturierung, ein Rhythmus (auch bei Erzählungen, Puppenspielen, Liedern etc, die regelmäßig wiederholt werden), Gestaltung von Jahresfesten (natürliche Religiosität der Kinder) sowie künstlerische und handwerkliche Tätigkeiten. Ganz wichtig ist die partnerschaftliche Zusammenarbeit mit den Eltern.

Im Mittelpunkt der Freinetpädagogik stehen die Bedürfnisse des Kindes. Es soll sich ausdrücken können, und seine Andersartigkeit von den Erwachsenen respektiert werden. Experimentieren und die produktive Beteiligung, sprich Arbeit, an der Gestaltung des Alltags sind Eckpfeiler dieser pädagogischen Richtung. Das drückt sich in den meisten Kindergärten in der Einrichtung von Ateliers und Werkstätten aus, die meist eigenverantwortlich von den Kindern geleitet werden und zu denen, ohne „Kontrolle“ der Erzieher, der Zugang (fast) jederzeit möglich ist. Den Kindern wird Vertrauen entgegengebracht, und es erfolgt kein äußeres Lenken durch Erwachsene. Kinder dürfen ihrem individuellen Rhythmus und dem eigenen Lebensweg folgen. Für die Erzieher bedeutet das ein Umdenken. Sie sind Beobachter, die herausfinden sollen, was Kinder wünschen und ihnen nicht aufzwingen, was sie tun sollten.

Janusz Korczak verstand sich als Anwalt des Kindes und lebte diese Überzeugung – er begleitete „seine“ Kinder bis in die Gaskammern von Treblinka. Er sprach sich für die Formulierung und Durchsetzung der Kinderrechte aus und forderte von den Erwachsenen, durch die Kinder zu lernen, ihnen Eigenständigkeit zuzugestehen, mit Respekt zu begegnen, sie zu begleiten  – als Partner, nicht als „Führer“. Das Konzept dieser Kindergärten kommt vor allem durch den anderen Umgang der Erzieher mit den Kindern zum Ausdruck. Das manifestiert sich u. a. in der Mitbestimmung der Kinder auf Kinderkonferenzen, Erstellen von Kindergartenzeitungen, Aufgabenplänen, „Schwarzem Brett“ für Kinder.

Das offene Konzept ist vor allem durch Ansätze der Reggio-Pädagogik und Ideen Korczaks geprägt. Formen dieser Arbeit sind offene Gruppen, offene, gruppenübergreifende Angebote und offenes Arbeiten in Funktionsräumen. Offene Gruppe bedeutet, dass das Kind keiner festen Gruppe angehört. Jede Erzieherin ist verantwortlich für einen Raum, innerhalb derer die Kinder sich frei bewegen können. Trotz des Fehlens fester Gruppenstrukturen bilden sich meist kleinere Gruppen in Eigenverantwortung der Kinder. Offene, gruppenübergreifende Angebote verfügen zwar grundsätzlich über feste Gruppen, bieten aber in relativ regelmäßigen Abständen gruppenübergreifende Aktivitäten an, zwischen denen die Kinder frei wählen können. Das offene Arbeiten in Funktionsräumen beinhaltet, dass alle Flächen und Räume des Kindergartens genutzt werden, um diese zu speziellen Interessensräumen umzugestalten.  So gibt es verschiedenste Angebote, aufgeteilt in Räume, die allen Kindern zugänglich sind und von Erzieherinnen nach ihrem jeweiligen Interessensgebiet betreut werden. Grundannahmen dieser Pädagogik sind das selbstbestimmte Lernen durch Einsicht und die Eigenverantwortlichkeit des Kindes, das sich seine Aktivitäten nach Interesse sucht und Entscheidungen selbst treffen kann und will. Unterstützung findet dieses Konzept durch neueste naturwissenschaftliche und entwicklungspsychologische Erkenntnisse, die grob zusammengefasst folgendes postulieren: Kinder sind Persönlichkeiten, die sich individuell, ihren eigenen Vorstellungen entsprechend, entwickeln. Es gibt Zeitfenster, innerhalb derer sich bestimmte Fähigkeiten ausbilden; das Kind wird diese – ohne Anleitung – nutzen. Der Erwachsene (in dem Fall: der Erzieher) ist wiederum Beobachter und Begleiter, der sich geduldig und empathisch im Hintergrund hält, gegebenenfalls auf die Wünsche der Kinder reagiert  und die Umwelt gemäß den Bedürfnissen der Kinder gestaltet.

Fazit

Allen Konzepten ist die Achtung des Kindes gemeinsam, was sich in sehr unterschiedlichen Arbeitsweisen und –materialien zeigt. Wichtig ist die Zusammenarbeit mit den Eltern, weil diese Konzepte eine völlig andere Sicht auf das Kind mit seinen Bedürfnissen haben. Erziehungsziele und –methoden sollen den Eltern nahegebracht werden, sie bei ihrer Erziehungsarbeit unterstützen.
Aber auch einzelne Aspekte der pädagogischen Strömungen fließen in die bereits vorhandenen (herkömmlichen) Kindergartenkonzepte ein. Vor allem der Situationsansatz, komplett oder durch einzelne Punkte, wird inzwischen in fast allen Kindergärten realisiert.
Die praktische Umsetzung dieser Konzepte sieht sehr unterschiedlich aus. So scheint besonders die Montessoripädagogik in einigen Kindergärten sehr vereinfacht angewandt zu werden. Es reicht nicht, die Materialien bereitzustellen, wenn die Sichtweise vom Kind keinen Eingang findet (vgl. Becker-Textor: Erziehung zur Selbständigkeit… 2003).
Auch hier ist also der kritische Blick der Eltern gefragt, denn Konzept und Verwirklichung unterscheiden sich oft sehr deutlich voneinander.

Eingewöhnung

Noch immer plädieren viele ErzieherInnen für eine sehr kurze Eingewöhnungszeit, vor allem bei den älteren Kindern. Argumente dafür sind u. a., dass die Eingewöhnung älterer Kinder gewöhnlich unproblematischer und kürzer verlaufe und Eltern die Eingewöhnung durch ihre Präsenz behinderten – sie könnten nicht loslassen. Vielen Eltern scheint dies schlüssig. Trotz allem sind diese oft vorgebrachten Argumente falsch.
Erstens ist die Eingewöhnung unabhängig vom Alter, sondern eher an Temperament und Verarbeiten der Trennung gebunden. Und zweitens ist es Fakt, dass auch Eltern diese –meist erste- Trennung von ihrem Kind verkraften müssen. Erst wenn sie dies wirklich getan haben, werden sie guten Gewissens ihr Kind übergeben können. Diese Zeit des Übergangs sollte Kindern und Eltern zugestanden werden.

Betrachten wir als erstes die rechtliche Lage.
Eltern sind die Sorgeberechtigten, die ihr Kind betreuen lassen wollen/müssen. Sie als Sorgeberechtigte bezahlen für die Betreuung ihrer Kinder. Das bedeutet, dass Kindertagesstätten eine Leistung erbringen (müssen), die den Wünschen der Eltern (gewöhnlich) zu entsprechen hat. §22 Abs. 2 Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) dazu: „Die Aufgabe umfasst die Betreuung, Bildung und Erziehung des Kindes. Das Leistungsangebot soll sich pädagogisch und organisatorisch an den Bedürfnissen der Kinder und ihrer Familien orientieren.“ §22 Abs.3 KJHG regelt gar ein Mitentscheidungsrecht der Eltern bei grundsätzlichen organisatorischen und pädagogischen Belangen.

Für Eltern bedeutet dies in der Praxis vor allem folgendes:

  1. Eltern geben ihr Sorgerecht nicht für die Dauer der Kindergartenbetreuung an die Erzieherinnen ab und haben das Recht (und übrigens auch die Pflicht – zum Wohl des Kindes) eine Eingewöhnung nach ihren Wünschen und Bedürfnissen zu gestalten.
    Erziehungsarbeit im Kindergarten erfüllt einen familienergänzenden und nicht -ersetzenden Bildungsauftrag.
  2. Eltern haben ebenso das Recht, grundsätzliche pädagogische Wünsche zu äußern. Das betrifft vor allem die Erziehungsmethoden.

Für die meisten Kinder und ihre Eltern ist der Übergang in den Kindergarten auch die erste Trennung. Übergänge/Trennungen sind immer  von starken Emotionen und typischen Stressreaktionen, wie Weinen, Angst, Rückzug, begleitet. Deshalb ist es wichtig, Kinder möglichst früh auf den bevorstehenden Kindergartenbesuch vorzubereiten, anfangs nur kürzere „Besichtigungen“ durchzuführen, um dann die Zeit langsam zu steigern. Bilderbücher und Gespräche über den Kindergarten erleichtern ebenso den Start in einen neuen Lebensabschnitt. Erst wenn sich ein Vertrauensverhältnis zwischen Kind und Erzieherin entwickelt hat, und das Kind sich sichtlich wohl fühlt, sollte man –nach vorheriger Absprache mit dem Kind und nicht heimlich- die Einrichtung verlassen. Auch hier sollten die Zeiten langsam gesteigert werden. Außerdem sollte gewährleistet sein, dass man in dieser Zeit erreichbar ist.
Das Kind braucht am Anfang dieses neuen Lebensabschnittes also vor allem zwei Dinge: die Begleitung einer Vertrauensperson und Verlässlichkeit.

Soweit zur Theorie. Die Praxis sieht leider meist anders aus. So ist es zwar in den meisten Kindergärten inzwischen Standard, eine Eingewöhnung einzuräumen. Gleichzeitig werden daran oft unsinnige Zeitaussagen gekoppelt  und es ist üblich, die Eltern mit Aussagen wie „Überbehütung“, „Nicht-Loslassens-Können“ und „fehlende Kindergartenreife“ unter Druck zu setzen. Dazu kommt meist noch der argwöhnische Blick vieler anderer Eltern, die ihrem Kind keine solche Zeit des Abschieds und des Übergangs zugestehen konnten/wollten.
Deshalb ist es sehr oft notwendig, auf seine Rechte klar und deutlich hinzuweisen und zu wissen, dass sich eine Eingewöhnung sehr wohl über Monate erstrecken kann.

Zum Schluss einige Bemerkungen dazu, woran man einen qualitativ guten Kindergarten erkennen kann. Wichtigster Punkt ist in diesem Fall nicht das pädagogische Konzept, sondern in erster Linie der persönliche Umgang mit Kindern und auch ihren Eltern. Er sollte geprägt sein von Respekt, Sensibilität, Wärme und Fürsorge. Nur durch persönliche Beobachtung lässt sich die fachliche und persönliche Kompetenz der Erzieherin beurteilen. Wie beispielweise werden Regelverletzungen beurteilt und geahndet?  Werden bedenkliche Methoden, wie „Stiller Stuhl“ und „Auszeit“, angewandt? Oder werden Kinder trotz ihrer Fehler respektiert und diese nicht als Charaktermängel, sondern natürliche Entwicklungsschritte betrachtet?

Der Kontakt zu den Eltern sollte vor allem durch Transparenz geprägt sein. Außerordentlich wichtig ist die Einbeziehung der Eltern in die Kindergartenarbeit. Der obligatorische Elternabend ist nicht ausreichend, um persönliche Gespräche zu fördern und individuelle Konflikte anzusprechen. §22 Abs.3 KJHG dazu: „Bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben sollen die in den Einrichtungen tätigen Fachkräfte und Mitarbeiter mit den Erziehungsberechtigten zum Wohl der Kinder zusammenarbeiten. Die Erziehungsberechtigten sind in wesentlichen Angelegenheiten der Tageseinrichtung zu beteiligen.“

Wichtig und notwendig ist der Austausch über Erziehungsziele und –methoden. Für das Kind ist es von Bedeutung, dass sich Eltern und Erzieher weitgehend einig sind. Manchmal sind Kompromisse nötig, aber grundsätzliche Forderungen sollten Eltern klar stellen und auf deren Einhaltung auch bestehen.

Womit ich beim pädagogischen Konzept wäre. Außer der oben vorgestellten pädagogischen Ansätze gibt es ein paar wesentliche Punkte der pädagogischen Arbeit, die von Bedeutung sind. So sollte es außer einem Jahres- und Wochenplan einen Tagesplan geben, an dessen Aufstellung die Kinder beteiligt sind. Das zeigt zum einen den Respekt vor den Bedürfnissen der Kinder und zum anderen Flexibilität im Umgang mit Plänen, Konzepten, etc. Außerdem ist ein ausgewogenes Verhältnis von freiem Spiel und Beschäftigungen sinnvoll. Damit bleiben die typisch kindlichen Verhaltensweisen, zu denen Forschungsdrang & Selbsttätigkeit gehören, erhalten. Arbeit in Kleingruppen, um den individuellen Wünschen der Kinder gerecht zu werden, wäre wünschenswert.

Womit ich bei einem weiteren wichtigen Aspekt, der Gruppengröße und –zusammensetzung, wäre. Eine Fachkraft sollte maximal 10 Drei-, Vier- oder Fünfjährige betreuen, die gesamte Gruppe sollte bei den über 3jährigen maximal 16-20 Kinder umfassen.

  • Altersgemischte Gruppen sind vorteilhafter als altershomogene Gruppen, da es eine gegenseitige Förderung und Anregung gibt, und typische altersspezifische Auffälligkeiten eher gemindert werden.
  • Es sollte gewährleistet sein, dass Kinder verlässliche AnsprechpartnerInnen, sprich Bezugspersonen, haben, die nicht ständig – aufgrund eines Schichtplanes – wechseln.
  • Wichtiger als die Raumgröße ist die Raumgestaltung. Die Art und Qualität des Spielzeugs, nicht die Menge, ist ausschlaggebend, damit Kinder kreativ spielen können. Es sollten außerdem verschiedene Spielecken sowie Rückzugsmöglichkeiten vorhanden sein.
  • Einer der wichtigsten Punkte sei ganz am Schluss genannt: das Interesse der Erzieherin an der Herkunft des Kindes, seinen Interessen, Eigenarten, Verhaltensweisen. Nur durch dieses Wissen ist es möglich, empathisch auf das Kind eingehen zu können, weil die Ursachen für ein bestimmtes Verhalten verständlich sind. Eltern sollten deshalb darauf achten, dass statt eines kurzen Anmeldegespräches ein ausführliches Aufnahmegespräch geführt wird. Zum einen, um mögliches Fehlverhalten des Kindes aus seiner Geschichte erklären und adäquat reagieren zu können und zum anderen, um Erziehungsziele und –methoden abklären zu können.

© Diplom-Pädagogin und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin Ines Kopp für rabeneltern.org, 2003

 

Literatur:

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