Wie Sie Ihr Kind auch ohne Worte verstehen und beruhigen können,
Ratingen 2003 (Oberstebrink ElternBibliothek),
ISBN-10: 3-934333-07-9
ISBN-13: 978-3934333079
Joachim Bensel ist Mitinhaber der Forschungsgruppe Verhaltensbiologie und er erforscht Probleme der kindlichen Verhaltensentwicklung – so kann man auf der Rückseite des Buches lesen. Jedes Baby schreit, mal mehr, mal weniger. Und so richtet sich das Buch nicht nur an Eltern mit „Schreibabys“ oder „Babys mit besonderen Bedürfnissen“, sondern an alle (werdenden!) Eltern. Wichtig ist dem Autor nämlich die Prävention und den Eltern den Blick zu eröffnen auf das, was in so einem kleinen Wesen vorgehen kann.
Ähnlich wie die anderen Bücher aus der Reihe des Verlages, werden die Informationen übersichtlich dargestellt: Vorab erfährt man, worum es in den jeweiligen Kapiteln geht, zum Abschluss finden sich knappe Zusammenfassungen. Wichtige Zitate werden hervorgehoben. Infotexte in farbig unterlegten Kästen und Fotos lockern das Ganze auf. Wichtige Adressen und Literaturhinweise finden sich im farbigen Anhang.
Von der formalen Seite wird also alles getan, um gestressten Eltern von Neugeborenen die Lektüre so einfach wie möglich zu machen. Das ist schon mal ein großer Pluspunkt.
Nun aber zur inhaltlichen Seite. Ich kannte bis jetzt nur ein Buch aus diesem Verlag wirklich gut („Jedes Kind kann schlafen lernen“, aktuell erscheint es in einem anderen Verlag). Meine Erwartungen waren dementsprechend niedrig. Je mehr ich jedoch im Buch las, desto stärker überzeugte es mich. Bensel will den Eltern nicht einen Weg vorgeben, sondern sie stärken, ihre eigenen Entscheidungen wohlbegründet zu treffen. Dabei gelingt es ihm sehr gut, die Bedürfnisse des Neugeborenen in den Fokus zu rücken und ermutigt die Eltern, auch Modelle zu übernehmen, die sich vom westlich geprägten Betreuungsstil wesentlich unterscheiden. Als Beispiel für „ursprüngliche Betreuungspraktiken“ nennt er die !Kung-San aus Südafrika, deren Kinder so gut wie nie schreien. Mit vielen Ammenmärchen (Dreimonatskoliken, Verwöhnen des Babys bei zu häufigem Stillen/Tragen, Ängsten vor dem Familienbett – um nur einige zu nennen) räumt Bensel auf. Dabei geht er jedoch behutsam vor, so dass auch Eltern, die von Tragetuch und Familienbett wenig halten, nicht verdammt werden. Er möchte eben die Perspektive vergrößern und Eltern ermutigen, die verunsichert sind durch Äußerungen von Verwandten und oder Fachleuten.
Wichtig finde ich, dass Bensel auch die Schwangerschaft und das Wochenbett als entscheidende Faktoren berücksichtigt. Aufschlussreich z.B. sind seine Ausführungen dazu, dass Frauen, die außerklinisch oder ambulant geboren haben, wesentlich seltener an „Heultagen“ litten und sich wesentlich kompetenter im Umgang mit ihrem Baby fühlten. Und hier sind nun auch weniger Schreibabys zu finden. Dies sollte den Verantwortlichen in den Kliniken zu denken geben.
Aber auch wenn das Baby wirklich ein exzessives Schreibaby ist, hilft das Buch: Eltern können anhand eines Musterbogens das Verhalten ihres Babys protokollieren und so Zusammenhänge feststellen. Außerdem macht Bensel den Eltern Mut: Das exzessive ist nur eine Phase, wenn auch eine besonders anstrengende. Er betont aber auch das Positive: Schreiende Babys sind „lebenshungrig und vital“ und später nicht schwieriger als andere Kinder. In Kiga oder Schule kann man sie nicht mehr von anderen Kindern unterscheiden. Bensel wirkt so einer Stigmatisierung dieser Kinder – die das ganze Familiensystem betrifft – entgegen. Zudem enthält das Buch auch einige Tipps, um den Familienalltag mit Schreibaby besser zu bewältigen und diese schwierige Phase zu überstehen.
Es gibt nur ein paar Kleinigkeiten, die mich davon abhalten, diesem Buch fünf Raben zu geben:
– eine Blanko-Kopiervorlage des Musterprotokolls wäre sehr sinnvoll,
– es sind nur wenige hilfreiche Webseiten und die nur über die Adressenliste zu finden,
– schleierhaft ist mir, warum das Buch „Jedes Kind kann schlafen lernen“ in der Literaturliste Erwähnung findet,
– und abschließend: Auch das Bedürfnis zu urinieren, kann Ursache von Quengeln und Schreien sein. Näheres dazu findet man hier: Informationen zu Windelfrei
Alles in allem also vier Raben.
Astrid Ahlers