Black box
Wie machen Eltern das, wenn sie aus der Sicherheit gerissen werden, dass mit ihrem Kind alles in Ordnung ist? Wie machen Eltern das, wenn sie merken, irgendwas stimmt hier nicht, das Kind entwickelt sich nicht normal? Oder wenn sie ohne jeden Verdacht zur U-Untersuchung gehen und mit einem ganzen Stapel an Überweisungen wieder hinausgehen, ausgerechnet von der Kinderärztin, die sonst so geizig mit Überweisungen und Verordnungen ist? Wenn die Kinderärztin dann sagt, das Kind ist nicht altersgemäß entwickelt und in allen Bereichen der Untersuchung auffällig, es braucht Hilfe, aber was daraus wird, kann man nicht sagen, es ist eine black box – das fühlt sich an, als würde einem ein Klavier auf den Kopf fallen, und ich glaube, es kann jede Mutter, jeden Vater ziemlich von den Füßen holen.
Was wird aus dir, mein Kind? Wirst du größere Schwierigkeiten im Leben haben, oder wird sich das alles verwachsen und hinterher können wir uns kaum daran erinnern, dass wir uns einmal gesorgt hatten? Ich denke an Eltern, für die die Zukunft nicht mehr so offen ist, sondern die die Gewissheit haben, dass ihr Kind nicht mehr gesund wird, sich nicht mehr normal entwickeln wird, womöglich nicht lang leben wird. Dagegen sind meine Sorgen Peanuts. Die Schwierigkeiten meines Kindes fallen jetzt nicht besonders auf – immerhin bin ich ohne jede Befürchtung mit ihm zur Untersuchung gegangen – und ich kann hoffen, dass sie auch klein bleiben oder ganz verschwinden, dass Therapien rechtzeitig helfen, dass es nicht oder kaum eingeschränkt sein wird. Und was, wenn doch?
Ich schaue mein Kind an und sehe es wie zum ersten Mal. Mir wird schmerzlich bewusst, wie sehr ich dieses Kind liebe und wie wenig ich es in der Hand habe, was aus ihm wird. Ich sehe, was alles nicht von diesen Ungewissheiten bedroht ist. Seine Fröhlichkeit und Großzügigkeit, und dass das Kind so ein gutes Herz hat. Es ist beruhigend, zu spüren, dass das zählt und wichtig ist. Es ist auch beruhigend, zu spüren, wie sehr ich dieses Kind liebe. Das wird sich nicht ändern, egal wie viele Telefonate ich wegen der kommenden Arztbesuche führen werde, egal welche Diagnosen letztlich in der Akte stehen werden. Ich denke an die Eltern, deren Liebe in die größte Trauer ihres Lebens führen wird. Elternsein ist auch eine black box, man weiß nicht, was einen erwartet. Meistens merkt man das kaum und kann sich über Fortschritte und Entwicklungen freuen. Und manchmal merkt man das wie ein Klavier auf dem Kopf. Ich wünsche allen Eltern, deren Elternliebe nicht mehr unbeschwert ist, dass in der Liebe zum Kind doch immer auch etwas Leichtigkeit bleibt – und mir wünsche ich das auch. Wie gut, dass es dich gibt, mein Kind.