Doch, tut es. 🙂

Ist ja schön und gut, aber mein Baby gibt keine sogenannten „Signale“.

Ganz so einfach ist es dann leider doch nicht, dass Mutter sich schlau macht und das womöglich schon ein halbes Jahr oder länger normal gewickelte Baby beherrscht von Stund an einen Geheimcode und besteht auf sein Töpfchen…

Babys sind extrem lernfähig und akzeptieren nach einigen Wochen oder Monaten, dass es offenbar Usus in unserer Welt ist, dann zu pinkeln, wenn der Po verpackt ist. Die typischen, sogenannten „Unfälle“, dass das Baby nämlich genau dann loslegt, wenn die Windel weg ist, werden immer seltener, Baby hat gelernt, um die Ausscheidungen kein Tamtam zu machen, sondern sie sang- und klanglos in die Windel zu drücken.

Je eher man ihm beibringt, Tamtam zu machen, desto weniger Aufwand ist es: Das Baby ist sich seiner Ausscheidungen bewusst, zeigt dies, erfährt Reaktion darauf… das Team spielt sich ein. Je später man anfängt, desto mehr Geduld erfordert es. Man kann also ausgehend von z.B. einem 8 Monate alten, normal gewickelten Säugling, der ohne mit der Wimper zu zucken die Windel füllt, nicht folgern, „windelfrei“ funktioniere nur bei auserwählten, anderen Babys. Nach acht Monaten Wickeln dauert es aber gewiss mehr als einen Nachmittag, verdrängte Zusammenhänge zwischen Ausscheidungsbedürfnis und kindlicher Wahrnehmung wieder herzustellen.

Das hab ich nicht einmal geglaubt, als ich noch total gegen Windelfrei war.

Schäden erleidet ein Kind, wenn es nicht geliebt wird, gequält, misshandelt, verachtet und gewaltsam zu Dingen gezwungen wird, die es nicht tun will.

Wenn ich meinem Baby anbiete, in ein Töpfchen zu pinkeln statt in einen chemischen Gelkern, so kann ich das eigentlich ganz gut mit meinem Gewissen vereinbaren. Und will mein Baby in diesem Moment nicht pinkeln oder war sie so vertieft beim Spielen unterm Tisch, dass sie sich einfach dort erleichtert hat, mache ich sie deswegen nicht zur Schnecke, sondern ziehe sie einfach wieder an oder um.

Nee, nee, Herr Freud

Ja, doch. Auch gern zitiert. Klar, juckt es den Eingeborenen wenig, wenn eine Pfütze auf dem Lehmboden seiner Hütte landet, während der teure Perser, die luxuriöse Matratze und das Ledersofa da schon anders reagieren. Aber es geht trotzdem!!!

Zeitgleich mit meinen ersten Erfahrungen mit meinem windelfreien Neugeborenen gewöhnte sich mein größerer Sohn die Windeln ab. Und rückblickend sehe ich keinen Unterschied, was die Beeinträchtigung der Möbel betrifft. Beide Kinder hatten Ausrutscher, aber bei keinem von beiden war es die Regel. Und im Bett eine wasserfeste Unterlage zu haben, ist ja auch nicht verboten (Wobei ich sagen muss, dass wir in den Nächten so gut wie keine Unfälle haben. Allerdings weiß ich, dass meine Tochter garantiert in der Nacht, in der ich einmal keine Unterlage ins Bett legen sollte, vor lauter Zahnen o.ä. das Pinkeln verschlafen würde…)

Ach ja, und ich vertrete übrigens nicht unbedingt die Ansicht, dass alles, was in Naturvölkern praktiziert wird, auch hier bei uns Sinn macht. Aber ich sehe bei diesem Thema keinen alltagspraktischen Grund, die jahrhundertealten Erkenntnisse nicht bei uns anzuwenden. Außer, dass die Windelindustrie es natürlich gar nicht lustig fände, wenn plötzlich nicht für jeden Erdenbürger automatisch ab Geburt ein 3-Jahres-Windelvertrag abgeschlossen würde.

Doch, es war wirklich so: Ganz am Anfang, meine Tochter war vielleicht 6 oder 8 Wochen alt, war ich wirklich am allerliebsten zuhause: Alles war zur Hand, ich musste das Baby nicht umständlich anziehen, hatte mich nicht mit fremden Toiletten und Badezimmern herumzuschlagen. Gingen wir mal weg und die Kleine trug Windeln, war ich in Gedanken ständig damit beschäftigt, ob sie vielleicht doch muss, ob die Gastgeber es wohl seltsam fänden, wenn ich innerhalb von 20 Minuten zum vierten Mal mit ihr ins Bad tappe usw. Aber das waren wirklich nur Anlaufschwierigkeiten.

Und genau betrachtet ist es sowieso sehr entspannend, mit Neugeborenen nicht ständig auf Achse zu sein, sondern eine Runde auf dem Sofa zu kuscheln. Nach wenigen Wochen war das wirklich kein Problem mehr und ich bin sicher, würde ich nun ein weiteres Baby bekommen, wäre ich da schon von Anfang an souveräner.

Das soll heißen: Es ist nicht das „Windelfrei“ an sich, dass die Sache mit einer Aura von Umständlichkeit umgibt, sondern nur unsere fehlende Erfahrung mit dieser Idee.

Das Lieblingstotschlagargument der Skeptiker: Was passiert, wenn frau gerade mitten in der Supermarktschlange steht und das Kind signalisiert, dass es muss. Ich weiß es ehrlich gesagt nicht, denn meine Tochter hat das in ihren 10 Lebensmonaten noch nicht getan (und ich steh oft in Supermarktschlangen mit ihr). Aber es gab natürlich schon Situationen, in denen ich dachte: „Och nee, nicht jetzt!“. Doch wir hatten immer noch genug Zeit, ein Klo, einen Busch oder das Auto (mit Töpfchen im Kofferraum) aufzusuchen, so dass es wirklich kein Problem ist. Denn Babys können wirklich und wahrhaftig anhalten. Weiß das Baby, dass es regelmäßig die Gelegenheit bekommt, zu pinkeln, ist es in der Regel sehr geduldig! Ist zumindest meine Erfahrung.

Weiß ich allerdings, dass ich irgendwohin gehe, wo ich keinerlei Gelegenheit haben werde, meine Tochter abzuhalten oder nicht sicher sein kann, dass ich spontan auf sie reagieren kann, ziehe ich ihr zur Sicherheit eine Windel an, um allen Beteiligten Unannehmlichkeiten zu ersparen. Doch ich erwähnte bereits, dass die meist eh trocken bleibt. Babys scheinen die Fähigkeit zu haben, ihr Ausscheidungsbedürfnis aufzuschieben…

Das kann ich nicht beurteilen: Ich wohne ja hier und hab mich daran gewöhnt.

Spaß beiseite, ich gebe zu, bei meinem ersten Kind war das einer der Hauptgründe, wieso ich diese Windelfreigeschichte nicht ausprobieren wollte: Ich wollte einfach nicht, dass unsere Wohnung zu einer Siffhalde verkommt. Ich war früher sowohl im Krankenhaus als auch in der Altenpflege tätig und weiß aus dieser Erfahrung, wie schnell z.B. Bettwäsche anfängt zu riechen, wenn man es mit der Hygiene nicht sehr genau nimmt.

Aber das sind ganz andere Voraussetzungen. Ich müsste lügen, wenn ich behaupten würde, meine Tochter habe noch nie eine kleine Pfütze auf dem Teppich oder auf dem Sofa hinterlassen. Aber mit viel Wasser ist das schnell weggewischt.

Doch derartige Pfützen sind erstens die Ausnahme und zweitens riechen sie nicht mal ansatzweise so schlimm wie ich erwartet habe. Und sie hinterlassen auch keinerlei Spuren.

Hmm. Ich finde, sie müssen nicht mehr auf ihre Babys achten als man wohl ohnehin tun muss. Am besten gefällt mir hierzu der Vergleich mit dem Stillen: Irgendwie weiß ich, wann meine Tochter Durst hat. Es geht eindeutig aus ihren „Signalen“ und meinem „Timing“ hervor. Aber ich muss sie dafür nicht pausenlos im Auge haben.

Gut, sollte ich das Signal des „Ich-will-jetzt-Stillens“ missdeuten oder übersehen, wird sie es einfach vehementer vermitteln, während sie im Falle des Pinkeln-Müssens wohl einfach in die Hose machen würde. Aber: You live and learn.

An dieser Stelle soll auch nicht verheimlicht werden, dass es am Anfang durchaus ein sehr großes Maß an Aufmerksamkeit erfordert, wenn entgegen aller gesellschaftlichen Tradition das Baby plötzlich von Anfang an ins Töpfchen machen darf. Die ersten Wochen, in denen ich beschloss, meiner Tochter keine Windeln anzugewöhnen, waren schon eine Herausforderung. Aber zu einem großen Teil lag das daran, dass ich mir all das Wissen zum Thema erst aneignen musste. Wäre es in unserer Kultur ganz normal vorhanden, hätte ich die Sache bestimmt viel gelassener angehen können.

…und dürfen keine Windeln tragen (und sind demzufolge entweder ständig erkältet oder holen sich Infektionen im Genitalbereich, da die schützende Windel fehlt)

Quatsch.

Es hilft natürlich vor allem am Anfang, wenn das An- und Ausziehen nicht extrem umständlich ist. Bodys sind auch nicht so toll, denn geht mal was daneben, hat man einfach mehr Arbeit. Und zuhause finde ich es z.B. oft wirklich praktischer, meiner Tochter nur eine Unterhose anzuziehen, keine zusätzliche Hose. Aber bei Kälte oder wenn wir unterwegs sind, ist sie immer „normal“ angezogen. Sie trägt auch manchmal Windeln, nämlich dann, wenn ich weiß, dass es schwierig werden könnte, sie abzuhalten (z.B. längere Autobahnfahrt) oder wenn ich weiß, dass ich zu fremden Leuten zu Besuch gehe und einfach nicht riskieren möchte, dass etwas daneben geht (-> Die Windeln bleiben übrigens meistens trocken, denn sie zeigt trotzdem, wenn sie muss und dann bringe ich sie aufs Klo. Ist halt nur umständlicher als ein schlichtes Unterhöschen).

Und sie war bisher übrigens noch nie erkältet und hatte auch keinerlei Infektionen.

Ich dachte ja immer, sobald ich meinem Baby die Windel ausziehe, bin ich einem völlig unberechenbaren Schwall von Urin und Stuhl ausgesetzt, der über mich hereinbricht, wann immer Blase oder Darm des Babys ein gewisses, von außen nicht erkennbares Füllungslevel erreicht hat. Ungefähr als würde man eine von diesen fütterbaren Puppen mit Wasser füllen. Irgendwann läuft es dann unten heraus. Die Mütter, die ihren Kindern keine Windeln um den Po packen, sind diesem „Irgendwann“ schutzlos ausgeliefert und unterwerfen ihren gesamten Tagesablauf – was sag ich – ihr gesamtes Leben! dem perfekten Timing. Entweder müssen sie telepathisch erahnen, wann das Füllungslevel erreicht ist oder sie müssen mit stoischer Hingabe Pfützen aufwischen.

Auch wenn ich von „Signalen“ und „Anhalten-Können“ las, sickerte die Bedeutung dieser Wörter nie richtig zu mir durch.

Fakt ist aber, dass Babys meist merken, wenn sie müssen. Und Fakt ist auch, dass sie, wenn sie erfahren haben, dass sie dafür besondere Gelegenheiten angeboten bekommen, durchaus eine Zeit lang anhalten können – wie wir auch.