Beitrag von Tala
„Jan wurde heute von einem anderen Kind gebissen.“ informiert mich die Erzieherin beim Abholen in der Kita. Entsetzt kucke ich auf die rote Wange meines Kindes, auf der mir die Abdrücke von Kinderschneidezähnen entgegen leuchten.
Mein Löwenmutterherz erwacht: am liebsten würde ich auf der Stelle den Übeltäter zur Rede stellen – was fällt diesem Kind ein, mein wunderbares, einzigartiges Kind so zu verletzen?! Und die Eltern?! Warum kümmern die sich nicht darum? Was ist das wohl für eine Familie, in der Konflikte so gelöst werden? Sämtliche Mütterempörungsschalter gehen an… Damals konnte ich ja nicht ahnen, wie schnell sich die Situation für mich ändern würde. Denn kurz danach schon klingt es ganz anders beim Abholen: „Jan hat heute schon wieder zwei andere Kinder geschubst.“ Ja, genau, mein wunderbares, einzigartiges Kind hatte begonnen, Kontakt mit den grösseren Kindern seiner Gruppe aufzunehmen. Dumm nur, dass er noch nicht so gut sprechen konnte – also war er dazu übergegangen, sich den Kindern zu nähern und sie zu schubsen. Eine etwas missglückte Art zu sagen: „Ich find dich toll! Darf ich mit dir spielen?“.
Und ich war von der entrüsteten Opfermutter zur verschämten Tätermutter geworden. Auch auf dem Spielplatz war ich jetzt ständig auf dem Sprung, um zu verhindern, dass mein Kind einem anderen das Schäufelchen auf den Kopf haute. Was habe ich mich für meine Gedanken vor ein paar Monaten geschämt…
Ich habe viel gelernt in dieser Zeit. Hauen, Schubsen, Beissen ist nicht unbedingt ein Zeichen grossen Aggressionspotentials, sondern gehört für viele Kleinkinder zu einer bestimmten Entwicklungsphase. Manche Kinder versuchen so, Kontakt aufzunehmen, für andere ist es die letzte Möglichkeit mit ihrem Frust umzugehen, wenn sie sich bedrängt fühlen oder überfordert. Meist wird es schnell besser, wenn sie besser sprechen lernen.
Besonders spannend fand ich in dieser Phase jedoch meinen eigenen Lernprozess – ich habe gelernt, nicht mehr in „Opfer“ und „Täter“ zu denken. Ein Zweijähriger, der „seine Schaufel“ gegen den redegewandten 5jährigen verteidigt ist kein Aggressor – eine Anderthalbjährige, die vor Begeisterung über die neue Spielkameradin in den nächsten erreichbaren Arm beisst keine Täterin… Es sind Lernende in Sachen Kommunikation – und wie immer lernen Menschen am Besten am Vorbild und mit viel, viel Übung!
Bei uns hat sich die „unaufgeregte Methode“ bewährt – die habe ich mir in der Hau-und-Schubs-Phase meines Grossen aus seiner Kita abgekuckt: „Täter“ nehmen, vielleicht etwas zur Seite stellen und ohne Wut sagen „Ich möchte nicht, dass du Susi haust“ – und sich dann dem „Opfer“ widmen, Trost spenden. Die Idee ist folgende: das Kind bekommt mit seinem Verhalten nicht noch mehr Aufmerksamkeit, was ja manche Phasen verschlimmern kann – gleichzeitig wird aber auch kein Drama aus einer völlig normalen Fehlhandlung eines Kleinkindes gemacht. Es ist in „der Lehre“, was soziales Interagieren angeht, da sind Fehler erlaubt. Meiner Erfahrung nach machen sehr viele Kinder diese „Täterphase“ durch – und gehts um eine Kontaktaufnahme kann man gut moderieren, finde ich. „Jan, ich möchte nicht, dass du Hannah haust. Schau, wir zeigen ihr den Ball, vielleicht mag sie mit uns Ball spielen?“
Ich glaube auch, dass es eher kontraproduktiv ist, die Geschehnisse zuhause lang und breit auszudiskutieren oder sogar Abmachungen mit Kleinkindern zu treffen. Ich stell mir das so vor: „Fienchen, erinnere dich, wir haben ausgemacht, kein Hauen, sonst gehen wir sofort.“ (Fienchen ist gerade erst 3.) Spielplatz, Aufregung, Spannung – all die Unmengen an sozialen Regeln, die es da gibt – und irgendwann überfällt es Fienchen, sie haut. Eigentlich wollte sie in der Gruppe mitspielen, aber wusste nicht wie sagen und die anderen Kinder haben nicht zugehört und das eine Mädel ist doch so toll und sie hatte Mama doch versprochen brav zu sein… ach Mist… Schon wieder schiefgegangen. Armes Fienchen. Die Konsequenz „den Spielplatz verlassen“ hilft ihr leider nicht…
Begleiten wir also unsere Lehrlinge, seien wir Vorbild und zeigen, wie Kommunikation und Teilen funktioniert – ich bin überzeugt, unsere Kinder lernen das so am Nachhaltigsten. Erlauben wir ihnen Fehler und geben wir ihnen Gelegenheit, weiter zu üben!